Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich.
liesz sich nicht mit der religiösen Betrachtung der Perser von dem göttlichen Königthum vereinigen. Die makedonische Monarchie konnte nicht zugleich asiatische Theokratie sein. Die Orientalen glaubten willig, dasz Alexander der Sohn des höchsten Gottes sei, die Europäer wurden von der Zumuthung angewidert, dem menschlichen Herrscher göttliche Ehre zu erweisen.
Und die Völker wurden verwirrt. Die hellenische Wissen- schaft und Cultur befreite wohl die orientalische Welt aus den strengen Banden der religiös-politischen Beschränkung, aber ihre Wirkung war mehr Auflösung der alten, nicht Schöpfung einer neuen Welt. Die Vergöttlichung des Men- schen verdrängte die Ehrfurcht vor den alten Göttern; und die liederlich gewordene Cultur der Europäer half mit, den Orient vollends zu entnerven.
Einen dauerhafteren und nachhaltigeren Erfolg hat der Versuch der Römer gehabt, die Weltherrschaft zu er- obern. Das römische Reich war ein Weltreich. Das ganze römische Volk fühlte sich berufen, seine Statsidee über die Erde zu verbreiten, und alle Völker der römischen Hoheit zu unterwerfen. Die männliche Kraft und die eherne Gewalt des römischen Charakters überwand die zahlreichen Nationen, die sich ihrem Siegeszug über den Erdkreis entgegenzusetzen wagten: und schon war der römische Stat mit seinen Rechts- institutionen von Granit in drei Welttheilen auf festen Grund- lagen aufgebaut. Der gröszte Römer Julius Cäsar hat der Nachwelt die Kaiseridee als Erbgut hinterlassen und in ihr eine Autorität begründet, welche über die nationalen Schran- ken hinaus die Welt umspannt.
Aber auch das Streben der Römer ist von der Welt- geschichte gerichtet. Es war nicht, wie das Alexanders auf die Mischung der Völker, sondern auf die höhere Natur Eines Volkes gegründet, welches der Menschheit seinen Volkscharakter einprägen, die Welt romanisiren wollte.
Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich.
liesz sich nicht mit der religiösen Betrachtung der Perser von dem göttlichen Königthum vereinigen. Die makedonische Monarchie konnte nicht zugleich asiatische Theokratie sein. Die Orientalen glaubten willig, dasz Alexander der Sohn des höchsten Gottes sei, die Europäer wurden von der Zumuthung angewidert, dem menschlichen Herrscher göttliche Ehre zu erweisen.
Und die Völker wurden verwirrt. Die hellenische Wissen- schaft und Cultur befreite wohl die orientalische Welt aus den strengen Banden der religiös-politischen Beschränkung, aber ihre Wirkung war mehr Auflösung der alten, nicht Schöpfung einer neuen Welt. Die Vergöttlichung des Men- schen verdrängte die Ehrfurcht vor den alten Göttern; und die liederlich gewordene Cultur der Europäer half mit, den Orient vollends zu entnerven.
Einen dauerhafteren und nachhaltigeren Erfolg hat der Versuch der Römer gehabt, die Weltherrschaft zu er- obern. Das römische Reich war ein Weltreich. Das ganze römische Volk fühlte sich berufen, seine Statsidee über die Erde zu verbreiten, und alle Völker der römischen Hoheit zu unterwerfen. Die männliche Kraft und die eherne Gewalt des römischen Charakters überwand die zahlreichen Nationen, die sich ihrem Siegeszug über den Erdkreis entgegenzusetzen wagten: und schon war der römische Stat mit seinen Rechts- institutionen von Granit in drei Welttheilen auf festen Grund- lagen aufgebaut. Der gröszte Römer Julius Cäsar hat der Nachwelt die Kaiseridee als Erbgut hinterlassen und in ihr eine Autorität begründet, welche über die nationalen Schran- ken hinaus die Welt umspannt.
Aber auch das Streben der Römer ist von der Welt- geschichte gerichtet. Es war nicht, wie das Alexanders auf die Mischung der Völker, sondern auf die höhere Natur Eines Volkes gegründet, welches der Menschheit seinen Volkscharakter einprägen, die Welt romanisiren wollte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0047"n="29"/><fwplace="top"type="header">Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich.</fw><lb/>
liesz sich nicht mit der religiösen Betrachtung der Perser<lb/>
von dem göttlichen Königthum vereinigen. Die makedonische<lb/>
Monarchie konnte nicht zugleich asiatische Theokratie sein.<lb/>
Die Orientalen glaubten willig, dasz Alexander der Sohn des<lb/>
höchsten Gottes sei, die Europäer wurden von der Zumuthung<lb/>
angewidert, dem menschlichen Herrscher göttliche Ehre zu<lb/>
erweisen.</p><lb/><p>Und die Völker wurden verwirrt. Die hellenische Wissen-<lb/>
schaft und Cultur befreite wohl die orientalische Welt aus<lb/>
den strengen Banden der religiös-politischen Beschränkung,<lb/>
aber ihre Wirkung war mehr Auflösung der alten, nicht<lb/>
Schöpfung einer neuen Welt. Die Vergöttlichung des Men-<lb/>
schen verdrängte die Ehrfurcht vor den alten Göttern; und<lb/>
die liederlich gewordene Cultur der Europäer half mit, den<lb/>
Orient vollends zu entnerven.</p><lb/><p>Einen dauerhafteren und nachhaltigeren Erfolg hat der<lb/>
Versuch der <hirendition="#g">Römer</hi> gehabt, die <hirendition="#g">Weltherrschaft</hi> zu er-<lb/>
obern. Das römische Reich war ein Weltreich. Das ganze<lb/>
römische Volk fühlte sich berufen, seine Statsidee über die<lb/>
Erde zu verbreiten, und alle Völker der römischen Hoheit zu<lb/>
unterwerfen. Die männliche Kraft und die eherne Gewalt des<lb/>
römischen Charakters überwand die zahlreichen Nationen, die<lb/>
sich ihrem Siegeszug über den Erdkreis entgegenzusetzen<lb/>
wagten: und schon war der römische Stat mit seinen Rechts-<lb/>
institutionen von Granit in drei Welttheilen auf festen Grund-<lb/>
lagen aufgebaut. Der gröszte Römer <hirendition="#g">Julius Cäsar</hi> hat der<lb/>
Nachwelt die Kaiseridee als Erbgut hinterlassen und in ihr<lb/>
eine Autorität begründet, welche über die nationalen Schran-<lb/>
ken hinaus die Welt umspannt.</p><lb/><p>Aber auch das Streben der Römer ist von der Welt-<lb/>
geschichte gerichtet. Es war nicht, wie das Alexanders auf<lb/>
die <hirendition="#g">Mischung der Völker</hi>, sondern auf die <hirendition="#g">höhere<lb/>
Natur Eines Volkes</hi> gegründet, welches der Menschheit<lb/>
seinen Volkscharakter einprägen, die Welt romanisiren wollte.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[29/0047]
Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich.
liesz sich nicht mit der religiösen Betrachtung der Perser
von dem göttlichen Königthum vereinigen. Die makedonische
Monarchie konnte nicht zugleich asiatische Theokratie sein.
Die Orientalen glaubten willig, dasz Alexander der Sohn des
höchsten Gottes sei, die Europäer wurden von der Zumuthung
angewidert, dem menschlichen Herrscher göttliche Ehre zu
erweisen.
Und die Völker wurden verwirrt. Die hellenische Wissen-
schaft und Cultur befreite wohl die orientalische Welt aus
den strengen Banden der religiös-politischen Beschränkung,
aber ihre Wirkung war mehr Auflösung der alten, nicht
Schöpfung einer neuen Welt. Die Vergöttlichung des Men-
schen verdrängte die Ehrfurcht vor den alten Göttern; und
die liederlich gewordene Cultur der Europäer half mit, den
Orient vollends zu entnerven.
Einen dauerhafteren und nachhaltigeren Erfolg hat der
Versuch der Römer gehabt, die Weltherrschaft zu er-
obern. Das römische Reich war ein Weltreich. Das ganze
römische Volk fühlte sich berufen, seine Statsidee über die
Erde zu verbreiten, und alle Völker der römischen Hoheit zu
unterwerfen. Die männliche Kraft und die eherne Gewalt des
römischen Charakters überwand die zahlreichen Nationen, die
sich ihrem Siegeszug über den Erdkreis entgegenzusetzen
wagten: und schon war der römische Stat mit seinen Rechts-
institutionen von Granit in drei Welttheilen auf festen Grund-
lagen aufgebaut. Der gröszte Römer Julius Cäsar hat der
Nachwelt die Kaiseridee als Erbgut hinterlassen und in ihr
eine Autorität begründet, welche über die nationalen Schran-
ken hinaus die Welt umspannt.
Aber auch das Streben der Römer ist von der Welt-
geschichte gerichtet. Es war nicht, wie das Alexanders auf
die Mischung der Völker, sondern auf die höhere
Natur Eines Volkes gegründet, welches der Menschheit
seinen Volkscharakter einprägen, die Welt romanisiren wollte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/47>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.