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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
die Comitien verhandeln über wichtige auswärtige Statsfragen,
in älterer Zeit auszerdem über Berufung gegen Todesurtheile.
Der Senat aber übt nicht blosz Regierungs- und Verwaltungs-
acte aus, sondern erläszt in seinen Beschlüssen auch allge-
meine Rechtsvorschriften, ähnlich den Gesetzen. Die Magi-
strate
endlich verbinden ganz regelmäszig regierende und
richterliche Befugnisse. Wer das imperium hat, der hat auch
für den Umfang desselben die jurisdictio. 1 Zudem hat er
priesterliche Functionen (die Auspicien). Und endlich übt
er durch seine Edicte Befugnisse aus, welche in solcher
Ausdehnung als gesetzgeberische bezeichnet werden müssen.
Immerhin zeigt sich aber in dem alten Statsrecht der Repu-
blik das bewuszte Streben, für bestimmte Zweige der öffent-
lichen Thätigkeit auch besondere Aemter zu bilden.

In dem spätern römischen Kaiserreiche kam zuerst
eine neue persönliche Ausscheidung auf. Die byzantinischen
Kaiser freilich behielten alle statliche Gewalt über das ganze
Reich in ihrer Hand vereinigt; aber in den untergeordneten
Stufen der Provincialregierung und Beamtungen wurden die
Civilstellen von den Militärstellen sorgfältig getrennt.
Diese Trennung, welche früherhin die Rücksicht auf die Unter-
thanen, auf welchen das Uebermasz der in den Magistraturen
vereinigten Befugnisse schwer gelegen, nicht bewirkt hatte,
ward nun um der Sicherheit des Thrones willen durchgeführt.
In der That lag hierin ein Fortschritt der statlichen Cultur
und der bürgerlichen Freiheit, welcher auch in dem moder-
nen State Anerkennung fand.

Im Mittelalter traf die Aeuszerung der Statsgewalt auf
allen Seiten auf Schranken, die ihr entgegen standen. Aber

1 Cicero de Legibus III, 3: "Omnes magistratus auspicium judiciumque
habento." Ulpianus in L. 2. D. de in jus vocando: "Magistratus, qui im-
perium
habent, qui coercere aliquem possunt, et jubere in carcerem duci."
Ulpianus L. I. pr. D. si quis jus dicenti: "Omnibus magistratibus . . .
secundum jus potestatis suae concessum est jurisdictionem suam defen-
dere poenali judicio."

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
die Comitien verhandeln über wichtige auswärtige Statsfragen,
in älterer Zeit auszerdem über Berufung gegen Todesurtheile.
Der Senat aber übt nicht blosz Regierungs- und Verwaltungs-
acte aus, sondern erläszt in seinen Beschlüssen auch allge-
meine Rechtsvorschriften, ähnlich den Gesetzen. Die Magi-
strate
endlich verbinden ganz regelmäszig regierende und
richterliche Befugnisse. Wer das imperium hat, der hat auch
für den Umfang desselben die jurisdictio. 1 Zudem hat er
priesterliche Functionen (die Auspicien). Und endlich übt
er durch seine Edicte Befugnisse aus, welche in solcher
Ausdehnung als gesetzgeberische bezeichnet werden müssen.
Immerhin zeigt sich aber in dem alten Statsrecht der Repu-
blik das bewuszte Streben, für bestimmte Zweige der öffent-
lichen Thätigkeit auch besondere Aemter zu bilden.

In dem spätern römischen Kaiserreiche kam zuerst
eine neue persönliche Ausscheidung auf. Die byzantinischen
Kaiser freilich behielten alle statliche Gewalt über das ganze
Reich in ihrer Hand vereinigt; aber in den untergeordneten
Stufen der Provincialregierung und Beamtungen wurden die
Civilstellen von den Militärstellen sorgfältig getrennt.
Diese Trennung, welche früherhin die Rücksicht auf die Unter-
thanen, auf welchen das Uebermasz der in den Magistraturen
vereinigten Befugnisse schwer gelegen, nicht bewirkt hatte,
ward nun um der Sicherheit des Thrones willen durchgeführt.
In der That lag hierin ein Fortschritt der statlichen Cultur
und der bürgerlichen Freiheit, welcher auch in dem moder-
nen State Anerkennung fand.

Im Mittelalter traf die Aeuszerung der Statsgewalt auf
allen Seiten auf Schranken, die ihr entgegen standen. Aber

1 Cicero de Legibus III, 3: „Omnes magistratus auspicium judiciumque
habento.“ Ulpianus in L. 2. D. de in jus vocando: „Magistratus, qui im-
perium
habent, qui coercere aliquem possunt, et jubere in carcerem duci.“
Ulpianus L. I. pr. D. si quis jus dicenti: „Omnibus magistratibus . . .
secundum jus potestatis suae concessum est jurisdictionem suam defen-
dere poenali judicio.“
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[586/0604] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. die Comitien verhandeln über wichtige auswärtige Statsfragen, in älterer Zeit auszerdem über Berufung gegen Todesurtheile. Der Senat aber übt nicht blosz Regierungs- und Verwaltungs- acte aus, sondern erläszt in seinen Beschlüssen auch allge- meine Rechtsvorschriften, ähnlich den Gesetzen. Die Magi- strate endlich verbinden ganz regelmäszig regierende und richterliche Befugnisse. Wer das imperium hat, der hat auch für den Umfang desselben die jurisdictio. 1 Zudem hat er priesterliche Functionen (die Auspicien). Und endlich übt er durch seine Edicte Befugnisse aus, welche in solcher Ausdehnung als gesetzgeberische bezeichnet werden müssen. Immerhin zeigt sich aber in dem alten Statsrecht der Repu- blik das bewuszte Streben, für bestimmte Zweige der öffent- lichen Thätigkeit auch besondere Aemter zu bilden. In dem spätern römischen Kaiserreiche kam zuerst eine neue persönliche Ausscheidung auf. Die byzantinischen Kaiser freilich behielten alle statliche Gewalt über das ganze Reich in ihrer Hand vereinigt; aber in den untergeordneten Stufen der Provincialregierung und Beamtungen wurden die Civilstellen von den Militärstellen sorgfältig getrennt. Diese Trennung, welche früherhin die Rücksicht auf die Unter- thanen, auf welchen das Uebermasz der in den Magistraturen vereinigten Befugnisse schwer gelegen, nicht bewirkt hatte, ward nun um der Sicherheit des Thrones willen durchgeführt. In der That lag hierin ein Fortschritt der statlichen Cultur und der bürgerlichen Freiheit, welcher auch in dem moder- nen State Anerkennung fand. Im Mittelalter traf die Aeuszerung der Statsgewalt auf allen Seiten auf Schranken, die ihr entgegen standen. Aber 1 Cicero de Legibus III, 3: „Omnes magistratus auspicium judiciumque habento.“ Ulpianus in L. 2. D. de in jus vocando: „Magistratus, qui im- perium habent, qui coercere aliquem possunt, et jubere in carcerem duci.“ Ulpianus L. I. pr. D. si quis jus dicenti: „Omnibus magistratibus . . . secundum jus potestatis suae concessum est jurisdictionem suam defen- dere poenali judicio.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/604>, abgerufen am 25.11.2024.