Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Die Statsformen.
War er eine schwache Natur wie Karl II. von England, Fer-
dinand
VII. von Spanien, oder Ludwig XV. von Frank-
reich, so schwelgten andere in der Willkür, die dem Könige
allein vorbehalten, seinen Händen aber entwunden war. Die
Völker aber versanken überall in namenloses Elend. Wer
die Wirkungen der Absolutie in dem civilisirten Europa kennen
lernen will, der studire die spanischen oder italischen oder
österreichischen Geisteszustände von 1540 bis 1740. 7

Uebrigens standen dieser Anmaszung auf dem alten Boden
der europäischen Verhältnisse so viele Ueberlieferungen wider-
strebender Rechtsansichten und so bedeutende und feste In-
stitutionen entgegen, dasz es doch nirgends zu einer voll-
ständigen und bleibenden Geltung eines Statsprincips kam,
welches den asiatischen Despotien gemäsz, dem europäischen
Leben aber fremd war. Als in England die restaurirte Dy-
nastie der Stuarts auf ähnliche Abwege gerieth, und Jakob II.
versuchte, die uralten und verbrieften Rechte des Parlaments
und die neuere Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse nach
Willkür zu verletzen, als er das Beispiel Ludwigs XIV. eigen-
sinnig nachahmte, und selbst den gesetzlichen Widerstand
der loyalen Freunde des Thrones und der Verfassung mit
Verachtung behandelte, da büszte er die verwirkte Herrschaft
ein, und die Vereinigung Wilhelms von Oranien, des
gröszten Statsmannes und Fürsten dieser Zeit, mit dem eng-
lischen Volk hatte die feste Begründung des modernen Re-
präsentativsystems
zur Folge.

Die zweimalige und entscheidende Niederlage der abso-
luten Monarchie in England hat zwar nicht sofort den Unter-
gang dieses Verfassungssystems in Europa nach sich gezogen.
Aber die Zuversicht in dasselbe ward erschüttert und all-

7 Laurent, Etudes sur l'hist. XI. 136. "Si la revolution avait be-
soin d'une justification, elle la trouverait dans l'incompatibilite radicale
de la monarchie absolue avec le droit et par suite avec les intrerets de
l'humanite."

Sechstes Buch. Die Statsformen.
War er eine schwache Natur wie Karl II. von England, Fer-
dinand
VII. von Spanien, oder Ludwig XV. von Frank-
reich, so schwelgten andere in der Willkür, die dem Könige
allein vorbehalten, seinen Händen aber entwunden war. Die
Völker aber versanken überall in namenloses Elend. Wer
die Wirkungen der Absolutie in dem civilisirten Europa kennen
lernen will, der studire die spanischen oder italischen oder
österreichischen Geisteszustände von 1540 bis 1740. 7

Uebrigens standen dieser Anmaszung auf dem alten Boden
der europäischen Verhältnisse so viele Ueberlieferungen wider-
strebender Rechtsansichten und so bedeutende und feste In-
stitutionen entgegen, dasz es doch nirgends zu einer voll-
ständigen und bleibenden Geltung eines Statsprincips kam,
welches den asiatischen Despotien gemäsz, dem europäischen
Leben aber fremd war. Als in England die restaurirte Dy-
nastie der Stuarts auf ähnliche Abwege gerieth, und Jakob II.
versuchte, die uralten und verbrieften Rechte des Parlaments
und die neuere Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse nach
Willkür zu verletzen, als er das Beispiel Ludwigs XIV. eigen-
sinnig nachahmte, und selbst den gesetzlichen Widerstand
der loyalen Freunde des Thrones und der Verfassung mit
Verachtung behandelte, da büszte er die verwirkte Herrschaft
ein, und die Vereinigung Wilhelms von Oranien, des
gröszten Statsmannes und Fürsten dieser Zeit, mit dem eng-
lischen Volk hatte die feste Begründung des modernen Re-
präsentativsystems
zur Folge.

Die zweimalige und entscheidende Niederlage der abso-
luten Monarchie in England hat zwar nicht sofort den Unter-
gang dieses Verfassungssystems in Europa nach sich gezogen.
Aber die Zuversicht in dasselbe ward erschüttert und all-

7 Laurent, Études sur l'hist. XI. 136. „Si la révolution avait be-
soin d'une justification, elle la trouverait dans l'incompatibilité radicale
de la monarchie absolue avec le droit et par suite avec les intrérêts de
l'humanité.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0464" n="446"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
War er eine schwache Natur wie <hi rendition="#g">Karl</hi> II. von England, <hi rendition="#g">Fer-<lb/>
dinand</hi> VII. von Spanien, oder <hi rendition="#g">Ludwig</hi> XV. von Frank-<lb/>
reich, so schwelgten andere in der Willkür, die dem Könige<lb/>
allein vorbehalten, seinen Händen aber entwunden war. Die<lb/>
Völker aber versanken überall in namenloses Elend. Wer<lb/>
die Wirkungen der Absolutie in dem civilisirten Europa kennen<lb/>
lernen will, der studire die spanischen oder italischen oder<lb/>
österreichischen Geisteszustände von 1540 bis 1740. <note place="foot" n="7"><hi rendition="#g">Laurent</hi>, Études sur l'hist. XI. 136. &#x201E;Si la révolution avait be-<lb/>
soin d'une justification, elle la trouverait dans l'incompatibilité radicale<lb/>
de la monarchie absolue avec le droit et par suite avec les intrérêts de<lb/>
l'humanité.&#x201C;</note></p><lb/>
          <p>Uebrigens standen dieser Anmaszung auf dem alten Boden<lb/>
der europäischen Verhältnisse so viele Ueberlieferungen wider-<lb/>
strebender Rechtsansichten und so bedeutende und feste In-<lb/>
stitutionen entgegen, dasz es doch nirgends zu einer voll-<lb/>
ständigen und bleibenden Geltung eines Statsprincips kam,<lb/>
welches den asiatischen Despotien gemäsz, dem europäischen<lb/>
Leben aber fremd war. Als in England die restaurirte Dy-<lb/>
nastie der Stuarts auf ähnliche Abwege gerieth, und <hi rendition="#g">Jakob</hi> II.<lb/>
versuchte, die uralten und verbrieften Rechte des Parlaments<lb/>
und die neuere Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse nach<lb/>
Willkür zu verletzen, als er das Beispiel Ludwigs XIV. eigen-<lb/>
sinnig nachahmte, und selbst den gesetzlichen Widerstand<lb/>
der loyalen Freunde des Thrones und der Verfassung mit<lb/>
Verachtung behandelte, da büszte er die verwirkte Herrschaft<lb/>
ein, und die Vereinigung <hi rendition="#g">Wilhelms</hi> von Oranien, des<lb/>
gröszten Statsmannes und Fürsten dieser Zeit, mit dem eng-<lb/>
lischen Volk hatte die feste Begründung des <hi rendition="#g">modernen Re-<lb/>
präsentativsystems</hi> zur Folge.</p><lb/>
          <p>Die zweimalige und entscheidende Niederlage der abso-<lb/>
luten Monarchie in England hat zwar nicht sofort den Unter-<lb/>
gang dieses Verfassungssystems in Europa nach sich gezogen.<lb/>
Aber die Zuversicht in dasselbe ward erschüttert und all-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0464] Sechstes Buch. Die Statsformen. War er eine schwache Natur wie Karl II. von England, Fer- dinand VII. von Spanien, oder Ludwig XV. von Frank- reich, so schwelgten andere in der Willkür, die dem Könige allein vorbehalten, seinen Händen aber entwunden war. Die Völker aber versanken überall in namenloses Elend. Wer die Wirkungen der Absolutie in dem civilisirten Europa kennen lernen will, der studire die spanischen oder italischen oder österreichischen Geisteszustände von 1540 bis 1740. 7 Uebrigens standen dieser Anmaszung auf dem alten Boden der europäischen Verhältnisse so viele Ueberlieferungen wider- strebender Rechtsansichten und so bedeutende und feste In- stitutionen entgegen, dasz es doch nirgends zu einer voll- ständigen und bleibenden Geltung eines Statsprincips kam, welches den asiatischen Despotien gemäsz, dem europäischen Leben aber fremd war. Als in England die restaurirte Dy- nastie der Stuarts auf ähnliche Abwege gerieth, und Jakob II. versuchte, die uralten und verbrieften Rechte des Parlaments und die neuere Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse nach Willkür zu verletzen, als er das Beispiel Ludwigs XIV. eigen- sinnig nachahmte, und selbst den gesetzlichen Widerstand der loyalen Freunde des Thrones und der Verfassung mit Verachtung behandelte, da büszte er die verwirkte Herrschaft ein, und die Vereinigung Wilhelms von Oranien, des gröszten Statsmannes und Fürsten dieser Zeit, mit dem eng- lischen Volk hatte die feste Begründung des modernen Re- präsentativsystems zur Folge. Die zweimalige und entscheidende Niederlage der abso- luten Monarchie in England hat zwar nicht sofort den Unter- gang dieses Verfassungssystems in Europa nach sich gezogen. Aber die Zuversicht in dasselbe ward erschüttert und all- 7 Laurent, Études sur l'hist. XI. 136. „Si la révolution avait be- soin d'une justification, elle la trouverait dans l'incompatibilité radicale de la monarchie absolue avec le droit et par suite avec les intrérêts de l'humanité.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/464
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/464>, abgerufen am 02.05.2024.