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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
sönlicher und politischer Freiheit gelangten, so erreichten sie
doch, freilich langsamen Schrittes, in der Regel eine zwar
mit mancherlei Lasten beschwerte und politisch zurückgesetzte,
aber durch festen Rechtsschutz gesicherte und in ihrem In-
halt immerhin erweiterte persönliche Freiheit. Mit den ur-
sprünglich freien Bauern wurden sie zu einem gleichberech-
tigten Berufsstande.

Im Einzelnen sind die Verhältnisse äuszerst mannichfaltig,
und auch die Uebergangsstufen aus der Eigenschaft zur Frei-
heit zahlreich. Wie die Aufhebung der Sclaverei zu groszem
Theile den Einwirkungen der Kirche zu verdanken ist, so ist
auch die Erhebung der hörigen Leute von jeher voraus durch
die Kirche begünstigt worden. In der That, wo Kirchen und
Klöster Grundherrlichkeit besaszen, gingen sie meistens voran
in Ertheilung bestimmter Rechte und Gewährung wichtiger
Freiheiten für ihre Hörigen, und zuerst wurden die Gottes-
hausleute
den freien Bauern angenähert. Dann folgten auch
die Könige dem Beispiele. Schon die Karolinger handelten
in dieser Richtung zu Gunsten der Fiscalinen, und Ludwig
der Heilige 2 erklärte, als er den Serfs auf den königlichen
Domänen die Freiheit schenkte (1315), seinen Beruf als König
des "Frankenreiches" zu erfüllen.

Der nämliche Geist des Mittelalters, welcher die Hoheits-
rechte zu Gunsten der groszen Barone als erbliche Lehen an

2 Ordonn. I. 583: " Comme selonc le droit
naistre franc et par aucuns usages -- moult de personnes de nostre
commun peuple soient encheües en lieu de servitudes: -- Nous conside-
rants que Nostre Royaume est dit et nomme le Royaume de Francs, et
voullant que la chose en verite soit accordant au nom --
ordenons, que
generaument par tout nostre Royaume de tant comme il peut appartenir
a nous -- telles servitudes soient ramenees a franchises -- a bonnes et
convenables conditions -- de tant comme il peut toucher nous." Vgl.
Schäffner, franz. R. G. I. 523. Schon vorher hatte der Graf von Va-
lois, Bruder des Königs Philips des Schönen, die Hörigen seiner Graf-
schaft im Namen der natürlichen Menschenfreiheit für frei erklärt.
Laurent a. a. O. VI. 662.

Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
sönlicher und politischer Freiheit gelangten, so erreichten sie
doch, freilich langsamen Schrittes, in der Regel eine zwar
mit mancherlei Lasten beschwerte und politisch zurückgesetzte,
aber durch festen Rechtsschutz gesicherte und in ihrem In-
halt immerhin erweiterte persönliche Freiheit. Mit den ur-
sprünglich freien Bauern wurden sie zu einem gleichberech-
tigten Berufsstande.

Im Einzelnen sind die Verhältnisse äuszerst mannichfaltig,
und auch die Uebergangsstufen aus der Eigenschaft zur Frei-
heit zahlreich. Wie die Aufhebung der Sclaverei zu groszem
Theile den Einwirkungen der Kirche zu verdanken ist, so ist
auch die Erhebung der hörigen Leute von jeher voraus durch
die Kirche begünstigt worden. In der That, wo Kirchen und
Klöster Grundherrlichkeit besaszen, gingen sie meistens voran
in Ertheilung bestimmter Rechte und Gewährung wichtiger
Freiheiten für ihre Hörigen, und zuerst wurden die Gottes-
hausleute
den freien Bauern angenähert. Dann folgten auch
die Könige dem Beispiele. Schon die Karolinger handelten
in dieser Richtung zu Gunsten der Fiscalinen, und Ludwig
der Heilige 2 erklärte, als er den Serfs auf den königlichen
Domänen die Freiheit schenkte (1315), seinen Beruf als König
des „Frankenreiches“ zu erfüllen.

Der nämliche Geist des Mittelalters, welcher die Hoheits-
rechte zu Gunsten der groszen Barone als erbliche Lehen an

2 Ordonn. I. 583: „ Comme selonc le droit
naistre franc et par aucuns usages — moult de personnes de nostre
commun peuple soient encheües en lieu de servitudes: — Nous conside-
rants que Nostre Royaume est dit et nommé le Royaume de Francs, et
voullant que la chose en vérité soit accordant au nom —
ordenons, que
generaument par tout nostre Royaume de tant comme il peut appartenir
à nous — telles servitudes soient ramenées à franchises — à bonnes et
convenables conditions — de tant comme il peut toucher nous.“ Vgl.
Schäffner, franz. R. G. I. 523. Schon vorher hatte der Graf von Va-
lois, Bruder des Königs Philips des Schönen, die Hörigen seiner Graf-
schaft im Namen der natürlichen Menschenfreiheit für frei erklärt.
Laurent a. a. O. VI. 662.
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[188/0206] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. sönlicher und politischer Freiheit gelangten, so erreichten sie doch, freilich langsamen Schrittes, in der Regel eine zwar mit mancherlei Lasten beschwerte und politisch zurückgesetzte, aber durch festen Rechtsschutz gesicherte und in ihrem In- halt immerhin erweiterte persönliche Freiheit. Mit den ur- sprünglich freien Bauern wurden sie zu einem gleichberech- tigten Berufsstande. Im Einzelnen sind die Verhältnisse äuszerst mannichfaltig, und auch die Uebergangsstufen aus der Eigenschaft zur Frei- heit zahlreich. Wie die Aufhebung der Sclaverei zu groszem Theile den Einwirkungen der Kirche zu verdanken ist, so ist auch die Erhebung der hörigen Leute von jeher voraus durch die Kirche begünstigt worden. In der That, wo Kirchen und Klöster Grundherrlichkeit besaszen, gingen sie meistens voran in Ertheilung bestimmter Rechte und Gewährung wichtiger Freiheiten für ihre Hörigen, und zuerst wurden die Gottes- hausleute den freien Bauern angenähert. Dann folgten auch die Könige dem Beispiele. Schon die Karolinger handelten in dieser Richtung zu Gunsten der Fiscalinen, und Ludwig der Heilige 2 erklärte, als er den Serfs auf den königlichen Domänen die Freiheit schenkte (1315), seinen Beruf als König des „Frankenreiches“ zu erfüllen. Der nämliche Geist des Mittelalters, welcher die Hoheits- rechte zu Gunsten der groszen Barone als erbliche Lehen an 2 Ordonn. I. 583: „ Comme selonc le droit naistre franc et par aucuns usages — moult de personnes de nostre commun peuple soient encheües en lieu de servitudes: — Nous conside- rants que Nostre Royaume est dit et nommé le Royaume de Francs, et voullant que la chose en vérité soit accordant au nom — ordenons, que generaument par tout nostre Royaume de tant comme il peut appartenir à nous — telles servitudes soient ramenées à franchises — à bonnes et convenables conditions — de tant comme il peut toucher nous.“ Vgl. Schäffner, franz. R. G. I. 523. Schon vorher hatte der Graf von Va- lois, Bruder des Königs Philips des Schönen, die Hörigen seiner Graf- schaft im Namen der natürlichen Menschenfreiheit für frei erklärt. Laurent a. a. O. VI. 662.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/206>, abgerufen am 23.11.2024.