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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Capitel. II. Die Begriffe Nation und Volk.
als nationale Franzosen, obwohl sie die französische Sprache
entweder gar nicht oder nur wie eine fremde erlernte Sprache
reden. Hier haben die statliche Verbindung zu Einem Volk,
die gemeinsamen Schicksale und Interessen, die Gemeinschaft
der Cultur das Gefühl der französischen Nationalität geweckt
und ausgebildet. Hinwieder betrachten sich Engländer und
Nordamerikaner trotz der fortdauernden Sprachgemeinschaft
doch als zwei getrennte, wenn gleich nahe verwandte Natio-
nalitäten. Nicht die Sprache sondern der Gegensatz zweier
Welttheile, zwischen denen das breite Weltmeer sich aus-
dehnt, die Verschiedenheit der Natur- und der Lebensauf-
gaben, die geschichtlichen, socialen und politischen Gegen-
sätze haben die Eine Nation in zwei Nationen gespalten.

Diese Beispiele zeigen, dasz auszer der Religion und der
Sprache auch a) die Gemeinschaft des Wohnsitzes und des
Landes, b) der Lebensart, der Lebensaufgaben und
der Sitten und c) der statlichen Verbindung auf die Bil-
dung neuer Nationen einwirken.

Endlich üben auf dieselbe die Mischungen einen be-
deutenden Einflusz aus, welche die Theile einer Nationalität
mit den Angehörigen einer andern Nation verbinden. Es
kann daraus ein neuer Typus und ein neuer Charakter der
Massengemeinschaft, folglich auch eine neue Nation entsprin-
gen. Die europäische und die amerikanische Geschichte ist
reich an Belegen dafür.

Die Nation ist ein Culturwesen, indem sowohl ihre
innere Zusammengehörigkeit als ihre Abtrennung von frem-
den Nationen vornehmlich aus der Culturentwicklung enstan-
den sind und vorzugsweise ihre Wirkung auf die Culturzu-
stände äuszern. Sie ist nur psychologisch zu verstehen,
indem ihr Wesen in dem Gemeingeist und Gemeincharakter
zu erkennen ist, der sie beseelt. Man kann sie insofern auch
einen Organismus nennen, als ihre Eigenart auch in dem
gleichartigen Körperbau der nationalen Rasse und in den

Zweites Capitel. II. Die Begriffe Nation und Volk.
als nationale Franzosen, obwohl sie die französische Sprache
entweder gar nicht oder nur wie eine fremde erlernte Sprache
reden. Hier haben die statliche Verbindung zu Einem Volk,
die gemeinsamen Schicksale und Interessen, die Gemeinschaft
der Cultur das Gefühl der französischen Nationalität geweckt
und ausgebildet. Hinwieder betrachten sich Engländer und
Nordamerikaner trotz der fortdauernden Sprachgemeinschaft
doch als zwei getrennte, wenn gleich nahe verwandte Natio-
nalitäten. Nicht die Sprache sondern der Gegensatz zweier
Welttheile, zwischen denen das breite Weltmeer sich aus-
dehnt, die Verschiedenheit der Natur- und der Lebensauf-
gaben, die geschichtlichen, socialen und politischen Gegen-
sätze haben die Eine Nation in zwei Nationen gespalten.

Diese Beispiele zeigen, dasz auszer der Religion und der
Sprache auch a) die Gemeinschaft des Wohnsitzes und des
Landes, b) der Lebensart, der Lebensaufgaben und
der Sitten und c) der statlichen Verbindung auf die Bil-
dung neuer Nationen einwirken.

Endlich üben auf dieselbe die Mischungen einen be-
deutenden Einflusz aus, welche die Theile einer Nationalität
mit den Angehörigen einer andern Nation verbinden. Es
kann daraus ein neuer Typus und ein neuer Charakter der
Massengemeinschaft, folglich auch eine neue Nation entsprin-
gen. Die europäische und die amerikanische Geschichte ist
reich an Belegen dafür.

Die Nation ist ein Culturwesen, indem sowohl ihre
innere Zusammengehörigkeit als ihre Abtrennung von frem-
den Nationen vornehmlich aus der Culturentwicklung enstan-
den sind und vorzugsweise ihre Wirkung auf die Culturzu-
stände äuszern. Sie ist nur psychologisch zu verstehen,
indem ihr Wesen in dem Gemeingeist und Gemeincharakter
zu erkennen ist, der sie beseelt. Man kann sie insofern auch
einen Organismus nennen, als ihre Eigenart auch in dem
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[95/0113] Zweites Capitel. II. Die Begriffe Nation und Volk. als nationale Franzosen, obwohl sie die französische Sprache entweder gar nicht oder nur wie eine fremde erlernte Sprache reden. Hier haben die statliche Verbindung zu Einem Volk, die gemeinsamen Schicksale und Interessen, die Gemeinschaft der Cultur das Gefühl der französischen Nationalität geweckt und ausgebildet. Hinwieder betrachten sich Engländer und Nordamerikaner trotz der fortdauernden Sprachgemeinschaft doch als zwei getrennte, wenn gleich nahe verwandte Natio- nalitäten. Nicht die Sprache sondern der Gegensatz zweier Welttheile, zwischen denen das breite Weltmeer sich aus- dehnt, die Verschiedenheit der Natur- und der Lebensauf- gaben, die geschichtlichen, socialen und politischen Gegen- sätze haben die Eine Nation in zwei Nationen gespalten. Diese Beispiele zeigen, dasz auszer der Religion und der Sprache auch a) die Gemeinschaft des Wohnsitzes und des Landes, b) der Lebensart, der Lebensaufgaben und der Sitten und c) der statlichen Verbindung auf die Bil- dung neuer Nationen einwirken. Endlich üben auf dieselbe die Mischungen einen be- deutenden Einflusz aus, welche die Theile einer Nationalität mit den Angehörigen einer andern Nation verbinden. Es kann daraus ein neuer Typus und ein neuer Charakter der Massengemeinschaft, folglich auch eine neue Nation entsprin- gen. Die europäische und die amerikanische Geschichte ist reich an Belegen dafür. Die Nation ist ein Culturwesen, indem sowohl ihre innere Zusammengehörigkeit als ihre Abtrennung von frem- den Nationen vornehmlich aus der Culturentwicklung enstan- den sind und vorzugsweise ihre Wirkung auf die Culturzu- stände äuszern. Sie ist nur psychologisch zu verstehen, indem ihr Wesen in dem Gemeingeist und Gemeincharakter zu erkennen ist, der sie beseelt. Man kann sie insofern auch einen Organismus nennen, als ihre Eigenart auch in dem gleichartigen Körperbau der nationalen Rasse und in den

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/113>, abgerufen am 24.11.2024.