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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zehntes Capitel. II. Monarch. Statsformen. C. Das römische Kaiserthum.
Gewalt von dem Volke übertragen. 2 Allein auf das Blut
und die Familienverbindung wurde dennoch bei der Aner-
kennung der Kaiser zwar nicht principiell, aber factisch in
den meisten Fällen Rücksicht genommen, und der anerkannte
Kaiser empfing jeder Zeit die kaiserliche Gewalt, welche an
Umfang der Gewalt des römischen Volkes selbst zur Zeit der
Republik gleichgeachtet wurde, zu persönlichem, vollem
Rechte
. Auch das Volk konnte dieselbe später nicht mehr
beschränken noch entziehen. Sie war durch die Ueberliefe-
rung
gesichert.

In ihr war -- abgesehen von den obigen Magistraturen,
die regelmäszig mit der kaiserlichen verbunden waren, und
diese sehr verstärkten -- enthalten:

1. Die Disposition und der Befehl über die gesammte
Kriegsmacht des States, zu Rom über die Garde der Prä-
torianer. Die Einführung stehender Heere, für die spä-
tere Grösze des Reiches ein Bedürfnisz, sicherte zugleich die
Existenz des Kaiserthums, und diente dazu, demselben überall
Gehorsam zu erzwingen. 3 In dieser Eigenschaft nahmen die
Kaiser den Titel der "Imperatoren" an, welcher vordem
eine andere Bedeutung gehabt hatte.

2. Die unbeschränkte Regierung über eine Anzahl,
und gerade die wichtigsten und reichsten Provinzen. Von
daher zogen die Kaiser unermeszliche Reichthümer und Kräfte
aller Art an sich. Im übrigen hatten die Provinzialen durch
die Statsveränderung bedeutend gewonnen. Ihre Groszen
wurden von dem Kaiser in den Senat berufen und mit

2 Ulpianus in L. 1. pr. de constitut. princip.:"Quod principi placuit,
legis habet vigorem, utpote, cum lege regia, quae de imperio ejus lata
est, populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem conferat.
Gaj. I. 5. §. 6. J. de jure nat.
3 Mäcenas empfahl daher auch dem Kaiser Augustus eindring-
lich, ein stehendes Heer (stratiotas athanatous) zu bilden, dagegen die
Masse der Bevölkerung den friedlichen Gewerben zu überlassen. Dio
Cass
. a. a. O.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 27

Zehntes Capitel. II. Monarch. Statsformen. C. Das römische Kaiserthum.
Gewalt von dem Volke übertragen. 2 Allein auf das Blut
und die Familienverbindung wurde dennoch bei der Aner-
kennung der Kaiser zwar nicht principiell, aber factisch in
den meisten Fällen Rücksicht genommen, und der anerkannte
Kaiser empfing jeder Zeit die kaiserliche Gewalt, welche an
Umfang der Gewalt des römischen Volkes selbst zur Zeit der
Republik gleichgeachtet wurde, zu persönlichem, vollem
Rechte
. Auch das Volk konnte dieselbe später nicht mehr
beschränken noch entziehen. Sie war durch die Ueberliefe-
rung
gesichert.

In ihr war — abgesehen von den obigen Magistraturen,
die regelmäszig mit der kaiserlichen verbunden waren, und
diese sehr verstärkten — enthalten:

1. Die Disposition und der Befehl über die gesammte
Kriegsmacht des States, zu Rom über die Garde der Prä-
torianer. Die Einführung stehender Heere, für die spä-
tere Grösze des Reiches ein Bedürfnisz, sicherte zugleich die
Existenz des Kaiserthums, und diente dazu, demselben überall
Gehorsam zu erzwingen. 3 In dieser Eigenschaft nahmen die
Kaiser den Titel der „Imperatoren“ an, welcher vordem
eine andere Bedeutung gehabt hatte.

2. Die unbeschränkte Regierung über eine Anzahl,
und gerade die wichtigsten und reichsten Provinzen. Von
daher zogen die Kaiser unermeszliche Reichthümer und Kräfte
aller Art an sich. Im übrigen hatten die Provinzialen durch
die Statsveränderung bedeutend gewonnen. Ihre Groszen
wurden von dem Kaiser in den Senat berufen und mit

2 Ulpianus in L. 1. pr. de constitut. princip.:„Quod principi placuit,
legis habet vigorem, utpote, cum lege regia, quae de imperio ejus lata
est, populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem conferat.
Gaj. I. 5. §. 6. J. de jure nat.
3 Mäcenas empfahl daher auch dem Kaiser Augustus eindring-
lich, ein stehendes Heer (στϱατιώτας ἀϑανάτους) zu bilden, dagegen die
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. a. a. O.
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[417/0435] Zehntes Capitel. II. Monarch. Statsformen. C. Das römische Kaiserthum. Gewalt von dem Volke übertragen. 2 Allein auf das Blut und die Familienverbindung wurde dennoch bei der Aner- kennung der Kaiser zwar nicht principiell, aber factisch in den meisten Fällen Rücksicht genommen, und der anerkannte Kaiser empfing jeder Zeit die kaiserliche Gewalt, welche an Umfang der Gewalt des römischen Volkes selbst zur Zeit der Republik gleichgeachtet wurde, zu persönlichem, vollem Rechte. Auch das Volk konnte dieselbe später nicht mehr beschränken noch entziehen. Sie war durch die Ueberliefe- rung gesichert. In ihr war — abgesehen von den obigen Magistraturen, die regelmäszig mit der kaiserlichen verbunden waren, und diese sehr verstärkten — enthalten: 1. Die Disposition und der Befehl über die gesammte Kriegsmacht des States, zu Rom über die Garde der Prä- torianer. Die Einführung stehender Heere, für die spä- tere Grösze des Reiches ein Bedürfnisz, sicherte zugleich die Existenz des Kaiserthums, und diente dazu, demselben überall Gehorsam zu erzwingen. 3 In dieser Eigenschaft nahmen die Kaiser den Titel der „Imperatoren“ an, welcher vordem eine andere Bedeutung gehabt hatte. 2. Die unbeschränkte Regierung über eine Anzahl, und gerade die wichtigsten und reichsten Provinzen. Von daher zogen die Kaiser unermeszliche Reichthümer und Kräfte aller Art an sich. Im übrigen hatten die Provinzialen durch die Statsveränderung bedeutend gewonnen. Ihre Groszen wurden von dem Kaiser in den Senat berufen und mit 2 Ulpianus in L. 1. pr. de constitut. princip.:„Quod principi placuit, legis habet vigorem, utpote, cum lege regia, quae de imperio ejus lata est, populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem conferat. Gaj. I. 5. §. 6. J. de jure nat. 3 Mäcenas empfahl daher auch dem Kaiser Augustus eindring- lich, ein stehendes Heer (στϱατιώτας ἀϑανάτους) zu bilden, dagegen die Masse der Bevölkerung den friedlichen Gewerben zu überlassen. Dio Cass. a. a. O. Bluntschli, allgemeine Statslehre. 27

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/435>, abgerufen am 06.05.2024.