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Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Göttingen, 1830.

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und gemeint, es werde gar kein Mensch, und kein
anderes Thier, und keine Pflanze erzeugt, - son-
dern sie lägen alle schon seit der ersten Schöpfung
als völlig präformirte Keime*) bey ihren
Aeltern und Vorfahren längst vorräthig; die ver-
schiedenen Generationen steckten, gleichsam wie ein-
gepackte Schachteln, in einander; und würden nur
nach und nach, so wie die Reihe an sie käme, durch
die Befruchtung entwickelt und ans Licht gebracht. -
Eine Meinung, die doch schon sowohl durch den
dabei erforderlichen Aufwand von übernatürlichen
(hyperphysischen) Anstalten**), als durch die,
allen Gesetzen einer philosophischen Naturforschung
zuwiderlaufende unnütze Vervielfältigung der
natürlichen [physischen]***) Kräfte, und durch die
unübersehliche Menge von zwecklosen Schöpfun-
gen
aller der zahllosen präformirten Keime, die
nur nicht zu ihrer Entwickelung gelangen konnten,
aller präjudizlosen Urtheilskraft widerstehen müßte,
wenn sie auch nicht durch die überwiegenden gegen-
seitigen Erfahrungsgründe
widerlegt würde.

*) "Denn" (so sagt Haller, das Haupt der neuern Evo-
lutionisten -) "alle Eingeweide und die Knochen selbst waren
schon im unsichtbaren Keim vorhero gebaut gegenwärtig, obgleich
in einem fast flüssigen Zustande."
Und das ist doch wenigstens bestimmte Sprache.Wenn hingegen andre, um die Evolutionshypothese mit
der Lehre von der allmählichen Bildung in vereinbaren, zwar
zugeben, daß der Zeugungsstoff nicht präformirt sey, aber doch
meinen, daß er dessen ungeachtet einen Keim enthalte, der den-
noch was anders sey, als ungeformter Zeugungsstoff etc., so sind
das unbestimmte, leere Ausdrücke. Wenigstens geht mir es dann
mit solchen Quasi-Keimen, wie dem Cicero mit dem quasi
corpus
des Gottes der Epicuräer, wovon er sagt: "corpus quid
sit, intelligo: quasi corpus quid sit, nullo prorsus modo in-
telligo
."
**) s. Kant a. a. O. S. 372.
***) Physische Kräfte überhaupt - im Gegensatz jener
hyperphysischen Anstalten.

und gemeint, es werde gar kein Mensch, und kein
anderes Thier, und keine Pflanze erzeugt, – son-
dern sie lägen alle schon seit der ersten Schöpfung
als völlig präformirte Keime*) bey ihren
Aeltern und Vorfahren längst vorräthig; die ver-
schiedenen Generationen steckten, gleichsam wie ein-
gepackte Schachteln, in einander; und würden nur
nach und nach, so wie die Reihe an sie käme, durch
die Befruchtung entwickelt und ans Licht gebracht. –
Eine Meinung, die doch schon sowohl durch den
dabei erforderlichen Aufwand von übernatürlichen
(hyperphysischen) Anstalten**), als durch die,
allen Gesetzen einer philosophischen Naturforschung
zuwiderlaufende unnütze Vervielfältigung der
natürlichen [physischen]***) Kräfte, und durch die
unübersehliche Menge von zwecklosen Schöpfun-
gen
aller der zahllosen präformirten Keime, die
nur nicht zu ihrer Entwickelung gelangen konnten,
aller präjudizlosen Urtheilskraft widerstehen müßte,
wenn sie auch nicht durch die überwiegenden gegen-
seitigen Erfahrungsgründe
widerlegt würde.

*) „Denn“ (so sagt Haller, das Haupt der neuern Evo-
lutionisten –) „alle Eingeweide und die Knochen selbst waren
schon im unsichtbaren Keim vorhero gebaut gegenwärtig, obgleich
in einem fast flüssigen Zustande.“
Und das ist doch wenigstens bestimmte Sprache.Wenn hingegen andre, um die Evolutionshypothese mit
der Lehre von der allmählichen Bildung in vereinbaren, zwar
zugeben, daß der Zeugungsstoff nicht präformirt sey, aber doch
meinen, daß er dessen ungeachtet einen Keim enthalte, der den-
noch was anders sey, als ungeformter Zeugungsstoff ꝛc., so sind
das unbestimmte, leere Ausdrücke. Wenigstens geht mir es dann
mit solchen Quasi-Keimen, wie dem Cicero mit dem quasi
corpus
des Gottes der Epicuräer, wovon er sagt: "corpus quid
sit, intelligo: quasi corpus quid sit, nullo prorsus modo in-
telligo
.“
**) s. Kant a. a. O. S. 372.
***) Physische Kräfte überhaupt – im Gegensatz jener
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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 12. Aufl. Göttingen, 1830, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1830/30>, abgerufen am 20.04.2024.