wunderung überlaßen, dass ich mich mit Entzücken von der Erde zum Himmel er- hoben, dass ich mich, unter so glücklichen Umständen eifriger als jemals, für eine je- de Tugend entschloßen habe. --
Das ist es, was ich so sehr liebe: alle wichtigern Begegniße unsers Lebens so- wohl, als jeden auf eine merkliche Weise in die Sinne fallenden Gegenstand, in Bezieh- ung auf Religion und Tugend zu denken. Daher meine erklärte Geringschätzung ei- nes jeden Gottesdienstes, der aus bloßer Gewohnheit und für die lange Weile unter- nommen wird. Daher die Ueberzeugung bey mir selbst, dass man lieber gar nicht, als ohne Verstand, ohne Gegenwart des Geistes, ohne Erhebung des Herzens zu Gott beten müße. Dem gemeinen Chri- sten ist nichts gewöhnlicher. Er plappert sein auswendig gelerntes Formular her, oh-
wunderung überlaßen, daſs ich mich mit Entzücken von der Erde zum Himmel er- hoben, daſs ich mich, unter ſo glücklichen Umſtänden eifriger als jemals, für eine je- de Tugend entſchloßen habe. —
Das iſt es, was ich ſo ſehr liebe: alle wichtigern Begegniße unſers Lebens ſo- wohl, als jeden auf eine merkliche Weiſe in die Sinne fallenden Gegenſtand, in Bezieh- ung auf Religion und Tugend zu denken. Daher meine erklärte Geringſchätzung ei- nes jeden Gottesdienſtes, der aus bloßer Gewohnheit und für die lange Weile unter- nommen wird. Daher die Ueberzeugung bey mir ſelbſt, daſs man lieber gar nicht, als ohne Verſtand, ohne Gegenwart des Geiſtes, ohne Erhebung des Herzens zu Gott beten müße. Dem gemeinen Chri- ſten iſt nichts gewöhnlicher. Er plappert ſein auswendig gelerntes Formular her, oh-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0229"n="223"/>
wunderung überlaßen, daſs ich mich mit<lb/>
Entzücken von der Erde zum Himmel er-<lb/>
hoben, daſs ich mich, unter ſo glücklichen<lb/>
Umſtänden eifriger als jemals, für eine je-<lb/>
de Tugend entſchloßen habe. —</p><lb/><p>Das iſt es, was ich ſo ſehr liebe: alle<lb/>
wichtigern Begegniße unſers Lebens ſo-<lb/>
wohl, als jeden auf eine merkliche Weiſe in<lb/>
die Sinne fallenden Gegenſtand, in Bezieh-<lb/>
ung auf Religion und Tugend zu denken.<lb/>
Daher meine erklärte Geringſchätzung ei-<lb/>
nes jeden Gottesdienſtes, der aus bloßer<lb/>
Gewohnheit und für die lange Weile unter-<lb/>
nommen wird. Daher die Ueberzeugung<lb/>
bey mir ſelbſt, daſs man lieber gar nicht,<lb/>
als ohne Verſtand, ohne Gegenwart des<lb/>
Geiſtes, ohne Erhebung des Herzens zu<lb/>
Gott beten müße. Dem gemeinen Chri-<lb/>ſten iſt nichts gewöhnlicher. Er plappert<lb/>ſein auswendig gelerntes Formular her, oh-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[223/0229]
wunderung überlaßen, daſs ich mich mit
Entzücken von der Erde zum Himmel er-
hoben, daſs ich mich, unter ſo glücklichen
Umſtänden eifriger als jemals, für eine je-
de Tugend entſchloßen habe. —
Das iſt es, was ich ſo ſehr liebe: alle
wichtigern Begegniße unſers Lebens ſo-
wohl, als jeden auf eine merkliche Weiſe in
die Sinne fallenden Gegenſtand, in Bezieh-
ung auf Religion und Tugend zu denken.
Daher meine erklärte Geringſchätzung ei-
nes jeden Gottesdienſtes, der aus bloßer
Gewohnheit und für die lange Weile unter-
nommen wird. Daher die Ueberzeugung
bey mir ſelbſt, daſs man lieber gar nicht,
als ohne Verſtand, ohne Gegenwart des
Geiſtes, ohne Erhebung des Herzens zu
Gott beten müße. Dem gemeinen Chri-
ſten iſt nichts gewöhnlicher. Er plappert
ſein auswendig gelerntes Formular her, oh-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 2. Berlin, 1775, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge02_1775/229>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.