Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Kindern gleich nach der Geburt, den noch ganz
wachsweichen und gleichsam einem feuchten und wei-
chen Leimen ähnlichen Kopf zwischen den Händen
zusammen und trieben ihn dadurch ins längliche; sie
zwängten ihn sogar durch Binden und andre Hülfs-
mittel zusammen, um die runde Form desselben in
eine länglichte umzugestalten. Diese Gewohnheit sey
Anfangs die Ursache solcher langen Köpfe gewesen.
In der Folge aber habe die Natur diese Form frey-
willig hervorgebracht, so, daß man sie durch die
vorige Gewohnheit nicht mehr zu erzwingen brauchte.

Hippokrates sucht den Grund dieses sonderbaren
Phänomens aus seiner berühmten Zeugungshypothese
zu erklären, welche von der büffonischen nicht gar
viel abweicht. Dieser zufolge glaubte er, daß der
Zeugungssaft aus allen Gliedern des Körpers hervor-
komme und gleichsam aus ihnen ausfließe, wodurch
die Formen der Theile des zu bildenden Fötus gleich-
sam nach einer Urform gemodelt würden. Und dies
sey denn der Grund, warum von Kahlköpfen wieder
Kahlköpfe, von Blonden Blonde und von Langkö-
pfen Langköpfe erzeugt würden.

Etwas ähnliches hat man in neuerer Zeit auch
von andern Völkern, z. B. den Peruanern 163) und
den Genuesern 164) erzählt.


Ohne
163) Von den Einwohnern der Provinz Puerto Viejo
Cardamus de rerum varietate, Theil 3. Seite 162.
Spons Ausg.
164) Jul. Cäs. Scaliger Commont. in Theophraslum de
causis plantarum
.
S. 287.

Kindern gleich nach der Geburt, den noch ganz
wachsweichen und gleichſam einem feuchten und wei-
chen Leimen aͤhnlichen Kopf zwiſchen den Haͤnden
zuſammen und trieben ihn dadurch ins laͤngliche; ſie
zwaͤngten ihn ſogar durch Binden und andre Huͤlfs-
mittel zuſammen, um die runde Form deſſelben in
eine laͤnglichte umzugeſtalten. Dieſe Gewohnheit ſey
Anfangs die Urſache ſolcher langen Koͤpfe geweſen.
In der Folge aber habe die Natur dieſe Form frey-
willig hervorgebracht, ſo, daß man ſie durch die
vorige Gewohnheit nicht mehr zu erzwingen brauchte.

Hippokrates ſucht den Grund dieſes ſonderbaren
Phaͤnomens aus ſeiner beruͤhmten Zeugungshypotheſe
zu erklaͤren, welche von der buͤffoniſchen nicht gar
viel abweicht. Dieſer zufolge glaubte er, daß der
Zeugungsſaft aus allen Gliedern des Koͤrpers hervor-
komme und gleichſam aus ihnen ausfließe, wodurch
die Formen der Theile des zu bildenden Foͤtus gleich-
ſam nach einer Urform gemodelt wuͤrden. Und dies
ſey denn der Grund, warum von Kahlkoͤpfen wieder
Kahlkoͤpfe, von Blonden Blonde und von Langkoͤ-
pfen Langkoͤpfe erzeugt wuͤrden.

Etwas aͤhnliches hat man in neuerer Zeit auch
von andern Voͤlkern, z. B. den Peruanern 163) und
den Genueſern 164) erzaͤhlt.


Ohne
163) Von den Einwohnern der Provinz Puerto Viejo
Cardamus de rerum varietate, Theil 3. Seite 162.
Spons Ausg.
164) Jul. Caͤſ. Scaliger Commont. in Theophraſlum de
cauſis plantarum
.
S. 287.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0194" n="160"/>
Kindern gleich nach der Geburt, den noch ganz<lb/>
wachsweichen und gleich&#x017F;am einem feuchten und wei-<lb/>
chen Leimen a&#x0364;hnlichen Kopf zwi&#x017F;chen den Ha&#x0364;nden<lb/>
zu&#x017F;ammen und trieben ihn dadurch ins la&#x0364;ngliche; &#x017F;ie<lb/>
zwa&#x0364;ngten ihn &#x017F;ogar durch Binden und andre Hu&#x0364;lfs-<lb/>
mittel zu&#x017F;ammen, um die runde Form de&#x017F;&#x017F;elben in<lb/>
eine la&#x0364;nglichte umzuge&#x017F;talten. Die&#x017F;e Gewohnheit &#x017F;ey<lb/>
Anfangs die Ur&#x017F;ache &#x017F;olcher langen Ko&#x0364;pfe gewe&#x017F;en.<lb/>
In der Folge aber habe die Natur die&#x017F;e Form frey-<lb/>
willig hervorgebracht, &#x017F;o, daß man &#x017F;ie durch die<lb/>
vorige Gewohnheit nicht mehr zu erzwingen brauchte.</p><lb/>
          <p>Hippokrates &#x017F;ucht den Grund die&#x017F;es &#x017F;onderbaren<lb/>
Pha&#x0364;nomens aus &#x017F;einer beru&#x0364;hmten Zeugungshypothe&#x017F;e<lb/>
zu erkla&#x0364;ren, welche von der bu&#x0364;ffoni&#x017F;chen nicht gar<lb/>
viel abweicht. Die&#x017F;er zufolge glaubte er, daß der<lb/>
Zeugungs&#x017F;aft aus allen Gliedern des Ko&#x0364;rpers hervor-<lb/>
komme und gleich&#x017F;am aus ihnen ausfließe, wodurch<lb/>
die Formen der Theile des zu bildenden Fo&#x0364;tus gleich-<lb/>
&#x017F;am nach einer Urform gemodelt wu&#x0364;rden. Und dies<lb/>
&#x017F;ey denn der Grund, warum von Kahlko&#x0364;pfen wieder<lb/>
Kahlko&#x0364;pfe, von Blonden Blonde und von Langko&#x0364;-<lb/>
pfen Langko&#x0364;pfe erzeugt wu&#x0364;rden.</p><lb/>
          <p>Etwas a&#x0364;hnliches hat man in neuerer Zeit auch<lb/>
von andern Vo&#x0364;lkern, z. B. den Peruanern <note place="foot" n="163)">Von den Einwohnern der Provinz Puerto Viejo<lb/>
Cardamus <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">de rerum varietate</hi>,</hi> Theil 3. Seite 162.<lb/>
Spons Ausg.</note> und<lb/>
den Genue&#x017F;ern <note place="foot" n="164)">Jul. Ca&#x0364;&#x017F;. Scaliger <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Commont. in Theophra&#x017F;lum de<lb/>
cau&#x017F;is plantarum</hi>.</hi> S. 287.</note> erza&#x0364;hlt.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Ohne</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0194] Kindern gleich nach der Geburt, den noch ganz wachsweichen und gleichſam einem feuchten und wei- chen Leimen aͤhnlichen Kopf zwiſchen den Haͤnden zuſammen und trieben ihn dadurch ins laͤngliche; ſie zwaͤngten ihn ſogar durch Binden und andre Huͤlfs- mittel zuſammen, um die runde Form deſſelben in eine laͤnglichte umzugeſtalten. Dieſe Gewohnheit ſey Anfangs die Urſache ſolcher langen Koͤpfe geweſen. In der Folge aber habe die Natur dieſe Form frey- willig hervorgebracht, ſo, daß man ſie durch die vorige Gewohnheit nicht mehr zu erzwingen brauchte. Hippokrates ſucht den Grund dieſes ſonderbaren Phaͤnomens aus ſeiner beruͤhmten Zeugungshypotheſe zu erklaͤren, welche von der buͤffoniſchen nicht gar viel abweicht. Dieſer zufolge glaubte er, daß der Zeugungsſaft aus allen Gliedern des Koͤrpers hervor- komme und gleichſam aus ihnen ausfließe, wodurch die Formen der Theile des zu bildenden Foͤtus gleich- ſam nach einer Urform gemodelt wuͤrden. Und dies ſey denn der Grund, warum von Kahlkoͤpfen wieder Kahlkoͤpfe, von Blonden Blonde und von Langkoͤ- pfen Langkoͤpfe erzeugt wuͤrden. Etwas aͤhnliches hat man in neuerer Zeit auch von andern Voͤlkern, z. B. den Peruanern 163) und den Genueſern 164) erzaͤhlt. Ohne 163) Von den Einwohnern der Provinz Puerto Viejo Cardamus de rerum varietate, Theil 3. Seite 162. Spons Ausg. 164) Jul. Caͤſ. Scaliger Commont. in Theophraſlum de cauſis plantarum. S. 287.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

"Über die natürlichen Verschiedenheiten im Mensch… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/194
Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Über die natürlichen Verschiedenheiten im Menschengeschlechte. Leipzig, 1798, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_menschengeschlecht_1798/194>, abgerufen am 21.11.2024.