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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.
Neustrien, wo auch der Adel stärker mit Romanen gemischt war,
wurde von dem Impulse fortgerissen. Aus diesem Grunde er-
hielt der französische Adel nun ein bestimmtes germanisches
Gepräge.

Der Amts- und Dienstadel wurde mehr und mehr Lehens-
adel
der Barone, Seniores und Vasallen, von denen
jeder in seinem Kreise sich als selbständigen Herrn fühlen
lernte. Die Zeit der Karolinger ist die Zeit des Ueberganges
aus der königlichen Beamtenhierarchie in die selbst-
herrliche Herrschaft der Seigneurs
, und auch die
Erblichkeit des Adels kam allmählich wieder auf, in Ver-
bindung mit der zugestandenen Erblichkeit der Beneficien.

3. Die höchste Ausbildung und Macht erlangte und besasz
der neue Lehensadel in der dritten Periode der Kapetinger
(987 bis auf Ludwig den Heiligen 1226).

Karl der Grosze hatte noch die Einheit des States auf-
recht zu halten und die königliche Macht zu stärken gewuszt.
Aber unter seinen Nachfolgern zerfiel die fränkische Welt-
monarchie in mehrere von einander unabhängige Staten, und
in dem französischen Reiche selbst nahm die Selbständigkeit
der Aemter und der Lehen fortwährend zu. Schon Karl der
Kahle war genöthigt 4 die Erblichkeit der Grafenämter
und der Reichslehen für die Söhne der Vasallen anzuer-
kennen, und den nämlichen Grundsatz auch auf die Söhne der
Aftervasallen auszudehnen. In kurzem wurde auch den Seiten-
verwandten ein Erbrecht in die Lehen zugestanden.

Nur in der Kirche erhielt sich das Princip des indi-
viduellen Amtsadels
, im State verwandelte sich derselbe
in einen feudalen Erbadel. Ueber ganz Frankreich breitete
sich so in mannichfaltigen Abstufungen und Formen die Herr-
schaft erblicher Seigneurs aus. Ein Theil derselben besasz die
volle obrigkeitliche Gewalt in allen wesentlichen Beziehungen

4 Capit. Caroli V. a. 877. P. III. 542. c. 3.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 10

Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.
Neustrien, wo auch der Adel stärker mit Romanen gemischt war,
wurde von dem Impulse fortgerissen. Aus diesem Grunde er-
hielt der französische Adel nun ein bestimmtes germanisches
Gepräge.

Der Amts- und Dienstadel wurde mehr und mehr Lehens-
adel
der Barone, Seniores und Vasallen, von denen
jeder in seinem Kreise sich als selbständigen Herrn fühlen
lernte. Die Zeit der Karolinger ist die Zeit des Ueberganges
aus der königlichen Beamtenhierarchie in die selbst-
herrliche Herrschaft der Seigneurs
, und auch die
Erblichkeit des Adels kam allmählich wieder auf, in Ver-
bindung mit der zugestandenen Erblichkeit der Beneficien.

3. Die höchste Ausbildung und Macht erlangte und besasz
der neue Lehensadel in der dritten Periode der Kapetinger
(987 bis auf Ludwig den Heiligen 1226).

Karl der Grosze hatte noch die Einheit des States auf-
recht zu halten und die königliche Macht zu stärken gewuszt.
Aber unter seinen Nachfolgern zerfiel die fränkische Welt-
monarchie in mehrere von einander unabhängige Staten, und
in dem französischen Reiche selbst nahm die Selbständigkeit
der Aemter und der Lehen fortwährend zu. Schon Karl der
Kahle war genöthigt 4 die Erblichkeit der Grafenämter
und der Reichslehen für die Söhne der Vasallen anzuer-
kennen, und den nämlichen Grundsatz auch auf die Söhne der
Aftervasallen auszudehnen. In kurzem wurde auch den Seiten-
verwandten ein Erbrecht in die Lehen zugestanden.

Nur in der Kirche erhielt sich das Princip des indi-
viduellen Amtsadels
, im State verwandelte sich derselbe
in einen feudalen Erbadel. Ueber ganz Frankreich breitete
sich so in mannichfaltigen Abstufungen und Formen die Herr-
schaft erblicher Seigneurs aus. Ein Theil derselben besasz die
volle obrigkeitliche Gewalt in allen wesentlichen Beziehungen

4 Capit. Caroli V. a. 877. P. III. 542. c. 3.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 10
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[145/0163] Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel. Neustrien, wo auch der Adel stärker mit Romanen gemischt war, wurde von dem Impulse fortgerissen. Aus diesem Grunde er- hielt der französische Adel nun ein bestimmtes germanisches Gepräge. Der Amts- und Dienstadel wurde mehr und mehr Lehens- adel der Barone, Seniores und Vasallen, von denen jeder in seinem Kreise sich als selbständigen Herrn fühlen lernte. Die Zeit der Karolinger ist die Zeit des Ueberganges aus der königlichen Beamtenhierarchie in die selbst- herrliche Herrschaft der Seigneurs, und auch die Erblichkeit des Adels kam allmählich wieder auf, in Ver- bindung mit der zugestandenen Erblichkeit der Beneficien. 3. Die höchste Ausbildung und Macht erlangte und besasz der neue Lehensadel in der dritten Periode der Kapetinger (987 bis auf Ludwig den Heiligen 1226). Karl der Grosze hatte noch die Einheit des States auf- recht zu halten und die königliche Macht zu stärken gewuszt. Aber unter seinen Nachfolgern zerfiel die fränkische Welt- monarchie in mehrere von einander unabhängige Staten, und in dem französischen Reiche selbst nahm die Selbständigkeit der Aemter und der Lehen fortwährend zu. Schon Karl der Kahle war genöthigt 4 die Erblichkeit der Grafenämter und der Reichslehen für die Söhne der Vasallen anzuer- kennen, und den nämlichen Grundsatz auch auf die Söhne der Aftervasallen auszudehnen. In kurzem wurde auch den Seiten- verwandten ein Erbrecht in die Lehen zugestanden. Nur in der Kirche erhielt sich das Princip des indi- viduellen Amtsadels, im State verwandelte sich derselbe in einen feudalen Erbadel. Ueber ganz Frankreich breitete sich so in mannichfaltigen Abstufungen und Formen die Herr- schaft erblicher Seigneurs aus. Ein Theil derselben besasz die volle obrigkeitliche Gewalt in allen wesentlichen Beziehungen 4 Capit. Caroli V. a. 877. P. III. 542. c. 3. Bluntschli, allgemeine Statslehre. 10

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/163>, abgerufen am 25.11.2024.