Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 23.
I. Was heißt eine Spezies.

Thiere werden zu einer und derselben Spezies
(Gattung) gehörig genannt, in wiefern sie an Ge-
stalt und Verhaltungsweise so zusammenpassen, daß
ihre Verschiedenheit von einander bloß durch Abar-
tung hat entstehen können.

Diejenigen Gattungen hingegen nennen wir ver-
schieden, deren Unterscheidendes so wesentlich ist,
daß sie aus den bekannten Quellen der Abartung sich
nicht erläutern läßt.

Als abgezogener Begriff wäre dies gut.

Nun aber die Kennzeichen darzustellen, wodurch
wir in der Natur selbst die bloßen Verschiedenheiten
und ächten Spezies von einander unterscheiden kön-
nen -- das ist eben das Schwierige.

Ray, der unsterbliche Mann, hat schon im vo-
rigen Jahrhunderte, also lange vor Büffon, dieje-
nigen Thiere zu einer Gattung zählen zu müssen ge-
glaubt, welche sich mit einander vermischen, und
fruchtbare Junge erzeugen.

Da aber dieses Merkzeichen bey den, von dem
Menschen unterjochten Hausthieren, der gezwunge-
nen Lebensweise halber, zweydeutig und unsicher
scheint, so hat es der scharfsinnige Frisch schon zu
Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts blos auf
die wilden Thiere eingeschränkt, und diejenigen zu
einer Gattung gehörig erklärt, welche von Natur
sich mit einander paaren 1).


Allein
1) "Wenn sich Thiere von Natur mit einander gat-
ten, so ist solches ein unfehlbares Kennzeichen, daß
sie von einerley Spezie sind." --
Das-
§. 23.
I. Was heißt eine Spezies.

Thiere werden zu einer und derſelben Spezies
(Gattung) gehoͤrig genannt, in wiefern ſie an Ge-
ſtalt und Verhaltungsweiſe ſo zuſammenpaſſen, daß
ihre Verſchiedenheit von einander bloß durch Abar-
tung hat entſtehen koͤnnen.

Diejenigen Gattungen hingegen nennen wir ver-
ſchieden, deren Unterſcheidendes ſo weſentlich iſt,
daß ſie aus den bekannten Quellen der Abartung ſich
nicht erlaͤutern laͤßt.

Als abgezogener Begriff waͤre dies gut.

Nun aber die Kennzeichen darzuſtellen, wodurch
wir in der Natur ſelbſt die bloßen Verſchiedenheiten
und aͤchten Spezies von einander unterſcheiden koͤn-
nen — das iſt eben das Schwierige.

Ray, der unſterbliche Mann, hat ſchon im vo-
rigen Jahrhunderte, alſo lange vor Buͤffon, dieje-
nigen Thiere zu einer Gattung zaͤhlen zu muͤſſen ge-
glaubt, welche ſich mit einander vermiſchen, und
fruchtbare Junge erzeugen.

Da aber dieſes Merkzeichen bey den, von dem
Menſchen unterjochten Hausthieren, der gezwunge-
nen Lebensweiſe halber, zweydeutig und unſicher
ſcheint, ſo hat es der ſcharfſinnige Friſch ſchon zu
Anfang des gegenwaͤrtigen Jahrhunderts blos auf
die wilden Thiere eingeſchraͤnkt, und diejenigen zu
einer Gattung gehoͤrig erklaͤrt, welche von Natur
ſich mit einander paaren 1).


Allein
1) „Wenn ſich Thiere von Natur mit einander gat-
ten, ſo iſt ſolches ein unfehlbares Kennzeichen, daß
ſie von einerley Spezie ſind.“ —
Daſ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0093" n="59"/>
        <div n="2">
          <head>§. 23.<lb/><hi rendition="#aq">I.</hi> <hi rendition="#g">Was heißt eine Spezies</hi>.</head><lb/>
          <p>Thiere werden zu einer und der&#x017F;elben Spezies<lb/>
(Gattung) geho&#x0364;rig genannt, in wiefern &#x017F;ie an Ge-<lb/>
&#x017F;talt und Verhaltungswei&#x017F;e &#x017F;o zu&#x017F;ammenpa&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
ihre Ver&#x017F;chiedenheit von einander bloß durch Abar-<lb/>
tung hat ent&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Diejenigen Gattungen hingegen nennen wir ver-<lb/>
&#x017F;chieden, deren Unter&#x017F;cheidendes &#x017F;o we&#x017F;entlich i&#x017F;t,<lb/>
daß &#x017F;ie aus den bekannten Quellen der Abartung &#x017F;ich<lb/>
nicht erla&#x0364;utern la&#x0364;ßt.</p><lb/>
          <p>Als abgezogener Begriff wa&#x0364;re dies gut.</p><lb/>
          <p>Nun aber die Kennzeichen darzu&#x017F;tellen, wodurch<lb/>
wir in der Natur &#x017F;elb&#x017F;t die bloßen Ver&#x017F;chiedenheiten<lb/>
und a&#x0364;chten Spezies von einander unter&#x017F;cheiden ko&#x0364;n-<lb/>
nen &#x2014; das i&#x017F;t eben das Schwierige.</p><lb/>
          <p>Ray, der un&#x017F;terbliche Mann, hat &#x017F;chon im vo-<lb/>
rigen Jahrhunderte, al&#x017F;o lange vor Bu&#x0364;ffon, dieje-<lb/>
nigen Thiere zu einer Gattung za&#x0364;hlen zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ge-<lb/>
glaubt, welche &#x017F;ich mit einander vermi&#x017F;chen, und<lb/>
fruchtbare Junge erzeugen.</p><lb/>
          <p>Da aber die&#x017F;es Merkzeichen bey den, von dem<lb/>
Men&#x017F;chen unterjochten Hausthieren, der gezwunge-<lb/>
nen Lebenswei&#x017F;e halber, zweydeutig und un&#x017F;icher<lb/>
&#x017F;cheint, &#x017F;o hat es der &#x017F;charf&#x017F;innige Fri&#x017F;ch &#x017F;chon zu<lb/>
Anfang des gegenwa&#x0364;rtigen Jahrhunderts blos auf<lb/>
die wilden Thiere einge&#x017F;chra&#x0364;nkt, und diejenigen zu<lb/>
einer Gattung geho&#x0364;rig erkla&#x0364;rt, welche von Natur<lb/>
&#x017F;ich mit einander paaren <note xml:id="note-0093" next="#note-0094" place="foot" n="1)">&#x201E;Wenn &#x017F;ich <hi rendition="#g">Thiere von Natur mit</hi> einander gat-<lb/>
ten, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;olches ein unfehlbares Kennzeichen, daß<lb/>
&#x017F;ie von einerley <hi rendition="#g">Spezie</hi> &#x017F;ind.&#x201C; &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Da&#x017F;-</fw></note>.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Allein</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0093] §. 23. I. Was heißt eine Spezies. Thiere werden zu einer und derſelben Spezies (Gattung) gehoͤrig genannt, in wiefern ſie an Ge- ſtalt und Verhaltungsweiſe ſo zuſammenpaſſen, daß ihre Verſchiedenheit von einander bloß durch Abar- tung hat entſtehen koͤnnen. Diejenigen Gattungen hingegen nennen wir ver- ſchieden, deren Unterſcheidendes ſo weſentlich iſt, daß ſie aus den bekannten Quellen der Abartung ſich nicht erlaͤutern laͤßt. Als abgezogener Begriff waͤre dies gut. Nun aber die Kennzeichen darzuſtellen, wodurch wir in der Natur ſelbſt die bloßen Verſchiedenheiten und aͤchten Spezies von einander unterſcheiden koͤn- nen — das iſt eben das Schwierige. Ray, der unſterbliche Mann, hat ſchon im vo- rigen Jahrhunderte, alſo lange vor Buͤffon, dieje- nigen Thiere zu einer Gattung zaͤhlen zu muͤſſen ge- glaubt, welche ſich mit einander vermiſchen, und fruchtbare Junge erzeugen. Da aber dieſes Merkzeichen bey den, von dem Menſchen unterjochten Hausthieren, der gezwunge- nen Lebensweiſe halber, zweydeutig und unſicher ſcheint, ſo hat es der ſcharfſinnige Friſch ſchon zu Anfang des gegenwaͤrtigen Jahrhunderts blos auf die wilden Thiere eingeſchraͤnkt, und diejenigen zu einer Gattung gehoͤrig erklaͤrt, welche von Natur ſich mit einander paaren 1). Allein 1) „Wenn ſich Thiere von Natur mit einander gat- ten, ſo iſt ſolches ein unfehlbares Kennzeichen, daß ſie von einerley Spezie ſind.“ — Daſ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/93
Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/93>, abgerufen am 22.11.2024.