der Politik und an der Gesetzgebung einen erheblichen An- theil zu nehmen. Sie wirkt wie die Materie durch ihre Schwere.
Vierzehntes Capitel. G. Die constitutionelle Monarchie. 1. Die Entstehung und Verbreitung der constitutionellen Monarchie.
Die constitutionelle Monarchie ist zwar die Frucht der neuen Zeit. Aber der Keim, dessen Wachsthum vorhergehen muszte, bevor diese Frucht reifen konnte, ist, wie Montes- quieu richtig bemerkt hat, schon "in den Wäldern der ger- manischen Vorzeit" zu finden. Der erste grosze, aber noch unreife Versuch zu der Statenbildung, welche wir nunmehr als die constitutionelle bezeichnen, wurde in den Reichen gemacht, die auf römischem Boden von germanischen Fürsten gegründet wurden, als zuerst römische Statsideen sich mit germanischen Rechten vermählten.
Dann folgte die Lehensmonarchie und das ständische Fürstenthum mit ihrer mächtigen Aristokratie. Die Einheit des States aber ging verloren. Die Wohlfahrt des Volkes ver- kümmerte, das Königthum war voller Glanz und Ehre, aber ohne Macht. Und wieder erhob sich der nationale Zug nach Einheit, wieder wurde der germanische Feudalstat durch römische Stats- principien beleuchtet und befruchtet. Auch die Völker regten sich wieder; aber voraus langten die Fürsten nach dem eiser- nen Scepter der absoluten Gewalt. Die Kämpfe der Stände begannen, unter einander und mit den Fürsten. Als das Mittelalter wich, da fing die moderne Statsverfassung an zu zeitigen. Im Groszen ist sie das Ziel einer mehr als tausendjährigen Geschichte, die Vollendung des romano-
Sechstes Buch. Die Statsformen.
der Politik und an der Gesetzgebung einen erheblichen An- theil zu nehmen. Sie wirkt wie die Materie durch ihre Schwere.
Vierzehntes Capitel. G. Die constitutionelle Monarchie. 1. Die Entstehung und Verbreitung der constitutionellen Monarchie.
Die constitutionelle Monarchie ist zwar die Frucht der neuen Zeit. Aber der Keim, dessen Wachsthum vorhergehen muszte, bevor diese Frucht reifen konnte, ist, wie Montes- quieu richtig bemerkt hat, schon „in den Wäldern der ger- manischen Vorzeit“ zu finden. Der erste grosze, aber noch unreife Versuch zu der Statenbildung, welche wir nunmehr als die constitutionelle bezeichnen, wurde in den Reichen gemacht, die auf römischem Boden von germanischen Fürsten gegründet wurden, als zuerst römische Statsideen sich mit germanischen Rechten vermählten.
Dann folgte die Lehensmonarchie und das ständische Fürstenthum mit ihrer mächtigen Aristokratie. Die Einheit des States aber ging verloren. Die Wohlfahrt des Volkes ver- kümmerte, das Königthum war voller Glanz und Ehre, aber ohne Macht. Und wieder erhob sich der nationale Zug nach Einheit, wieder wurde der germanische Feudalstat durch römische Stats- principien beleuchtet und befruchtet. Auch die Völker regten sich wieder; aber voraus langten die Fürsten nach dem eiser- nen Scepter der absoluten Gewalt. Die Kämpfe der Stände begannen, unter einander und mit den Fürsten. Als das Mittelalter wich, da fing die moderne Statsverfassung an zu zeitigen. Im Groszen ist sie das Ziel einer mehr als tausendjährigen Geschichte, die Vollendung des romano-
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Sechstes Buch. Die Statsformen.
der Politik und an der Gesetzgebung einen erheblichen An-
theil zu nehmen. Sie wirkt wie die Materie durch ihre
Schwere.
Vierzehntes Capitel.
G. Die constitutionelle Monarchie.
1. Die Entstehung und Verbreitung der constitutionellen
Monarchie.
Die constitutionelle Monarchie ist zwar die Frucht der
neuen Zeit. Aber der Keim, dessen Wachsthum vorhergehen
muszte, bevor diese Frucht reifen konnte, ist, wie Montes-
quieu richtig bemerkt hat, schon „in den Wäldern der ger-
manischen Vorzeit“ zu finden. Der erste grosze, aber noch
unreife Versuch zu der Statenbildung, welche wir nunmehr
als die constitutionelle bezeichnen, wurde in den Reichen
gemacht, die auf römischem Boden von germanischen Fürsten
gegründet wurden, als zuerst römische Statsideen sich mit
germanischen Rechten vermählten.
Dann folgte die Lehensmonarchie und das ständische
Fürstenthum mit ihrer mächtigen Aristokratie. Die Einheit
des States aber ging verloren. Die Wohlfahrt des Volkes ver-
kümmerte, das Königthum war voller Glanz und Ehre, aber ohne
Macht. Und wieder erhob sich der nationale Zug nach Einheit,
wieder wurde der germanische Feudalstat durch römische Stats-
principien beleuchtet und befruchtet. Auch die Völker regten
sich wieder; aber voraus langten die Fürsten nach dem eiser-
nen Scepter der absoluten Gewalt. Die Kämpfe der Stände
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/466>, abgerufen am 23.11.2024.
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