Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Capitel. I. Die (Ideokratie) Theokratie.
namentlich von dem spätern Perserreiche und selbst von
den neuern Staten der mohammedanischen Sultane, und
den chinesischen Kaisern.

Der König von Iran Guschtasb (1300-1350 v. Ch.)
unter welchem Zarathustra (Zoroaster, Serduscht) als
Prophet auftrat, nannte sich selbst einen "Priesterkönig",
und in den heiligen Büchern (dem Send-Avesta) wird der
Perserkönig nicht zu der Kaste der Krieger, wie in Indien,
sondern zu der der Priester (der "Rechtskundigen und Gottes-
gelehrten") gerechnet. 8 Das ganze Statssystem ist zugleich
Religionssystem, Recht und Moral unausgeschieden, der Zu-
sammenhang der unsichtbaren Welt, der guten und bösen Geister
mit der sichtbaren Welt der Menschen in allen Dingen fort-
während anerkannt. Aber seitdem die Könige von unpriester-
lichem persischem Geschlechte die Herrschaft erlangten, nahm
der persische Stat mehr die Natur eines solchen Despoten-
reiches an, und der Einflusz der Magier, so grosz er in
manchen Dingen blieb, ward, verglichen mit den ältern Zeiten,
um vieles geringer. Allmächtig wie der Gott, dessen Gnade
ihn erhoben hat, waltet in seinem Reiche der Perserkönig im
Princip, und sein Hof ist das Abbild des himmlischen Hof-
states des guten Weltgeistes Ahuramasda. Die Ehren, die ihm
erwiesen werden, gleichen den Ehren der Gottheit. Vor seinem
goldnen Throne, der hoch emporragt, und auf dem er in reich-
stem Schmucke mit der Tiara auf dem Haupte sitzt, den
goldnen Stab in der Hand, das Schwert zur Seite, im Purpur-
mantel, "strahlend wie die Sonne an dem glänzenden Firma-
ment," werfen sich selbst die fremden Gesandten nieder in
den Staub, wie Sclaven vor dem Herrn oder Betende vor
dem Gott. Wie diesem die Opfer, so werden ihm die Gaben
derer dargereicht, welche seinem Throne nahen. Und wenn
er stirbt, so bezieht er den herrlichen Todtenpalast in Per-

8 Vuller's Fragmente über die Religion des Zoroaster. Bonn 1831.
S. 33. 69. Vgl. Spiegel Avesta. Leipzig 1852-63. III Bde.

Sechstes Capitel. I. Die (Ideokratie) Theokratie.
namentlich von dem spätern Perserreiche und selbst von
den neuern Staten der mohammedanischen Sultane, und
den chinesischen Kaisern.

Der König von Iran Guschtasb (1300-1350 v. Ch.)
unter welchem Zarathustra (Zoroaster, Serduscht) als
Prophet auftrat, nannte sich selbst einen „Priesterkönig“,
und in den heiligen Büchern (dem Send-Avesta) wird der
Perserkönig nicht zu der Kaste der Krieger, wie in Indien,
sondern zu der der Priester (der „Rechtskundigen und Gottes-
gelehrten“) gerechnet. 8 Das ganze Statssystem ist zugleich
Religionssystem, Recht und Moral unausgeschieden, der Zu-
sammenhang der unsichtbaren Welt, der guten und bösen Geister
mit der sichtbaren Welt der Menschen in allen Dingen fort-
während anerkannt. Aber seitdem die Könige von unpriester-
lichem persischem Geschlechte die Herrschaft erlangten, nahm
der persische Stat mehr die Natur eines solchen Despoten-
reiches an, und der Einflusz der Magier, so grosz er in
manchen Dingen blieb, ward, verglichen mit den ältern Zeiten,
um vieles geringer. Allmächtig wie der Gott, dessen Gnade
ihn erhoben hat, waltet in seinem Reiche der Perserkönig im
Princip, und sein Hof ist das Abbild des himmlischen Hof-
states des guten Weltgeistes Ahuramasda. Die Ehren, die ihm
erwiesen werden, gleichen den Ehren der Gottheit. Vor seinem
goldnen Throne, der hoch emporragt, und auf dem er in reich-
stem Schmucke mit der Tiara auf dem Haupte sitzt, den
goldnen Stab in der Hand, das Schwert zur Seite, im Purpur-
mantel, „strahlend wie die Sonne an dem glänzenden Firma-
ment,“ werfen sich selbst die fremden Gesandten nieder in
den Staub, wie Sclaven vor dem Herrn oder Betende vor
dem Gott. Wie diesem die Opfer, so werden ihm die Gaben
derer dargereicht, welche seinem Throne nahen. Und wenn
er stirbt, so bezieht er den herrlichen Todtenpalast in Per-

8 Vuller's Fragmente über die Religion des Zoroaster. Bonn 1831.
S. 33. 69. Vgl. Spiegel Avesta. Leipzig 1852-63. III Bde.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0409" n="391"/><fw place="top" type="header">Sechstes Capitel. I. Die (Ideokratie) Theokratie.</fw><lb/>
namentlich von dem spätern <hi rendition="#g">Perserreiche</hi> und selbst von<lb/>
den neuern Staten der <hi rendition="#g">mohammedanischen</hi> Sultane, und<lb/>
den <hi rendition="#g">chinesischen</hi> Kaisern.</p><lb/>
          <p>Der König von Iran <hi rendition="#g">Guschtasb</hi> (1300-1350 v. Ch.)<lb/>
unter welchem <hi rendition="#g">Zarathustra</hi> (<hi rendition="#g">Zoroaster</hi>, <hi rendition="#g">Serduscht</hi>) als<lb/>
Prophet auftrat, nannte sich selbst einen &#x201E;Priesterkönig&#x201C;,<lb/>
und in den heiligen Büchern (dem Send-Avesta) wird der<lb/>
Perserkönig nicht zu der Kaste der Krieger, wie in Indien,<lb/>
sondern zu der der Priester (der &#x201E;Rechtskundigen und Gottes-<lb/>
gelehrten&#x201C;) gerechnet. <note place="foot" n="8"><hi rendition="#g">Vuller's</hi> Fragmente über die Religion des Zoroaster. Bonn 1831.<lb/>
S. 33. 69. Vgl. <hi rendition="#g">Spiegel</hi> Avesta. Leipzig 1852-63. III Bde.</note> Das ganze Statssystem ist zugleich<lb/>
Religionssystem, Recht und Moral unausgeschieden, der Zu-<lb/>
sammenhang der unsichtbaren Welt, der guten und bösen Geister<lb/>
mit der sichtbaren Welt der Menschen in allen Dingen fort-<lb/>
während anerkannt. Aber seitdem die Könige von unpriester-<lb/>
lichem persischem Geschlechte die Herrschaft erlangten, nahm<lb/>
der persische Stat mehr die Natur eines solchen Despoten-<lb/>
reiches an, und der Einflusz der Magier, so grosz er in<lb/>
manchen Dingen blieb, ward, verglichen mit den ältern Zeiten,<lb/>
um vieles geringer. Allmächtig wie der Gott, dessen Gnade<lb/>
ihn erhoben hat, waltet in seinem Reiche der Perserkönig im<lb/>
Princip, und sein Hof ist das Abbild des himmlischen Hof-<lb/>
states des guten Weltgeistes Ahuramasda. Die Ehren, die ihm<lb/>
erwiesen werden, gleichen den Ehren der Gottheit. Vor seinem<lb/>
goldnen Throne, der hoch emporragt, und auf dem er in reich-<lb/>
stem Schmucke mit der Tiara auf dem Haupte sitzt, den<lb/>
goldnen Stab in der Hand, das Schwert zur Seite, im Purpur-<lb/>
mantel, &#x201E;strahlend wie die Sonne an dem glänzenden Firma-<lb/>
ment,&#x201C; werfen sich selbst die fremden Gesandten nieder in<lb/>
den Staub, wie Sclaven vor dem Herrn oder Betende vor<lb/>
dem Gott. Wie diesem die Opfer, so werden ihm die Gaben<lb/>
derer dargereicht, welche seinem Throne nahen. Und wenn<lb/>
er stirbt, so bezieht er den herrlichen Todtenpalast in Per-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[391/0409] Sechstes Capitel. I. Die (Ideokratie) Theokratie. namentlich von dem spätern Perserreiche und selbst von den neuern Staten der mohammedanischen Sultane, und den chinesischen Kaisern. Der König von Iran Guschtasb (1300-1350 v. Ch.) unter welchem Zarathustra (Zoroaster, Serduscht) als Prophet auftrat, nannte sich selbst einen „Priesterkönig“, und in den heiligen Büchern (dem Send-Avesta) wird der Perserkönig nicht zu der Kaste der Krieger, wie in Indien, sondern zu der der Priester (der „Rechtskundigen und Gottes- gelehrten“) gerechnet. 8 Das ganze Statssystem ist zugleich Religionssystem, Recht und Moral unausgeschieden, der Zu- sammenhang der unsichtbaren Welt, der guten und bösen Geister mit der sichtbaren Welt der Menschen in allen Dingen fort- während anerkannt. Aber seitdem die Könige von unpriester- lichem persischem Geschlechte die Herrschaft erlangten, nahm der persische Stat mehr die Natur eines solchen Despoten- reiches an, und der Einflusz der Magier, so grosz er in manchen Dingen blieb, ward, verglichen mit den ältern Zeiten, um vieles geringer. Allmächtig wie der Gott, dessen Gnade ihn erhoben hat, waltet in seinem Reiche der Perserkönig im Princip, und sein Hof ist das Abbild des himmlischen Hof- states des guten Weltgeistes Ahuramasda. Die Ehren, die ihm erwiesen werden, gleichen den Ehren der Gottheit. Vor seinem goldnen Throne, der hoch emporragt, und auf dem er in reich- stem Schmucke mit der Tiara auf dem Haupte sitzt, den goldnen Stab in der Hand, das Schwert zur Seite, im Purpur- mantel, „strahlend wie die Sonne an dem glänzenden Firma- ment,“ werfen sich selbst die fremden Gesandten nieder in den Staub, wie Sclaven vor dem Herrn oder Betende vor dem Gott. Wie diesem die Opfer, so werden ihm die Gaben derer dargereicht, welche seinem Throne nahen. Und wenn er stirbt, so bezieht er den herrlichen Todtenpalast in Per- 8 Vuller's Fragmente über die Religion des Zoroaster. Bonn 1831. S. 33. 69. Vgl. Spiegel Avesta. Leipzig 1852-63. III Bde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/409
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/409>, abgerufen am 22.11.2024.