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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
male. Sie machte sogar beidemale die entschiedensten Fort-
schritte. Von der ersten aristokratischen Revolution datirt die
Berufung der Abgeordneten der Städte zum Parlament
(zuerst 1264), die Anlage des spätern Unterhauses. Die
zweite fand ihren definitiven Abschlusz in der Begründung
des modernen Königthums im Jahr 1689. Von da an
kommt die eigentliche constitutionelle Monarchie als
eine nationale Institution zur Erscheinung. 2


2 Der grosze Geschichtsschreiber der neuen englischen Geschichte
Macaulay (Engl. Gesch. II. S. 607) charakterisirt den Uebergang aus
der mittelalterlichen Vorstellungsweise in die moderne so: "Lange Zeit
hatte leider die Kirche die Nation gelehrt, dasz die Erbmonarchie allein
unter unsern Institutionen göttlich und unverletzlich sei, dasz das Recht
des Hauses der Gemeinen auf einen Antheil an der gesetzgebenden Ge-
walt ein blos menschliches Recht sei, dasz aber das Recht des
Königs auf den Gehorsam seines Volkes von oben stamme; dasz die
Magna Charta ein Gesetz sei, was von denen, die es gemacht hatten,
wieder aufgehoben werden möge, dasz aber die Regel, welche die Prin-
zen von königlichem Geblüt nach der Erbfolgeordnung zum Throne be-
rufe, himmlischen Ursprungs und dasz jeder mit dieser Regel nicht über-
einstimmende Act des Parlamentes nichtig sei. Es ist augenscheinlich,
dasz in einer Gesellschaft, in welcher solche Wahnbegriffe vorwalten,
verfassungsmäszige Freiheit immer unsicher sein musz. Eine Macht,
welche blosz als eine menschliche Ordnung betrachtet wird, kann
kein wirksamer Zügel einer Macht sein, die als Ordnung Gottes be-
trachtet wird. Die Hoffnung ist eitel, dasz Gesetze, wie trefflich sie
auch sein mögen, fortwährend einen König zügeln werden, der nach
seiner eigenen Meinung und nach der eines groszen Theiles seines Volks
eine Autorität von unendlich höherer Natur hat als die Autorität, welche
diesen Gesetzen zusteht. Das Königthum dieser geheimniszvollen Attri-
bute zu entkleiden und den Grundsatz festzustellen, dasz die Könige
nach einem in keiner Weise andern Rechte regierten, als nach welchem
Freisassen die Ritter der Grafschaft erwählten oder Richter Habeas corpus
Befehle ertheilten, war für die Sicherheit unserer Freiheiten unbedingt
nothwendig. -- Dieses Ziel wurde erreicht durch den Beschlusz, welcher
den Thron für erledigt erklärte und Wilhelm und Marie einlud,
ihn einzunehmen." Eine gute und zwischen Radicalismus und Liberalis-
mus wohl unterscheidende Darstellung gibt A. Zimmermann in seiner
kurzen historischen Entwicklung des parlamentar. Regierungssystems in
England. Berlin 1849.

Sechstes Buch. Die Statsformen.
male. Sie machte sogar beidemale die entschiedensten Fort-
schritte. Von der ersten aristokratischen Revolution datirt die
Berufung der Abgeordneten der Städte zum Parlament
(zuerst 1264), die Anlage des spätern Unterhauses. Die
zweite fand ihren definitiven Abschlusz in der Begründung
des modernen Königthums im Jahr 1689. Von da an
kommt die eigentliche constitutionelle Monarchie als
eine nationale Institution zur Erscheinung. 2


2 Der grosze Geschichtsschreiber der neuen englischen Geschichte
Macaulay (Engl. Gesch. II. S. 607) charakterisirt den Uebergang aus
der mittelalterlichen Vorstellungsweise in die moderne so: „Lange Zeit
hatte leider die Kirche die Nation gelehrt, dasz die Erbmonarchie allein
unter unsern Institutionen göttlich und unverletzlich sei, dasz das Recht
des Hauses der Gemeinen auf einen Antheil an der gesetzgebenden Ge-
walt ein blos menschliches Recht sei, dasz aber das Recht des
Königs auf den Gehorsam seines Volkes von oben stamme; dasz die
Magna Charta ein Gesetz sei, was von denen, die es gemacht hatten,
wieder aufgehoben werden möge, dasz aber die Regel, welche die Prin-
zen von königlichem Geblüt nach der Erbfolgeordnung zum Throne be-
rufe, himmlischen Ursprungs und dasz jeder mit dieser Regel nicht über-
einstimmende Act des Parlamentes nichtig sei. Es ist augenscheinlich,
dasz in einer Gesellschaft, in welcher solche Wahnbegriffe vorwalten,
verfassungsmäszige Freiheit immer unsicher sein musz. Eine Macht,
welche blosz als eine menschliche Ordnung betrachtet wird, kann
kein wirksamer Zügel einer Macht sein, die als Ordnung Gottes be-
trachtet wird. Die Hoffnung ist eitel, dasz Gesetze, wie trefflich sie
auch sein mögen, fortwährend einen König zügeln werden, der nach
seiner eigenen Meinung und nach der eines groszen Theiles seines Volks
eine Autorität von unendlich höherer Natur hat als die Autorität, welche
diesen Gesetzen zusteht. Das Königthum dieser geheimniszvollen Attri-
bute zu entkleiden und den Grundsatz festzustellen, dasz die Könige
nach einem in keiner Weise andern Rechte regierten, als nach welchem
Freisassen die Ritter der Grafschaft erwählten oder Richter Habeas corpus
Befehle ertheilten, war für die Sicherheit unserer Freiheiten unbedingt
nothwendig. — Dieses Ziel wurde erreicht durch den Beschlusz, welcher
den Thron für erledigt erklärte und Wilhelm und Marie einlud,
ihn einzunehmen.“ Eine gute und zwischen Radicalismus und Liberalis-
mus wohl unterscheidende Darstellung gibt A. Zimmermann in seiner
kurzen historischen Entwicklung des parlamentar. Regierungssystems in
England. Berlin 1849.
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[450/0468] Sechstes Buch. Die Statsformen. male. Sie machte sogar beidemale die entschiedensten Fort- schritte. Von der ersten aristokratischen Revolution datirt die Berufung der Abgeordneten der Städte zum Parlament (zuerst 1264), die Anlage des spätern Unterhauses. Die zweite fand ihren definitiven Abschlusz in der Begründung des modernen Königthums im Jahr 1689. Von da an kommt die eigentliche constitutionelle Monarchie als eine nationale Institution zur Erscheinung. 2 2 Der grosze Geschichtsschreiber der neuen englischen Geschichte Macaulay (Engl. Gesch. II. S. 607) charakterisirt den Uebergang aus der mittelalterlichen Vorstellungsweise in die moderne so: „Lange Zeit hatte leider die Kirche die Nation gelehrt, dasz die Erbmonarchie allein unter unsern Institutionen göttlich und unverletzlich sei, dasz das Recht des Hauses der Gemeinen auf einen Antheil an der gesetzgebenden Ge- walt ein blos menschliches Recht sei, dasz aber das Recht des Königs auf den Gehorsam seines Volkes von oben stamme; dasz die Magna Charta ein Gesetz sei, was von denen, die es gemacht hatten, wieder aufgehoben werden möge, dasz aber die Regel, welche die Prin- zen von königlichem Geblüt nach der Erbfolgeordnung zum Throne be- rufe, himmlischen Ursprungs und dasz jeder mit dieser Regel nicht über- einstimmende Act des Parlamentes nichtig sei. Es ist augenscheinlich, dasz in einer Gesellschaft, in welcher solche Wahnbegriffe vorwalten, verfassungsmäszige Freiheit immer unsicher sein musz. Eine Macht, welche blosz als eine menschliche Ordnung betrachtet wird, kann kein wirksamer Zügel einer Macht sein, die als Ordnung Gottes be- trachtet wird. Die Hoffnung ist eitel, dasz Gesetze, wie trefflich sie auch sein mögen, fortwährend einen König zügeln werden, der nach seiner eigenen Meinung und nach der eines groszen Theiles seines Volks eine Autorität von unendlich höherer Natur hat als die Autorität, welche diesen Gesetzen zusteht. Das Königthum dieser geheimniszvollen Attri- bute zu entkleiden und den Grundsatz festzustellen, dasz die Könige nach einem in keiner Weise andern Rechte regierten, als nach welchem Freisassen die Ritter der Grafschaft erwählten oder Richter Habeas corpus Befehle ertheilten, war für die Sicherheit unserer Freiheiten unbedingt nothwendig. — Dieses Ziel wurde erreicht durch den Beschlusz, welcher den Thron für erledigt erklärte und Wilhelm und Marie einlud, ihn einzunehmen.“ Eine gute und zwischen Radicalismus und Liberalis- mus wohl unterscheidende Darstellung gibt A. Zimmermann in seiner kurzen historischen Entwicklung des parlamentar. Regierungssystems in England. Berlin 1849.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/468>, abgerufen am 03.05.2024.