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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Fünftes Buch. Der Statszweck.
die Bildung groszer und starker Staten liebt, nur eine sehr
zweifelhafte und unsichere Existenz. Sie können sich nur
im Anschlusz an stärkere Staten und unter dem Schutze der
Groszstaten erhalten. Im Mittelalter war das anders. Da-
mals waren die europäischen Nationen und vorzüglich die
deutsche und die italienische geneigt, jede kleine und kleinste
Statenbildung zu begünstigen.

Als Hauptmittel, die Statsmacht im Verhältnisz zu den
auswärtigen Staten zu stärken, kommen in Betracht die Di-
plomatie
und das Heer (Landheer und Marine). Wenn
ein Stat vorzugsweise seine militärische Stärke, die
kriegerische Tüchtigkeit seiner Bewohner und die Ausrüstung
seiner Heeresmacht als Hauptaufgabe betrachtet, so wird ein
solcher Stat Militärstat genannt. Von der Art war Sparta
bei den Hellenen, aber auch das Königreich Preuszen bis
zur Gründung des deutschen Reichs. Für Völker in bedroh-
ter Lage und zur Zeit ihres nothwendigen Wachsthums wird
auch eine solch ungewöhnliche Anspannung der militärischen
Kräfte unvermeidlich sein; aber in dem normalen zur vollen
Machtentfaltung gelangten State wird man nie übersehen, dasz
die Militärkraft nur ein Mittel, nicht das Ziel der Politik ist
und sich hüten, die Ausbildung derselben so zu überspannen,
dasz die eigentlichen Statszwecke Schaden leiden.

2) Zuweilen treten auch wirthschaftliche Sonder-
zwecke entscheidend hervor. Insofern spricht man von Hir-
tenstaten
, wenn die Viehzucht das Hauptinteresse der Be-
völkerung ist, von Ackerbaustaten, wenn die Landwirth-
schaft als die wichtigste Angelegenheit erscheint, von Indu-
striestaten
, wenn die Fabrikation und von Handelsstaten,
wenn der Handel die Hauptsache ist.

Allerdings sind alle diese Interessen in gröszerem Masze
Interessen der Privatpersonen, und nur in minderem
Masze Interessen des ganzen Volks. Eben deszhalb führt
eine ausschlieszliche oder auch nur eine allzu eifrige Begün-

Fünftes Buch. Der Statszweck.
die Bildung groszer und starker Staten liebt, nur eine sehr
zweifelhafte und unsichere Existenz. Sie können sich nur
im Anschlusz an stärkere Staten und unter dem Schutze der
Groszstaten erhalten. Im Mittelalter war das anders. Da-
mals waren die europäischen Nationen und vorzüglich die
deutsche und die italienische geneigt, jede kleine und kleinste
Statenbildung zu begünstigen.

Als Hauptmittel, die Statsmacht im Verhältnisz zu den
auswärtigen Staten zu stärken, kommen in Betracht die Di-
plomatie
und das Heer (Landheer und Marine). Wenn
ein Stat vorzugsweise seine militärische Stärke, die
kriegerische Tüchtigkeit seiner Bewohner und die Ausrüstung
seiner Heeresmacht als Hauptaufgabe betrachtet, so wird ein
solcher Stat Militärstat genannt. Von der Art war Sparta
bei den Hellenen, aber auch das Königreich Preuszen bis
zur Gründung des deutschen Reichs. Für Völker in bedroh-
ter Lage und zur Zeit ihres nothwendigen Wachsthums wird
auch eine solch ungewöhnliche Anspannung der militärischen
Kräfte unvermeidlich sein; aber in dem normalen zur vollen
Machtentfaltung gelangten State wird man nie übersehen, dasz
die Militärkraft nur ein Mittel, nicht das Ziel der Politik ist
und sich hüten, die Ausbildung derselben so zu überspannen,
dasz die eigentlichen Statszwecke Schaden leiden.

2) Zuweilen treten auch wirthschaftliche Sonder-
zwecke entscheidend hervor. Insofern spricht man von Hir-
tenstaten
, wenn die Viehzucht das Hauptinteresse der Be-
völkerung ist, von Ackerbaustaten, wenn die Landwirth-
schaft als die wichtigste Angelegenheit erscheint, von Indu-
striestaten
, wenn die Fabrikation und von Handelsstaten,
wenn der Handel die Hauptsache ist.

Allerdings sind alle diese Interessen in gröszerem Masze
Interessen der Privatpersonen, und nur in minderem
Masze Interessen des ganzen Volks. Eben deszhalb führt
eine ausschlieszliche oder auch nur eine allzu eifrige Begün-

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[364/0382] Fünftes Buch. Der Statszweck. die Bildung groszer und starker Staten liebt, nur eine sehr zweifelhafte und unsichere Existenz. Sie können sich nur im Anschlusz an stärkere Staten und unter dem Schutze der Groszstaten erhalten. Im Mittelalter war das anders. Da- mals waren die europäischen Nationen und vorzüglich die deutsche und die italienische geneigt, jede kleine und kleinste Statenbildung zu begünstigen. Als Hauptmittel, die Statsmacht im Verhältnisz zu den auswärtigen Staten zu stärken, kommen in Betracht die Di- plomatie und das Heer (Landheer und Marine). Wenn ein Stat vorzugsweise seine militärische Stärke, die kriegerische Tüchtigkeit seiner Bewohner und die Ausrüstung seiner Heeresmacht als Hauptaufgabe betrachtet, so wird ein solcher Stat Militärstat genannt. Von der Art war Sparta bei den Hellenen, aber auch das Königreich Preuszen bis zur Gründung des deutschen Reichs. Für Völker in bedroh- ter Lage und zur Zeit ihres nothwendigen Wachsthums wird auch eine solch ungewöhnliche Anspannung der militärischen Kräfte unvermeidlich sein; aber in dem normalen zur vollen Machtentfaltung gelangten State wird man nie übersehen, dasz die Militärkraft nur ein Mittel, nicht das Ziel der Politik ist und sich hüten, die Ausbildung derselben so zu überspannen, dasz die eigentlichen Statszwecke Schaden leiden. 2) Zuweilen treten auch wirthschaftliche Sonder- zwecke entscheidend hervor. Insofern spricht man von Hir- tenstaten, wenn die Viehzucht das Hauptinteresse der Be- völkerung ist, von Ackerbaustaten, wenn die Landwirth- schaft als die wichtigste Angelegenheit erscheint, von Indu- striestaten, wenn die Fabrikation und von Handelsstaten, wenn der Handel die Hauptsache ist. Allerdings sind alle diese Interessen in gröszerem Masze Interessen der Privatpersonen, und nur in minderem Masze Interessen des ganzen Volks. Eben deszhalb führt eine ausschlieszliche oder auch nur eine allzu eifrige Begün-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/382>, abgerufen am 25.11.2024.