Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

wen zu schwach werden, wenn diese grossen und
fürchterlichen Thiere den unersättlichen Liebes-
trieb der Caninchen oder Meerschweinchen be-
sässen. Eben so merkwürdig sind die Triebe
der Selbsterhaltung, ohne welche ganze Thier-
arten sehr bald ihren Untergang finden würden.
Nur wenige haben Winterschlaf: wie viele der
übrigen müßten also unter Kälte und Mangel
an Lebensmitteln erliegen, wenn nicht einige,
wie die Biber, vom Instinct getrieben, zur guten
Zeit ihre Scheuern mit Wintervorrath füllten,
oder andere, wie die Zugvögel, im Herbst unsre
rauhen Gegenden verliessen, und bis gegens Früh-
jahr sich am Nil, am Senega etc. wohl seyn
liessen. Daß dies blos innerer Trieb, nicht
Gewohnheit, oder Unterweisung und Tradition
der alten Thiere sey, lehrt das Beyspiel junger
Zugvögel, die man ganz isolirt im Zimmer er-
zogen hat, und die doch, wenn die Zeit naht,
da ihre Brüder ihr Haus bestellen, und sich zu
ihrer grossen Reise bereiten, im Bauer unruhig
werden, und es, bey allem guten Futter und bey
aller Bequemlichkeit, doch innerlich fülen, daß
es nicht ihre Bestimmung sey, das ganze Jahr
am gleichen Ort zu verweilen. Andre Natur-
triebe der Thiere dienen nicht zu Befriedigung
eigener Bedürfnisse, sondern blos zur Erhal-
tung ihrer, vielleicht noch nicht einmal erzeug-
ten, Nachkommenschaft. Die genaue Wahl eines
schicklichen Ortes zum Eyerlegen, welcher dem

wen zu schwach werden, wenn diese grossen und
fürchterlichen Thiere den unersättlichen Liebes-
trieb der Caninchen oder Meerschweinchen be-
sässen. Eben so merkwürdig sind die Triebe
der Selbsterhaltung, ohne welche ganze Thier-
arten sehr bald ihren Untergang finden würden.
Nur wenige haben Winterschlaf: wie viele der
übrigen müßten also unter Kälte und Mangel
an Lebensmitteln erliegen, wenn nicht einige,
wie die Biber, vom Instinct getrieben, zur guten
Zeit ihre Scheuern mit Wintervorrath füllten,
oder andere, wie die Zugvögel, im Herbst unsre
rauhen Gegenden verliessen, und bis gegens Früh-
jahr sich am Nil, am Senega ꝛc. wohl seyn
liessen. Daß dies blos innerer Trieb, nicht
Gewohnheit, oder Unterweisung und Tradition
der alten Thiere sey, lehrt das Beyspiel junger
Zugvögel, die man ganz isolirt im Zimmer er-
zogen hat, und die doch, wenn die Zeit naht,
da ihre Brüder ihr Haus bestellen, und sich zu
ihrer grossen Reise bereiten, im Bauer unruhig
werden, und es, bey allem guten Futter und bey
aller Bequemlichkeit, doch innerlich fülen, daß
es nicht ihre Bestimmung sey, das ganze Jahr
am gleichen Ort zu verweilen. Andre Natur-
triebe der Thiere dienen nicht zu Befriedigung
eigener Bedürfnisse, sondern blos zur Erhal-
tung ihrer, vielleicht noch nicht einmal erzeug-
ten, Nachkommenschaft. Die genaue Wahl eines
schicklichen Ortes zum Eyerlegen, welcher dem

<TEI>
  <text xml:id="blume_hbnatur_000021">
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" xml:id="pb040_0001" n="40"/>
wen zu schwach werden, wenn diese grossen und<lb/>
fürchterlichen Thiere den unersättlichen Liebes-<lb/>
trieb der Caninchen oder Meerschweinchen be-<lb/>
sässen. Eben so merkwürdig sind die Triebe<lb/>
der Selbsterhaltung, ohne welche ganze Thier-<lb/>
arten sehr bald ihren Untergang finden würden.<lb/>
Nur wenige haben Winterschlaf: wie viele der<lb/>
übrigen müßten also unter Kälte und Mangel<lb/>
an Lebensmitteln erliegen, wenn nicht einige,<lb/>
wie die Biber, vom Instinct getrieben, zur guten<lb/>
Zeit ihre Scheuern mit Wintervorrath füllten,<lb/>
oder andere, wie die Zugvögel, im Herbst unsre<lb/>
rauhen Gegenden verliessen, und bis gegens Früh-<lb/>
jahr sich am Nil, am Senega &#xA75B;c. wohl seyn<lb/>
liessen. Daß dies blos innerer Trieb, nicht<lb/>
Gewohnheit, oder Unterweisung und Tradition<lb/>
der alten Thiere sey, lehrt das Beyspiel junger<lb/>
Zugvögel, die man ganz isolirt im Zimmer er-<lb/>
zogen hat, und die doch, wenn die Zeit naht,<lb/>
da ihre Brüder ihr Haus bestellen, und sich zu<lb/>
ihrer grossen Reise bereiten, im Bauer unruhig<lb/>
werden, und es, bey allem guten Futter und bey<lb/>
aller Bequemlichkeit, doch innerlich fülen, daß<lb/>
es nicht ihre Bestimmung sey, das ganze Jahr<lb/>
am gleichen Ort zu verweilen. Andre Natur-<lb/>
triebe der Thiere dienen nicht zu Befriedigung<lb/>
eigener Bedürfnisse, sondern blos zur Erhal-<lb/>
tung ihrer, vielleicht noch nicht einmal erzeug-<lb/>
ten, Nachkommenschaft. Die genaue Wahl eines<lb/>
schicklichen Ortes zum Eyerlegen, welcher dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0062] wen zu schwach werden, wenn diese grossen und fürchterlichen Thiere den unersättlichen Liebes- trieb der Caninchen oder Meerschweinchen be- sässen. Eben so merkwürdig sind die Triebe der Selbsterhaltung, ohne welche ganze Thier- arten sehr bald ihren Untergang finden würden. Nur wenige haben Winterschlaf: wie viele der übrigen müßten also unter Kälte und Mangel an Lebensmitteln erliegen, wenn nicht einige, wie die Biber, vom Instinct getrieben, zur guten Zeit ihre Scheuern mit Wintervorrath füllten, oder andere, wie die Zugvögel, im Herbst unsre rauhen Gegenden verliessen, und bis gegens Früh- jahr sich am Nil, am Senega ꝛc. wohl seyn liessen. Daß dies blos innerer Trieb, nicht Gewohnheit, oder Unterweisung und Tradition der alten Thiere sey, lehrt das Beyspiel junger Zugvögel, die man ganz isolirt im Zimmer er- zogen hat, und die doch, wenn die Zeit naht, da ihre Brüder ihr Haus bestellen, und sich zu ihrer grossen Reise bereiten, im Bauer unruhig werden, und es, bey allem guten Futter und bey aller Bequemlichkeit, doch innerlich fülen, daß es nicht ihre Bestimmung sey, das ganze Jahr am gleichen Ort zu verweilen. Andre Natur- triebe der Thiere dienen nicht zu Befriedigung eigener Bedürfnisse, sondern blos zur Erhal- tung ihrer, vielleicht noch nicht einmal erzeug- ten, Nachkommenschaft. Die genaue Wahl eines schicklichen Ortes zum Eyerlegen, welcher dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Editura GmbH & Co.KG, Berlin: Volltexterstellung und Basis-TEI-Auszeichung
Johann Friedrich Blumenbach – online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-26T09:00:15Z)
Frank Wiegand: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-08-26T09:00:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Nicht erfasst: Bogensignaturen und Kustoden, Kolumnentitel.
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterschiede zugunsten der Identifizierung von <titlePart>s verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.
  • Langes ſ: als s transkribiert.
  • Hochgestellte e über Vokalen: in moderner Schreibweise erfasst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779/62
Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779/62>, abgerufen am 03.12.2024.