Eilftes Capitel. 2. Der Adel. B. Der englische Adel.
Zwecken in Vereine zusammen zu treten, die freiwillige Selbst- besteuerung für solche Zwecke, welche zu der Tragung der Stats- und Gemeindesteuern hinzutritt, das Alles erhält die Aristokratie im Zusammenhang mit dem Volksleben und übt sie in den Pflichten der Selbstverwaltung und der patrioti- schen Thätigkeit. Niemand kann ihr vorwerfen, dasz sie eine Schmarotzerpflanze sei, welche die Volkssäfte gierig aufsauge und die Fruchtbarkeit des Stammes und seiner Zweige ver- mindere. 4
5. Das Princip des Erbrechtes ist für die englischen Lords zur statsrechtlichen Regel erhoben worden, aber weder in so absoluter Form noch so ausschlieszlich als auf dem Continent.
In der ersten Zeit stand das Erbrecht und die Pairschaft in enger Beziehung zu dem Grundbesitz oder den Aemtern; die Pairie selber hatte damals einen territorialen Charakter. Später aber wurde dieser Zusammenhang aufgelöst, und die Pairie ging als persönliche Würde durch das Erbrecht über. Von dieser frühern Verbindung mit einem bestimmten Land, oder Schlosz oder Amte her erhielt sich aber der wich- tige erbrechtliche Grundsatz, dasz nur Einer der Söhne oder Anverwandten des verstorbenen Lords an dessen Stelle ins Parlament trete. Nur der älteste Sohn wurde nach den Grund- sätzen der Erstgeburt wieder Lord, die später geborenen er- hielten mindern Rang und waren von den Rechten des hohen Adels ausgeschlossen. Nicht blosz die jüngeren Söhne des Lords sind vor dem Gesetze blosze Esquires, sondern selbst der älteste wird, so lange der Vater lebt, nur von der Höf- lichkeit der Gesellschaft, nicht von dem Rechte Lord genannt. Auf diese Weise blieb einerseits das Ansehen und der Reich- thum der groszen Familien fortdauernd in einem Familien- haupte concentrirt, und gab es andererseits Uebergänge zu
4 Vgl. die ausführliche Darstellung in dem angef. Werk von Gneist und die Charakteristik von Tocqueville Oeuvres Bd. VIII.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 11
Eilftes Capitel. 2. Der Adel. B. Der englische Adel.
Zwecken in Vereine zusammen zu treten, die freiwillige Selbst- besteuerung für solche Zwecke, welche zu der Tragung der Stats- und Gemeindesteuern hinzutritt, das Alles erhält die Aristokratie im Zusammenhang mit dem Volksleben und übt sie in den Pflichten der Selbstverwaltung und der patrioti- schen Thätigkeit. Niemand kann ihr vorwerfen, dasz sie eine Schmarotzerpflanze sei, welche die Volkssäfte gierig aufsauge und die Fruchtbarkeit des Stammes und seiner Zweige ver- mindere. 4
5. Das Princip des Erbrechtes ist für die englischen Lords zur statsrechtlichen Regel erhoben worden, aber weder in so absoluter Form noch so ausschlieszlich als auf dem Continent.
In der ersten Zeit stand das Erbrecht und die Pairschaft in enger Beziehung zu dem Grundbesitz oder den Aemtern; die Pairie selber hatte damals einen territorialen Charakter. Später aber wurde dieser Zusammenhang aufgelöst, und die Pairie ging als persönliche Würde durch das Erbrecht über. Von dieser frühern Verbindung mit einem bestimmten Land, oder Schlosz oder Amte her erhielt sich aber der wich- tige erbrechtliche Grundsatz, dasz nur Einer der Söhne oder Anverwandten des verstorbenen Lords an dessen Stelle ins Parlament trete. Nur der älteste Sohn wurde nach den Grund- sätzen der Erstgeburt wieder Lord, die später geborenen er- hielten mindern Rang und waren von den Rechten des hohen Adels ausgeschlossen. Nicht blosz die jüngeren Söhne des Lords sind vor dem Gesetze blosze Esquires, sondern selbst der älteste wird, so lange der Vater lebt, nur von der Höf- lichkeit der Gesellschaft, nicht von dem Rechte Lord genannt. Auf diese Weise blieb einerseits das Ansehen und der Reich- thum der groszen Familien fortdauernd in einem Familien- haupte concentrirt, und gab es andererseits Uebergänge zu
4 Vgl. die ausführliche Darstellung in dem angef. Werk von Gneist und die Charakteristik von Tocqueville Oeuvres Bd. VIII.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 11
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Eilftes Capitel. 2. Der Adel. B. Der englische Adel.
Zwecken in Vereine zusammen zu treten, die freiwillige Selbst-
besteuerung für solche Zwecke, welche zu der Tragung der
Stats- und Gemeindesteuern hinzutritt, das Alles erhält die
Aristokratie im Zusammenhang mit dem Volksleben und übt
sie in den Pflichten der Selbstverwaltung und der patrioti-
schen Thätigkeit. Niemand kann ihr vorwerfen, dasz sie eine
Schmarotzerpflanze sei, welche die Volkssäfte gierig aufsauge
und die Fruchtbarkeit des Stammes und seiner Zweige ver-
mindere. 4
5. Das Princip des Erbrechtes ist für die englischen
Lords zur statsrechtlichen Regel erhoben worden, aber weder
in so absoluter Form noch so ausschlieszlich als auf dem
Continent.
In der ersten Zeit stand das Erbrecht und die Pairschaft
in enger Beziehung zu dem Grundbesitz oder den Aemtern;
die Pairie selber hatte damals einen territorialen Charakter.
Später aber wurde dieser Zusammenhang aufgelöst, und die
Pairie ging als persönliche Würde durch das Erbrecht
über. Von dieser frühern Verbindung mit einem bestimmten
Land, oder Schlosz oder Amte her erhielt sich aber der wich-
tige erbrechtliche Grundsatz, dasz nur Einer der Söhne oder
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Parlament trete. Nur der älteste Sohn wurde nach den Grund-
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hielten mindern Rang und waren von den Rechten des hohen
Adels ausgeschlossen. Nicht blosz die jüngeren Söhne des
Lords sind vor dem Gesetze blosze Esquires, sondern selbst
der älteste wird, so lange der Vater lebt, nur von der Höf-
lichkeit der Gesellschaft, nicht von dem Rechte Lord genannt.
Auf diese Weise blieb einerseits das Ansehen und der Reich-
thum der groszen Familien fortdauernd in einem Familien-
haupte concentrirt, und gab es andererseits Uebergänge zu
4 Vgl. die ausführliche Darstellung in dem angef. Werk von Gneist
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/179>, abgerufen am 22.12.2024.
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