Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch. Die Statsformen.
wirklicht habe. Allein die englische Verfassung ist nicht aus
einer Theilung der obersten Regierungsgewalt entstanden.
Vielmehr ist die Monarchie, welche dem State in alter Zeit
seine specielle Form gegeben, nur nach und nach durch eine
mächtige Aristokratie, und später durch den Hinzutritt demo-
kratischer Elemente vielfach beschränkt und ermäszigt worden.
Die äuszere Form des States ist fortwährend monarchisch ge-
blieben, und es wird die ganze oberste Regierungsmacht (die
Regierungsgewalt) nicht nur, sondern auch die oberste Stelle
in dem zusammengesetzten Körper des gesetzgebenden Parla-
ments von dem englischen Statsrecht dem Könige allein zu-
getheilt. 3

Uebrigens wird gewöhnlich übersehen, dasz das Princip
der Aristotelischen Eintheilung nicht auf der Art und Zu-
sammensetzung der gesetzgebenden Gewalt beruht; denn
in dieser, wo sie ausgebildet ist, stellt sich regelmäszig der
ganze Stat mit all' seinen Hauptbestandtheilen dar. Sondern
sie beruht auf dem Gegensatze der Regierung und der Re-
gierten, und der Frage, wem die oberste Regierungsgewalt
zustehe? Diese aber läszt sich nicht theilen etwa zwischen
dem König und den Ministern. Eine solche Dyarchie oder
Triarchie widerspricht dem Wesen des States, welcher als
ein lebendiger Organismus der Einheit bedarf. In allen
lebendigen Wesen finden wir zwar eine Mannichfaltigkeit der
Kräfte und Organe, aber zugleich eine Einheit in dieser
Mannichfaltigkeit, eine Ueber- und Unterordnung der Organe,
ein oberstes Organ, in welchem die einheitliche Leitung con-
centrirt ist. Kopf und Leib haben kein getrenntes Leben,
jeder für sich, und sind sich auch nicht gleichgestellt. So
ist auch im State ein oberstes Organ die nothwendige Be-

3 Eine ganz andere Frage ist es, ob nicht der politische Geist in
der englischen Verfassung eher ein aristokratischer als ein monarchischer
geworden sei. Vgl. Blackstone I. 2.

Sechstes Buch. Die Statsformen.
wirklicht habe. Allein die englische Verfassung ist nicht aus
einer Theilung der obersten Regierungsgewalt entstanden.
Vielmehr ist die Monarchie, welche dem State in alter Zeit
seine specielle Form gegeben, nur nach und nach durch eine
mächtige Aristokratie, und später durch den Hinzutritt demo-
kratischer Elemente vielfach beschränkt und ermäszigt worden.
Die äuszere Form des States ist fortwährend monarchisch ge-
blieben, und es wird die ganze oberste Regierungsmacht (die
Regierungsgewalt) nicht nur, sondern auch die oberste Stelle
in dem zusammengesetzten Körper des gesetzgebenden Parla-
ments von dem englischen Statsrecht dem Könige allein zu-
getheilt. 3

Uebrigens wird gewöhnlich übersehen, dasz das Princip
der Aristotelischen Eintheilung nicht auf der Art und Zu-
sammensetzung der gesetzgebenden Gewalt beruht; denn
in dieser, wo sie ausgebildet ist, stellt sich regelmäszig der
ganze Stat mit all' seinen Hauptbestandtheilen dar. Sondern
sie beruht auf dem Gegensatze der Regierung und der Re-
gierten, und der Frage, wem die oberste Regierungsgewalt
zustehe? Diese aber läszt sich nicht theilen etwa zwischen
dem König und den Ministern. Eine solche Dyarchie oder
Triarchie widerspricht dem Wesen des States, welcher als
ein lebendiger Organismus der Einheit bedarf. In allen
lebendigen Wesen finden wir zwar eine Mannichfaltigkeit der
Kräfte und Organe, aber zugleich eine Einheit in dieser
Mannichfaltigkeit, eine Ueber- und Unterordnung der Organe,
ein oberstes Organ, in welchem die einheitliche Leitung con-
centrirt ist. Kopf und Leib haben kein getrenntes Leben,
jeder für sich, und sind sich auch nicht gleichgestellt. So
ist auch im State ein oberstes Organ die nothwendige Be-

3 Eine ganz andere Frage ist es, ob nicht der politische Geist in
der englischen Verfassung eher ein aristokratischer als ein monarchischer
geworden sei. Vgl. Blackstone I. 2.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0392" n="374"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
wirklicht habe. Allein die englische Verfassung ist nicht aus<lb/>
einer Theilung der obersten Regierungsgewalt entstanden.<lb/>
Vielmehr ist die Monarchie, welche dem State in alter Zeit<lb/>
seine specielle Form gegeben, nur nach und nach durch eine<lb/>
mächtige Aristokratie, und später durch den Hinzutritt demo-<lb/>
kratischer Elemente vielfach beschränkt und ermäszigt worden.<lb/>
Die äuszere Form des States ist fortwährend monarchisch ge-<lb/>
blieben, und es wird die ganze oberste Regierungsmacht (die<lb/>
Regierungsgewalt) nicht nur, sondern auch die oberste Stelle<lb/>
in dem zusammengesetzten Körper des gesetzgebenden Parla-<lb/>
ments von dem englischen Statsrecht dem Könige allein zu-<lb/>
getheilt. <note place="foot" n="3">Eine ganz andere Frage ist es, ob nicht der <hi rendition="#g">politische Geist</hi> in<lb/>
der englischen Verfassung eher ein aristokratischer als ein monarchischer<lb/>
geworden sei. Vgl. <hi rendition="#g">Blackstone</hi> I. 2.</note></p><lb/>
          <p>Uebrigens wird gewöhnlich übersehen, dasz das Princip<lb/>
der Aristotelischen Eintheilung nicht auf der Art und Zu-<lb/>
sammensetzung der <hi rendition="#g">gesetzgebenden Gewalt</hi> beruht; denn<lb/>
in dieser, wo sie ausgebildet ist, stellt sich regelmäszig der<lb/>
ganze Stat mit all' seinen Hauptbestandtheilen dar. Sondern<lb/>
sie beruht auf dem Gegensatze der Regierung und der Re-<lb/>
gierten, und der Frage, wem die oberste <hi rendition="#g">Regierungsgewalt</hi><lb/>
zustehe? Diese aber läszt sich nicht theilen etwa zwischen<lb/>
dem König und den Ministern. Eine solche <hi rendition="#g">Dyarchie</hi> oder<lb/><hi rendition="#g">Triarchie</hi> widerspricht dem Wesen des States, welcher als<lb/>
ein lebendiger Organismus der <hi rendition="#g">Einheit</hi> bedarf. In allen<lb/>
lebendigen Wesen finden wir zwar eine Mannichfaltigkeit der<lb/>
Kräfte und Organe, aber zugleich eine Einheit in dieser<lb/>
Mannichfaltigkeit, eine Ueber- und Unterordnung der Organe,<lb/>
ein oberstes Organ, in welchem die einheitliche Leitung con-<lb/>
centrirt ist. Kopf und Leib haben kein getrenntes Leben,<lb/>
jeder für sich, und sind sich auch nicht gleichgestellt. So<lb/>
ist auch im State ein oberstes Organ die nothwendige Be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[374/0392] Sechstes Buch. Die Statsformen. wirklicht habe. Allein die englische Verfassung ist nicht aus einer Theilung der obersten Regierungsgewalt entstanden. Vielmehr ist die Monarchie, welche dem State in alter Zeit seine specielle Form gegeben, nur nach und nach durch eine mächtige Aristokratie, und später durch den Hinzutritt demo- kratischer Elemente vielfach beschränkt und ermäszigt worden. Die äuszere Form des States ist fortwährend monarchisch ge- blieben, und es wird die ganze oberste Regierungsmacht (die Regierungsgewalt) nicht nur, sondern auch die oberste Stelle in dem zusammengesetzten Körper des gesetzgebenden Parla- ments von dem englischen Statsrecht dem Könige allein zu- getheilt. 3 Uebrigens wird gewöhnlich übersehen, dasz das Princip der Aristotelischen Eintheilung nicht auf der Art und Zu- sammensetzung der gesetzgebenden Gewalt beruht; denn in dieser, wo sie ausgebildet ist, stellt sich regelmäszig der ganze Stat mit all' seinen Hauptbestandtheilen dar. Sondern sie beruht auf dem Gegensatze der Regierung und der Re- gierten, und der Frage, wem die oberste Regierungsgewalt zustehe? Diese aber läszt sich nicht theilen etwa zwischen dem König und den Ministern. Eine solche Dyarchie oder Triarchie widerspricht dem Wesen des States, welcher als ein lebendiger Organismus der Einheit bedarf. In allen lebendigen Wesen finden wir zwar eine Mannichfaltigkeit der Kräfte und Organe, aber zugleich eine Einheit in dieser Mannichfaltigkeit, eine Ueber- und Unterordnung der Organe, ein oberstes Organ, in welchem die einheitliche Leitung con- centrirt ist. Kopf und Leib haben kein getrenntes Leben, jeder für sich, und sind sich auch nicht gleichgestellt. So ist auch im State ein oberstes Organ die nothwendige Be- 3 Eine ganz andere Frage ist es, ob nicht der politische Geist in der englischen Verfassung eher ein aristokratischer als ein monarchischer geworden sei. Vgl. Blackstone I. 2.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/392
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/392>, abgerufen am 25.11.2024.