Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiundzwanzigstes Cap. IV. Demokr. Statsformen. B. Repräsentat.
Demokr.
nimmt in der schweizerischen Bundesverfassung die aus zwei
Räthen bestehende Bundesversammlung ein, der Bundes-
regierung gegenüber. 5

In Nordamerika besteht der Nationalcongresz und
der gesetzgebende Körper der Einzelstaten aus zwei Kam-
mern, die noch schärfer von der Regierung getrennt sind, und
in ihrer Vereinigung in der Regel wieder die gesetzgebende
Gewalt ausüben.

6. An der eigentlichen Regierung nimmt das Volk
selbst da nicht mehr unmittelbaren Antheil in neuerer Zeit,
wo sich für die Gesetzgebung die reine Demokratie erhalten
hat. Dieselbe wird in allen neuern Demokratien nicht von
dem Volke selbst, sondern im Namen des Volkes, und
somit durch beauftragte Stellvertreter des Volkes ver-
waltet. In den einen Ländern hat sich indessen das Volk
doch die Wahl des Hauptes der Regierung selber vorbehalten.
In den nordamerikanischen Freistaten werden die Statthalter
gewöhnlich von der gesammten Bürgerschaft gewählt, ebenso
die Statsräthe von Genf. 6 Der Präsident der Union wird durch
Wahlmänner gewählt, welche von den Urwählern der Landes-
staten erwählt werden. In andern dagegen ist die Wahl dem
gesetzgebenden Körper übertragen, der somit auch darin das
Volk repräsentirt, dasz er die obersten Aemter bestellt. Dem

übertragen. Ihm steht die Gesetzgebung und die Oberaufsicht über die
Landesverwaltung zu. Er ist Stellvertreter des Cantons nach auszen."
Cherbuliez, de la democratie en Suisse. II. S. 35 ff.
5 Bundesverfassung von 1848. §. 60: "Die oberste Gewalt des
Bundes wird durch die Bundesversammlung ausgeübt, welche aus zwei
Abtheilungen besteht: a) aus dem Nationalrath, b) aus dem Ständerath."
Bundesverfassung von 1874. Art. 71. Unter Vorbehalt der Rechte
des Volkes und der Cantone wird die oberste Gewalt des Bundes durch
die Bundesversammlung ausgeübt."
6 Ebenso war es nach der französischen
Verfassung von 1848. Art. 43:
"Le peuple francais delegue le pouvoir
executif a un citoyen qui recoit
le titre de president de la Republique." Tocqueville de la de mocratie en
Amerique. Tom. I.

Zweiundzwanzigstes Cap. IV. Demokr. Statsformen. B. Repräsentat.
Demokr.
nimmt in der schweizerischen Bundesverfassung die aus zwei
Räthen bestehende Bundesversammlung ein, der Bundes-
regierung gegenüber. 5

In Nordamerika besteht der Nationalcongresz und
der gesetzgebende Körper der Einzelstaten aus zwei Kam-
mern, die noch schärfer von der Regierung getrennt sind, und
in ihrer Vereinigung in der Regel wieder die gesetzgebende
Gewalt ausüben.

6. An der eigentlichen Regierung nimmt das Volk
selbst da nicht mehr unmittelbaren Antheil in neuerer Zeit,
wo sich für die Gesetzgebung die reine Demokratie erhalten
hat. Dieselbe wird in allen neuern Demokratien nicht von
dem Volke selbst, sondern im Namen des Volkes, und
somit durch beauftragte Stellvertreter des Volkes ver-
waltet. In den einen Ländern hat sich indessen das Volk
doch die Wahl des Hauptes der Regierung selber vorbehalten.
In den nordamerikanischen Freistaten werden die Statthalter
gewöhnlich von der gesammten Bürgerschaft gewählt, ebenso
die Statsräthe von Genf. 6 Der Präsident der Union wird durch
Wahlmänner gewählt, welche von den Urwählern der Landes-
staten erwählt werden. In andern dagegen ist die Wahl dem
gesetzgebenden Körper übertragen, der somit auch darin das
Volk repräsentirt, dasz er die obersten Aemter bestellt. Dem

übertragen. Ihm steht die Gesetzgebung und die Oberaufsicht über die
Landesverwaltung zu. Er ist Stellvertreter des Cantons nach auszen.“
Cherbuliez, de la démocratie en Suisse. II. S. 35 ff.
5 Bundesverfassung von 1848. §. 60: „Die oberste Gewalt des
Bundes wird durch die Bundesversammlung ausgeübt, welche aus zwei
Abtheilungen besteht: a) aus dem Nationalrath, b) aus dem Ständerath.“
Bundesverfassung von 1874. Art. 71. Unter Vorbehalt der Rechte
des Volkes und der Cantone wird die oberste Gewalt des Bundes durch
die Bundesversammlung ausgeübt.“
6 Ebenso war es nach der französischen
Verfassung von 1848. Art. 43:
„Le peuple français délègue le pouvoir
exécutif à un citoyen qui reçoit
le titre de président de la République.“ Tocqueville de la dé mocratie en
Amérique. Tom. I.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0565" n="547"/><fw place="top" type="header">Zweiundzwanzigstes Cap. IV. Demokr. Statsformen. B. Repräsentat.<lb/>
Demokr.</fw><lb/>
nimmt in der schweizerischen Bundesverfassung die aus zwei<lb/>
Räthen bestehende <hi rendition="#g">Bundesversammlung</hi> ein, der Bundes-<lb/>
regierung gegenüber. <note place="foot" n="5"><hi rendition="#g">Bundesverfassung</hi> von 1848. §. 60: &#x201E;Die oberste Gewalt des<lb/>
Bundes wird durch die Bundesversammlung ausgeübt, welche aus zwei<lb/>
Abtheilungen besteht: a) aus dem Nationalrath, b) aus dem Ständerath.&#x201C;<lb/><hi rendition="#g">Bundesverfassung</hi> von 1874. Art. 71. Unter Vorbehalt der Rechte<lb/>
des Volkes und der Cantone wird die oberste Gewalt des Bundes durch<lb/>
die Bundesversammlung ausgeübt.&#x201C;</note></p><lb/>
          <p>In <hi rendition="#g">Nordamerika</hi> besteht der <hi rendition="#g">Nationalcongresz</hi> und<lb/>
der <hi rendition="#g">gesetzgebende Körper</hi> der Einzelstaten aus zwei Kam-<lb/>
mern, die noch schärfer von der Regierung getrennt sind, und<lb/>
in ihrer Vereinigung in der Regel wieder die gesetzgebende<lb/>
Gewalt ausüben.</p><lb/>
          <p>6. An der eigentlichen <hi rendition="#g">Regierung</hi> nimmt das Volk<lb/>
selbst da nicht mehr unmittelbaren Antheil in neuerer Zeit,<lb/>
wo sich für die Gesetzgebung die reine Demokratie erhalten<lb/>
hat. Dieselbe wird in allen neuern Demokratien nicht von<lb/>
dem Volke selbst, sondern im <hi rendition="#g">Namen des Volkes</hi>, und<lb/>
somit durch <hi rendition="#g">beauftragte Stellvertreter</hi> des Volkes ver-<lb/>
waltet. In den einen Ländern hat sich indessen das Volk<lb/>
doch die Wahl des Hauptes der Regierung selber vorbehalten.<lb/>
In den nordamerikanischen Freistaten werden die Statthalter<lb/>
gewöhnlich von der gesammten Bürgerschaft gewählt, ebenso<lb/>
die Statsräthe von Genf. <note place="foot" n="6">Ebenso war es nach der französischen<lb/>
Verfassung von 1848. Art. 43:<lb/>
&#x201E;Le peuple français délègue le pouvoir<lb/>
exécutif à un citoyen qui reçoit<lb/>
le titre de président de la République.&#x201C; <hi rendition="#i">Tocqueville</hi> de la dé mocratie en<lb/>
Amérique. Tom. I.</note> Der Präsident der Union wird durch<lb/>
Wahlmänner gewählt, welche von den Urwählern der Landes-<lb/>
staten erwählt werden. In andern dagegen ist die Wahl dem<lb/>
gesetzgebenden Körper übertragen, der somit auch darin das<lb/>
Volk repräsentirt, dasz er die obersten Aemter bestellt. Dem<lb/><note xml:id="note-0565" prev="#note-0564" place="foot" n="4">übertragen. Ihm steht die Gesetzgebung und die Oberaufsicht über die<lb/>
Landesverwaltung zu. Er ist Stellvertreter des Cantons nach auszen.&#x201C;<lb/><hi rendition="#i">Cherbuliez</hi>, de la démocratie en Suisse. II. S. 35 ff.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[547/0565] Zweiundzwanzigstes Cap. IV. Demokr. Statsformen. B. Repräsentat. Demokr. nimmt in der schweizerischen Bundesverfassung die aus zwei Räthen bestehende Bundesversammlung ein, der Bundes- regierung gegenüber. 5 In Nordamerika besteht der Nationalcongresz und der gesetzgebende Körper der Einzelstaten aus zwei Kam- mern, die noch schärfer von der Regierung getrennt sind, und in ihrer Vereinigung in der Regel wieder die gesetzgebende Gewalt ausüben. 6. An der eigentlichen Regierung nimmt das Volk selbst da nicht mehr unmittelbaren Antheil in neuerer Zeit, wo sich für die Gesetzgebung die reine Demokratie erhalten hat. Dieselbe wird in allen neuern Demokratien nicht von dem Volke selbst, sondern im Namen des Volkes, und somit durch beauftragte Stellvertreter des Volkes ver- waltet. In den einen Ländern hat sich indessen das Volk doch die Wahl des Hauptes der Regierung selber vorbehalten. In den nordamerikanischen Freistaten werden die Statthalter gewöhnlich von der gesammten Bürgerschaft gewählt, ebenso die Statsräthe von Genf. 6 Der Präsident der Union wird durch Wahlmänner gewählt, welche von den Urwählern der Landes- staten erwählt werden. In andern dagegen ist die Wahl dem gesetzgebenden Körper übertragen, der somit auch darin das Volk repräsentirt, dasz er die obersten Aemter bestellt. Dem 4 5 Bundesverfassung von 1848. §. 60: „Die oberste Gewalt des Bundes wird durch die Bundesversammlung ausgeübt, welche aus zwei Abtheilungen besteht: a) aus dem Nationalrath, b) aus dem Ständerath.“ Bundesverfassung von 1874. Art. 71. Unter Vorbehalt der Rechte des Volkes und der Cantone wird die oberste Gewalt des Bundes durch die Bundesversammlung ausgeübt.“ 6 Ebenso war es nach der französischen Verfassung von 1848. Art. 43: „Le peuple français délègue le pouvoir exécutif à un citoyen qui reçoit le titre de président de la République.“ Tocqueville de la dé mocratie en Amérique. Tom. I. 4 übertragen. Ihm steht die Gesetzgebung und die Oberaufsicht über die Landesverwaltung zu. Er ist Stellvertreter des Cantons nach auszen.“ Cherbuliez, de la démocratie en Suisse. II. S. 35 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/565
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/565>, abgerufen am 21.11.2024.