empfindlicher seyn würde, als der völlige Verlust Deines guten Namens unter edel- gesinnten, tugendhaften Gemüthern.
Meine liebe Tochter! Jch habe eben nicht Ursach in Deine Tugend ein Miss- trauen zu setzen; ich glaube vielmehr, dass Du von den meisten Pflichten, die Du Dei- nem Manne schuldig bist, Kenntniss, und den festen Vorsaz hast, niemals davon zu weichen. Noch mehr: ich bin versichert, dass Dir die Untreue das schwärzeste Laster scheinen, und der blosse Gedanke daran, Dir ein Abscheu seyn wird. Du wirst Dich für unüberwindlich und wider alle Arten der Versuchung hinreichend gewappnet hal- ten. Und doch ist Dein Zustand um desto gefährlicher! Das Bewusstseyn unsrer Stär- ke kann Vermessenheit werden, und von der Vermessenheit bis zum Falle, ist nur ei- ne einzige Stufe. Wer stehet, sehe wohl
empfindlicher ſeyn würde, als der völlige Verluſt Deines guten Namens unter edel- geſinnten, tugendhaften Gemüthern.
Meine liebe Tochter! Jch habe eben nicht Urſach in Deine Tugend ein Miſs- trauen zu ſetzen; ich glaube vielmehr, daſs Du von den meiſten Pflichten, die Du Dei- nem Manne ſchuldig biſt, Kenntniſs, und den feſten Vorſaz haſt, niemals davon zu weichen. Noch mehr: ich bin verſichert, daſs Dir die Untreue das ſchwärzeſte Laſter ſcheinen, und der bloſse Gedanke daran, Dir ein Abſcheu ſeyn wird. Du wirſt Dich für unüberwindlich und wider alle Arten der Verſuchung hinreichend gewappnet hal- ten. Und doch iſt Dein Zuſtand um deſto gefährlicher! Das Bewuſstſeyn unſrer Stär- ke kann Vermeſsenheit werden, und von der Vermeſsenheit bis zum Falle, iſt nur ei- ne einzige Stufe. Wer ſtehet, ſehe wohl
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empfindlicher ſeyn würde, als der völlige
Verluſt Deines guten Namens unter edel-
geſinnten, tugendhaften Gemüthern.
Meine liebe Tochter! Jch habe eben
nicht Urſach in Deine Tugend ein Miſs-
trauen zu ſetzen; ich glaube vielmehr, daſs
Du von den meiſten Pflichten, die Du Dei-
nem Manne ſchuldig biſt, Kenntniſs, und
den feſten Vorſaz haſt, niemals davon zu
weichen. Noch mehr: ich bin verſichert,
daſs Dir die Untreue das ſchwärzeſte Laſter
ſcheinen, und der bloſse Gedanke daran,
Dir ein Abſcheu ſeyn wird. Du wirſt Dich
für unüberwindlich und wider alle Arten
der Verſuchung hinreichend gewappnet hal-
ten. Und doch iſt Dein Zuſtand um deſto
gefährlicher! Das Bewuſstſeyn unſrer Stär-
ke kann Vermeſsenheit werden, und von
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ne einzige Stufe. Wer ſtehet, ſehe wohl
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/93>, abgerufen am 16.07.2024.
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