Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand.
zweiter und dritter. Zuletzt kamen die Zünfte, und so um-
fing von Zeit zu Zeit ein weiterer Kreis der Bürgerschaft die
ältern engern Genossenschaften.

Diese Entwicklung zeigte sich zuerst in der Lombardei,
wo die germanische Neigung zu genossenschaftlicher Bildung
und freier Selbständigkeit mit alt-romanischen Erinnerungen
sich verband. Von da aus ging die Bewegung auf die Städte
im südlichen Frankreich über, zum Theil noch während
des zwölften, zum Theil erst im dreizehnten Jahrhunderte.
Ihren Ausgang und Anhalt fand sie vornehmlich in den Resten
der alten freien, in Frankreich übrigens mehr als in der Lom-
bardei herabgekommenen Municipalbürgerschaft, die
sich durch gewählte Prudhommes vertreten liesz.

2. Eine entschiedener demokratische Richtung und cor-
porative Gestalt hatten die eidlichen Conföderationen
der Bürger
in den Communen, welche um dieselbe Zeit
im Norden von Frankreich mit ihren Stadtherren oft blutige
Kämpfe bestanden. In ihnen zeigen sich schon neue Elemente
des Bürgerthums, voraus die Aufnahme in die Gildgenos-
senschaft
(gildonia, conjuratio, fraternitas), 2 welche allein
zum Bürger der Commune machte, und mit eidlicher Ver-
pflichtung auf ihre Statuten verbunden war. Die bürgerliche
Freiheit und das bürgerliche Recht wurde somit theils von
der bloszen Fortpflanzung der freien Rasse, theils von dem
Zusammenhang mit dem Grundbesitz abgelöst, und der Nach-
druck auf die corporative Verbindung gelegt. Sowohl
das Lehensprincip als das Princip des altgermanischen Stände-
rechtes wurden durchbrochen und ein neues persönliches
Princip erzeugt.

Ferner war die Verfassung der Commune der Aus-
breitung
der Freiheit und des Bürgerrechtes auch über die

2 Vgl.
Thierry, Lettre XIV. sur l'histoire de France, und Schäffner,
Rechtsgeschichte II. S. 554 ff.

Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand.
zweiter und dritter. Zuletzt kamen die Zünfte, und so um-
fing von Zeit zu Zeit ein weiterer Kreis der Bürgerschaft die
ältern engern Genossenschaften.

Diese Entwicklung zeigte sich zuerst in der Lombardei,
wo die germanische Neigung zu genossenschaftlicher Bildung
und freier Selbständigkeit mit alt-romanischen Erinnerungen
sich verband. Von da aus ging die Bewegung auf die Städte
im südlichen Frankreich über, zum Theil noch während
des zwölften, zum Theil erst im dreizehnten Jahrhunderte.
Ihren Ausgang und Anhalt fand sie vornehmlich in den Resten
der alten freien, in Frankreich übrigens mehr als in der Lom-
bardei herabgekommenen Municipalbürgerschaft, die
sich durch gewählte Prudhommes vertreten liesz.

2. Eine entschiedener demokratische Richtung und cor-
porative Gestalt hatten die eidlichen Conföderationen
der Bürger
in den Communen, welche um dieselbe Zeit
im Norden von Frankreich mit ihren Stadtherren oft blutige
Kämpfe bestanden. In ihnen zeigen sich schon neue Elemente
des Bürgerthums, voraus die Aufnahme in die Gildgenos-
senschaft
(gildonia, conjuratio, fraternitas), 2 welche allein
zum Bürger der Commune machte, und mit eidlicher Ver-
pflichtung auf ihre Statuten verbunden war. Die bürgerliche
Freiheit und das bürgerliche Recht wurde somit theils von
der bloszen Fortpflanzung der freien Rasse, theils von dem
Zusammenhang mit dem Grundbesitz abgelöst, und der Nach-
druck auf die corporative Verbindung gelegt. Sowohl
das Lehensprincip als das Princip des altgermanischen Stände-
rechtes wurden durchbrochen und ein neues persönliches
Princip erzeugt.

Ferner war die Verfassung der Commune der Aus-
breitung
der Freiheit und des Bürgerrechtes auch über die

2 Vgl.
Thierry, Lettre XIV. sur l'histoire de France, und Schäffner,
Rechtsgeschichte II. S. 554 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0199" n="181"/><fw place="top" type="header">Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand.</fw><lb/>
zweiter und dritter. Zuletzt kamen die <hi rendition="#g">Zünfte</hi>, und so um-<lb/>
fing von Zeit zu Zeit ein weiterer Kreis der Bürgerschaft die<lb/>
ältern engern Genossenschaften.</p><lb/>
          <p>Diese Entwicklung zeigte sich zuerst in der <hi rendition="#g">Lombardei</hi>,<lb/>
wo die germanische Neigung zu genossenschaftlicher Bildung<lb/>
und freier Selbständigkeit mit alt-romanischen Erinnerungen<lb/>
sich verband. Von da aus ging die Bewegung auf die Städte<lb/>
im <hi rendition="#g">südlichen Frankreich</hi> über, zum Theil noch während<lb/>
des zwölften, zum Theil erst im dreizehnten Jahrhunderte.<lb/>
Ihren Ausgang und Anhalt fand sie vornehmlich in den Resten<lb/>
der alten freien, in Frankreich übrigens mehr als in der Lom-<lb/>
bardei herabgekommenen <hi rendition="#g">Municipalbürgerschaft</hi>, die<lb/>
sich durch gewählte <hi rendition="#g">Prudhommes</hi> vertreten liesz.</p><lb/>
          <p>2. Eine entschiedener demokratische Richtung und cor-<lb/>
porative Gestalt hatten die <hi rendition="#g">eidlichen Conföderationen<lb/>
der Bürger</hi> in den <hi rendition="#g">Communen</hi>, welche um dieselbe Zeit<lb/>
im Norden von Frankreich mit ihren Stadtherren oft blutige<lb/>
Kämpfe bestanden. In ihnen zeigen sich schon neue Elemente<lb/>
des Bürgerthums, voraus die Aufnahme in die <hi rendition="#g">Gildgenos-<lb/>
senschaft</hi> (gildonia, conjuratio, fraternitas), <note place="foot" n="2">Vgl.<lb/><hi rendition="#i">Thierry</hi>, Lettre XIV. sur l'histoire de France, und <hi rendition="#g">Schäffner</hi>,<lb/>
Rechtsgeschichte II. S. 554 ff.</note> welche allein<lb/>
zum <hi rendition="#g">Bürger</hi> der Commune machte, und mit eidlicher Ver-<lb/>
pflichtung auf ihre Statuten verbunden war. Die bürgerliche<lb/>
Freiheit und das bürgerliche Recht wurde somit theils von<lb/>
der bloszen Fortpflanzung der freien Rasse, theils von dem<lb/>
Zusammenhang mit dem Grundbesitz abgelöst, und der Nach-<lb/>
druck auf die <hi rendition="#g">corporative Verbindung</hi> gelegt. Sowohl<lb/>
das Lehensprincip als das Princip des altgermanischen Stände-<lb/>
rechtes wurden durchbrochen und ein neues <hi rendition="#g">persönliches</hi><lb/>
Princip erzeugt.</p><lb/>
          <p>Ferner war die Verfassung der Commune der <hi rendition="#g">Aus-<lb/>
breitung</hi> der Freiheit und des Bürgerrechtes auch über die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0199] Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand. zweiter und dritter. Zuletzt kamen die Zünfte, und so um- fing von Zeit zu Zeit ein weiterer Kreis der Bürgerschaft die ältern engern Genossenschaften. Diese Entwicklung zeigte sich zuerst in der Lombardei, wo die germanische Neigung zu genossenschaftlicher Bildung und freier Selbständigkeit mit alt-romanischen Erinnerungen sich verband. Von da aus ging die Bewegung auf die Städte im südlichen Frankreich über, zum Theil noch während des zwölften, zum Theil erst im dreizehnten Jahrhunderte. Ihren Ausgang und Anhalt fand sie vornehmlich in den Resten der alten freien, in Frankreich übrigens mehr als in der Lom- bardei herabgekommenen Municipalbürgerschaft, die sich durch gewählte Prudhommes vertreten liesz. 2. Eine entschiedener demokratische Richtung und cor- porative Gestalt hatten die eidlichen Conföderationen der Bürger in den Communen, welche um dieselbe Zeit im Norden von Frankreich mit ihren Stadtherren oft blutige Kämpfe bestanden. In ihnen zeigen sich schon neue Elemente des Bürgerthums, voraus die Aufnahme in die Gildgenos- senschaft (gildonia, conjuratio, fraternitas), 2 welche allein zum Bürger der Commune machte, und mit eidlicher Ver- pflichtung auf ihre Statuten verbunden war. Die bürgerliche Freiheit und das bürgerliche Recht wurde somit theils von der bloszen Fortpflanzung der freien Rasse, theils von dem Zusammenhang mit dem Grundbesitz abgelöst, und der Nach- druck auf die corporative Verbindung gelegt. Sowohl das Lehensprincip als das Princip des altgermanischen Stände- rechtes wurden durchbrochen und ein neues persönliches Princip erzeugt. Ferner war die Verfassung der Commune der Aus- breitung der Freiheit und des Bürgerrechtes auch über die 2 Vgl. Thierry, Lettre XIV. sur l'histoire de France, und Schäffner, Rechtsgeschichte II. S. 554 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/199
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/199>, abgerufen am 23.11.2024.