ist so unglücklich, dass er sich nicht über- reden sollte Einige, oder wenigstens Einen Freund zu haben? Wie viel hat man nicht über eine so allgemein bekannte Sache ge- dacht und geschrieben? Welcher Sittenleh- rer hat sich darüber nicht erschöpft? Man hat die Freundschaft in gebundner und un- gebundner Rede beschrieben, und es ist wohl kein akademischer Hörsaal und keine finstre Klasse irgend einer Trivialschule, wo man nicht zehnmal und hundertmal ihr Lob mit aufgeblasenen Backen verkündiget hät- te. Und gleichwohl wenn ich von einem Pole zum andern reise, so find' ich unter Tausend kaum Einen, der einen Begriff hat, der der Würde der Sache angemessen ist, und unter ganzen Myriaden kaum Einen, der sich diesem erhabnen Begriffe gemäss zu handeln bestrebt. -- Und was ist denn also die Freundschaft, mein Herr Diogenes?
iſt ſo unglücklich, daſs er ſich nicht über- reden ſollte Einige, oder wenigſtens Einen Freund zu haben? Wie viel hat man nicht über eine ſo allgemein bekannte Sache ge- dacht und geſchrieben? Welcher Sittenleh- rer hat ſich darüber nicht erſchöpft? Man hat die Freundſchaft in gebundner und un- gebundner Rede beſchrieben, und es iſt wohl kein akademiſcher Hörſaal und keine finſtre Klaſſe irgend einer Trivialſchule, wo man nicht zehnmal und hundertmal ihr Lob mit aufgeblaſenen Backen verkündiget hät- te. Und gleichwohl wenn ich von einem Pole zum andern reiſe, ſo find’ ich unter Tauſend kaum Einen, der einen Begriff hat, der der Würde der Sache angemeſsen iſt, und unter ganzen Myriaden kaum Einen, der ſich dieſem erhabnen Begriffe gemäſs zu handeln beſtrebt. — Und was iſt denn alſo die Freundſchaft, mein Herr Diogenes?
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iſt ſo unglücklich, daſs er ſich nicht über-
reden ſollte Einige, oder wenigſtens Einen
Freund zu haben? Wie viel hat man nicht
über eine ſo allgemein bekannte Sache ge-
dacht und geſchrieben? Welcher Sittenleh-
rer hat ſich darüber nicht erſchöpft? Man
hat die Freundſchaft in gebundner und un-
gebundner Rede beſchrieben, und es iſt
wohl kein akademiſcher Hörſaal und keine
finſtre Klaſſe irgend einer Trivialſchule, wo
man nicht zehnmal und hundertmal ihr Lob
mit aufgeblaſenen Backen verkündiget hät-
te. Und gleichwohl wenn ich von einem
Pole zum andern reiſe, ſo find’ ich unter
Tauſend kaum Einen, der einen Begriff hat,
der der Würde der Sache angemeſsen iſt,
und unter ganzen Myriaden kaum Einen,
der ſich dieſem erhabnen Begriffe gemäſs
zu handeln beſtrebt. — Und was iſt denn
alſo die Freundſchaft, mein Herr Diogenes?
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/239>, abgerufen am 06.05.2024.
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