Dazu gehört Kenntniss des menschlichen Herzens, die freylich nicht Jedermanns Ding ist; dazu gehört Wissenschaft und Erfahrung, die freylich nicht viele Kandi- daten aus den Kollegien mit nach Hause bringen. Jn ihren mühsam zusammenge- schriebenen Heften ist davon ein tiefes Stillschweigen. Und wenn denn ja hin und wieder einmal ein moralischer Satz vor- getragen wird, so ist man der Sache so un- gewohnt, dass man entweder bey ganz all- gemeinen Dingen stehen bleibt, Tugend überhaupt lobt, Laster überhaupt straft, oder zu einem individuellen Fehler irgend eines Mitgliedes der Gemeine heruntergeht, dabey es denn die beste Gelegenheit giebt einer persönlichen Widrigkeit Luft zu ma- chen. Aus diesem Mangel von Weltkennt- niss rühren denn auch die oftmaligen Aus- fälle auf Religionsspötter, Naturalisten,
Dazu gehört Kenntniſs des menſchlichen Herzens, die freylich nicht Jedermanns Ding iſt; dazu gehört Wiſſenſchaft und Erfahrung, die freylich nicht viele Kandi- daten aus den Kollegien mit nach Hauſe bringen. Jn ihren mühſam zuſammenge- ſchriebenen Heften iſt davon ein tiefes Stillſchweigen. Und wenn denn ja hin und wieder einmal ein moraliſcher Satz vor- getragen wird, ſo iſt man der Sache ſo un- gewohnt, daſs man entweder bey ganz all- gemeinen Dingen ſtehen bleibt, Tugend überhaupt lobt, Laſter überhaupt ſtraft, oder zu einem individuellen Fehler irgend eines Mitgliedes der Gemeine heruntergeht, dabey es denn die beſte Gelegenheit giebt einer perſönlichen Widrigkeit Luft zu ma- chen. Aus dieſem Mangel von Weltkennt- niſs rühren denn auch die oftmaligen Aus- fälle auf Religionsſpötter, Naturaliſten,
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Dazu gehört Kenntniſs des menſchlichen
Herzens, die freylich nicht Jedermanns
Ding iſt; dazu gehört Wiſſenſchaft und
Erfahrung, die freylich nicht viele Kandi-
daten aus den Kollegien mit nach Hauſe
bringen. Jn ihren mühſam zuſammenge-
ſchriebenen Heften iſt davon ein tiefes
Stillſchweigen. Und wenn denn ja hin
und wieder einmal ein moraliſcher Satz vor-
getragen wird, ſo iſt man der Sache ſo un-
gewohnt, daſs man entweder bey ganz all-
gemeinen Dingen ſtehen bleibt, Tugend
überhaupt lobt, Laſter überhaupt ſtraft,
oder zu einem individuellen Fehler irgend
eines Mitgliedes der Gemeine heruntergeht,
dabey es denn die beſte Gelegenheit giebt
einer perſönlichen Widrigkeit Luft zu ma-
chen. Aus dieſem Mangel von Weltkennt-
niſs rühren denn auch die oftmaligen Aus-
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/43>, abgerufen am 26.04.2024.
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