schützen, aber sie waren immer bereit, fremde Mächte zu ihrem Schutze herbei zu rufen, wenn ihre Politik dieser Hülfe be- durfte. Sie erhoben Rom wieder zur vornehmsten Stadt der Christenheit und schmückten Rom mit Kirchen und Kunst- werken, aber die begabten Römer blieben unter ihrer kirch- lichen Regierung und Zucht in weltlichen Tugenden und Vor- zügen hinter den Bürgern der italienischen Republiken zurück. Der Kirchenstat ward nicht zum Vorbilde, sondern zum Zerr- bilde der civilisirten Statenbildung. Die moderne Welt weisz nun, dasz das geistliche Regiment untauglich ist für die ge- sunde Statsleitung und die Römer selber errangen von der Säcularisation des Kirchenstats die Verbesserung ihrer politisch verkommenen Zustände.
Nächst Italien hat Deutschland voraus die politische Macht der geistlichen Fürsten erhoben. Schon in der fränki- schen Monarchie nahmen die Bischöfe eine hervorragende Stellung ein auf den fränkischen Reichstagen, bald in Gemein- schaft mit den weltlichen Groszen, insbesondere den Gaugrafen, als Versammlung der Majores oder Seniores, bald ohne diese in kirchlichen Versammlungen.
Die Mischung mit weltlicher Macht und Würde trat aber nirgends entschiedener zu Tage, als in der Verfassung des deutschen Reichs. Da finden wir unter den sieben Kur- fürsten drei geistliche, die Erzbischöfe von Mainz, Cöln und Trier, und bei den Königswahlen geht der Kurfürst von Mainz als Erzkanzler für Deutschland voraus mit seiner Stimme. In dem Kurcollegium nehmen sie die ersten Plätze ein. Zu- gleich sind sie Landesfürsten und ihre Länder als Kurländer erlangen am frühesten beinahe souveräne Selbständigkeit.
Daneben gibt es eine grosze Anzahl von Erzbischöfen, Bischöfen und Aebten, welche in einem bestimmten Ge- biete die Rechte der Landeshoheit erworben haben und auf den Reichstagen Sitz und Stimme haben, entweder als wirkliche Reichsfürsten eine Virilstimme, wie z. B. die Erzbischöfe
Neuntes Capitel. 1. Der Klerus.
schützen, aber sie waren immer bereit, fremde Mächte zu ihrem Schutze herbei zu rufen, wenn ihre Politik dieser Hülfe be- durfte. Sie erhoben Rom wieder zur vornehmsten Stadt der Christenheit und schmückten Rom mit Kirchen und Kunst- werken, aber die begabten Römer blieben unter ihrer kirch- lichen Regierung und Zucht in weltlichen Tugenden und Vor- zügen hinter den Bürgern der italienischen Republiken zurück. Der Kirchenstat ward nicht zum Vorbilde, sondern zum Zerr- bilde der civilisirten Statenbildung. Die moderne Welt weisz nun, dasz das geistliche Regiment untauglich ist für die ge- sunde Statsleitung und die Römer selber errangen von der Säcularisation des Kirchenstats die Verbesserung ihrer politisch verkommenen Zustände.
Nächst Italien hat Deutschland voraus die politische Macht der geistlichen Fürsten erhoben. Schon in der fränki- schen Monarchie nahmen die Bischöfe eine hervorragende Stellung ein auf den fränkischen Reichstagen, bald in Gemein- schaft mit den weltlichen Groszen, insbesondere den Gaugrafen, als Versammlung der Majores oder Seniores, bald ohne diese in kirchlichen Versammlungen.
Die Mischung mit weltlicher Macht und Würde trat aber nirgends entschiedener zu Tage, als in der Verfassung des deutschen Reichs. Da finden wir unter den sieben Kur- fürsten drei geistliche, die Erzbischöfe von Mainz, Cöln und Trier, und bei den Königswahlen geht der Kurfürst von Mainz als Erzkanzler für Deutschland voraus mit seiner Stimme. In dem Kurcollegium nehmen sie die ersten Plätze ein. Zu- gleich sind sie Landesfürsten und ihre Länder als Kurländer erlangen am frühesten beinahe souveräne Selbständigkeit.
Daneben gibt es eine grosze Anzahl von Erzbischöfen, Bischöfen und Aebten, welche in einem bestimmten Ge- biete die Rechte der Landeshoheit erworben haben und auf den Reichstagen Sitz und Stimme haben, entweder als wirkliche Reichsfürsten eine Virilstimme, wie z. B. die Erzbischöfe
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Neuntes Capitel. 1. Der Klerus.
schützen, aber sie waren immer bereit, fremde Mächte zu ihrem
Schutze herbei zu rufen, wenn ihre Politik dieser Hülfe be-
durfte. Sie erhoben Rom wieder zur vornehmsten Stadt der
Christenheit und schmückten Rom mit Kirchen und Kunst-
werken, aber die begabten Römer blieben unter ihrer kirch-
lichen Regierung und Zucht in weltlichen Tugenden und Vor-
zügen hinter den Bürgern der italienischen Republiken zurück.
Der Kirchenstat ward nicht zum Vorbilde, sondern zum Zerr-
bilde der civilisirten Statenbildung. Die moderne Welt weisz
nun, dasz das geistliche Regiment untauglich ist für die ge-
sunde Statsleitung und die Römer selber errangen von der
Säcularisation des Kirchenstats die Verbesserung ihrer politisch
verkommenen Zustände.
Nächst Italien hat Deutschland voraus die politische
Macht der geistlichen Fürsten erhoben. Schon in der fränki-
schen Monarchie nahmen die Bischöfe eine hervorragende
Stellung ein auf den fränkischen Reichstagen, bald in Gemein-
schaft mit den weltlichen Groszen, insbesondere den Gaugrafen,
als Versammlung der Majores oder Seniores, bald ohne
diese in kirchlichen Versammlungen.
Die Mischung mit weltlicher Macht und Würde trat aber
nirgends entschiedener zu Tage, als in der Verfassung des
deutschen Reichs. Da finden wir unter den sieben Kur-
fürsten drei geistliche, die Erzbischöfe von Mainz, Cöln
und Trier, und bei den Königswahlen geht der Kurfürst von
Mainz als Erzkanzler für Deutschland voraus mit seiner Stimme.
In dem Kurcollegium nehmen sie die ersten Plätze ein. Zu-
gleich sind sie Landesfürsten und ihre Länder als Kurländer
erlangen am frühesten beinahe souveräne Selbständigkeit.
Daneben gibt es eine grosze Anzahl von Erzbischöfen,
Bischöfen und Aebten, welche in einem bestimmten Ge-
biete die Rechte der Landeshoheit erworben haben und auf den
Reichstagen Sitz und Stimme haben, entweder als wirkliche
Reichsfürsten eine Virilstimme, wie z. B. die Erzbischöfe
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/155>, abgerufen am 22.11.2024.
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