Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
machenden Theorie die natürlichen Gegensätze in dem Volke. Der Geistlichkeit und dem Adel half es nicht, dasz die Theorie sie in den dritten Stand aufgenommen hatte. Sie wurden dennoch in ihrer Eigenschaft als Geistlichkeit und Adel, als Pfaffen und "Aristokraten" zu zwei mit blutiger Gewalt ver- folgten Ständen, sie wurden die Schlachtopfer der Revolution. In der chaotischen Masse aber, welche die Herrschaft übte, gährten bisher unbeachtete ständische Gegensätze. Da schon gab der vierte Stand in den wichtigsten Krisen den Aus- schlag, und unter der rothen Herrschaft des Conventes, welcher vornehmlich aus den Führern des fieberisch erhitzten vierten Standes gebildet war, erbleichte in der Gironde der bürger- liche Glanz des dritten Standes.
Eben indem die französische Revolution die Wahrheit der obigen Sätze von Sieyes an den Tag legen wollte, stellte sich das Ungenügende und Falsche derselben heraus. 2 Der dritte Stand der Gebildeten hatte sich als Stellvertreter des Volkes benommen, und sich selbst mit dem Volke identificirt. Nun muszte er erfahren, dasz es auszer ihm noch grosze Volksmassen gebe, die sich mit der allgemeinen Fusion unter seiner Leitung nicht befriedigt fühlten.
Nochmals ist der Gegensatz zwischen dem gebildeten Bürgerthum, dem sogenannten dritten Stande und den un- teren Volksmassen in der französischen Revolution von 1848 und in der Napoleonischen Restauration von 1850 sehr schroff hervorgetreten und er hat neuerdings wieder in dem Toben der Commune von 1871 ein schreckliches Antlitz ge- zeigt. Napoleon III. hatte gestützt auf den Beifall des vier- ten Standes den dritten Stand, der in der Nationalversamm-
2 In Robespierre ist der neidische Hasz gegen alle höhern Stände und zugleich die abgöttische Verehrung des sogenannten "Volks" personificirt. In seiner Erklärung der Rechte ist der Satz enthalten: "Toute institution qui ne suppose le Peuple bon et le magistrat corruptible, est vicieuse." Vgl. L. Stein, Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich. I. S. 145.
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
machenden Theorie die natürlichen Gegensätze in dem Volke. Der Geistlichkeit und dem Adel half es nicht, dasz die Theorie sie in den dritten Stand aufgenommen hatte. Sie wurden dennoch in ihrer Eigenschaft als Geistlichkeit und Adel, als Pfaffen und „Aristokraten“ zu zwei mit blutiger Gewalt ver- folgten Ständen, sie wurden die Schlachtopfer der Revolution. In der chaotischen Masse aber, welche die Herrschaft übte, gährten bisher unbeachtete ständische Gegensätze. Da schon gab der vierte Stand in den wichtigsten Krisen den Aus- schlag, und unter der rothen Herrschaft des Conventes, welcher vornehmlich aus den Führern des fieberisch erhitzten vierten Standes gebildet war, erbleichte in der Gironde der bürger- liche Glanz des dritten Standes.
Eben indem die französische Revolution die Wahrheit der obigen Sätze von Sieyes an den Tag legen wollte, stellte sich das Ungenügende und Falsche derselben heraus. 2 Der dritte Stand der Gebildeten hatte sich als Stellvertreter des Volkes benommen, und sich selbst mit dem Volke identificirt. Nun muszte er erfahren, dasz es auszer ihm noch grosze Volksmassen gebe, die sich mit der allgemeinen Fusion unter seiner Leitung nicht befriedigt fühlten.
Nochmals ist der Gegensatz zwischen dem gebildeten Bürgerthum, dem sogenannten dritten Stande und den un- teren Volksmassen in der französischen Revolution von 1848 und in der Napoleonischen Restauration von 1850 sehr schroff hervorgetreten und er hat neuerdings wieder in dem Toben der Commune von 1871 ein schreckliches Antlitz ge- zeigt. Napoleon III. hatte gestützt auf den Beifall des vier- ten Standes den dritten Stand, der in der Nationalversamm-
2 In Robespierre ist der neidische Hasz gegen alle höhern Stände und zugleich die abgöttische Verehrung des sogenannten „Volks“ personificirt. In seiner Erklärung der Rechte ist der Satz enthalten: „Toute institution qui ne suppose le Peuple bon et le magistrat corruptible, est vicieuse.“ Vgl. L. Stein, Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich. I. S. 145.
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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u.
Volksnatur.
machenden Theorie die natürlichen Gegensätze in dem Volke.
Der Geistlichkeit und dem Adel half es nicht, dasz die Theorie
sie in den dritten Stand aufgenommen hatte. Sie wurden
dennoch in ihrer Eigenschaft als Geistlichkeit und Adel, als
Pfaffen und „Aristokraten“ zu zwei mit blutiger Gewalt ver-
folgten Ständen, sie wurden die Schlachtopfer der Revolution.
In der chaotischen Masse aber, welche die Herrschaft übte,
gährten bisher unbeachtete ständische Gegensätze. Da schon
gab der vierte Stand in den wichtigsten Krisen den Aus-
schlag, und unter der rothen Herrschaft des Conventes, welcher
vornehmlich aus den Führern des fieberisch erhitzten vierten
Standes gebildet war, erbleichte in der Gironde der bürger-
liche Glanz des dritten Standes.
Eben indem die französische Revolution die Wahrheit
der obigen Sätze von Sieyes an den Tag legen wollte, stellte
sich das Ungenügende und Falsche derselben heraus. 2 Der
dritte Stand der Gebildeten hatte sich als Stellvertreter des
Volkes benommen, und sich selbst mit dem Volke identificirt.
Nun muszte er erfahren, dasz es auszer ihm noch grosze
Volksmassen gebe, die sich mit der allgemeinen Fusion unter
seiner Leitung nicht befriedigt fühlten.
Nochmals ist der Gegensatz zwischen dem gebildeten
Bürgerthum, dem sogenannten dritten Stande und den un-
teren Volksmassen in der französischen Revolution von 1848
und in der Napoleonischen Restauration von 1850 sehr
schroff hervorgetreten und er hat neuerdings wieder in dem
Toben der Commune von 1871 ein schreckliches Antlitz ge-
zeigt. Napoleon III. hatte gestützt auf den Beifall des vier-
ten Standes den dritten Stand, der in der Nationalversamm-
2 In
Robespierre ist der neidische Hasz gegen alle höhern
Stände und zugleich die abgöttische Verehrung des sogenannten
„Volks“
personificirt. In seiner Erklärung der Rechte ist der Satz enthalten:
„Toute institution qui ne suppose le Peuple bon et le magistrat
corruptible,
est vicieuse.“ Vgl. L. Stein, Geschichte der socialen Bewegung in
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/224>, abgerufen am 22.07.2024.
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