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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
badische vertauscht haben würden, ist fraglich. Als vorübergehend
davon die Rede war, Hessen für sein Gebiet nördlich des Mains
mit bairischem Lande in der Richtung von Aschaffenburg zu ent¬
schädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteste zu, die,
obschon aus streng katholischer Bevölkerung kommend, darin gipfelten,
wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, so wollten
sie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Hessen gemacht
zu werden, sei ihnen unannehmbar. Sie schienen von der Er¬
wägung des Ranges der Landesherrn beherrscht und von der
Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Hessen rangirte.
In derselben Richtung ist mir aus meiner Frankfurter Zeit die
Aeußerung eines preußischen Reservisten zu einem kleinstaatlichen
erinnerlich: "Sei du ganz stille, du hast ja nicht einmal einen
König." Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutsch¬
land für keinen Fortschritt zur Einigung des Ganzen.

Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen
Wunsche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in
der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politischen
Auffassungen stimmte auch dieser Plan, so sehr er meinem ver¬
ehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenso wenig wie der
badische überein, und ich habe ihm erfolgreich Widerstand geleistet.
Im Herbst 1866 war eine Voraussicht über die zukünftige Haltung
Oestreichs noch nicht möglich. Die Eifersucht Frankreichs uns gegen¬
über war gegeben, und niemandem war besser als mir die Ent¬
täuschung Napoleons über unsre böhmischen Erfolge bekannt. Er
hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oestreich uns schlagen
und wir in die Lage kommen würden, seine Vermittlung zu erkaufen.
Wenn nun Frankreichs Bemühungen, diesen Irrthum und seine
Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unsern Sieg noth¬
wendig hervorgerufenen Verstimmung in Wien Erfolg hatten, so
wäre manchen deutschen Höfen die Frage nahe getreten, ob sie im
Anschluß an Oestreich, gewissermaßen in einem zweiten schlesischen
Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder

Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
badiſche vertauſcht haben würden, iſt fraglich. Als vorübergehend
davon die Rede war, Heſſen für ſein Gebiet nördlich des Mains
mit bairiſchem Lande in der Richtung von Aſchaffenburg zu ent¬
ſchädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteſte zu, die,
obſchon aus ſtreng katholiſcher Bevölkerung kommend, darin gipfelten,
wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, ſo wollten
ſie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Heſſen gemacht
zu werden, ſei ihnen unannehmbar. Sie ſchienen von der Er¬
wägung des Ranges der Landesherrn beherrſcht und von der
Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Heſſen rangirte.
In derſelben Richtung iſt mir aus meiner Frankfurter Zeit die
Aeußerung eines preußiſchen Reſerviſten zu einem kleinſtaatlichen
erinnerlich: „Sei du ganz ſtille, du haſt ja nicht einmal einen
König.“ Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutſch¬
land für keinen Fortſchritt zur Einigung des Ganzen.

Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen
Wunſche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in
der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politiſchen
Auffaſſungen ſtimmte auch dieſer Plan, ſo ſehr er meinem ver¬
ehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenſo wenig wie der
badiſche überein, und ich habe ihm erfolgreich Widerſtand geleiſtet.
Im Herbſt 1866 war eine Vorausſicht über die zukünftige Haltung
Oeſtreichs noch nicht möglich. Die Eiferſucht Frankreichs uns gegen¬
über war gegeben, und niemandem war beſſer als mir die Ent¬
täuſchung Napoleons über unſre böhmiſchen Erfolge bekannt. Er
hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oeſtreich uns ſchlagen
und wir in die Lage kommen würden, ſeine Vermittlung zu erkaufen.
Wenn nun Frankreichs Bemühungen, dieſen Irrthum und ſeine
Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unſern Sieg noth¬
wendig hervorgerufenen Verſtimmung in Wien Erfolg hatten, ſo
wäre manchen deutſchen Höfen die Frage nahe getreten, ob ſie im
Anſchluß an Oeſtreich, gewiſſermaßen in einem zweiten ſchleſiſchen
Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder

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[74/0098] Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. badiſche vertauſcht haben würden, iſt fraglich. Als vorübergehend davon die Rede war, Heſſen für ſein Gebiet nördlich des Mains mit bairiſchem Lande in der Richtung von Aſchaffenburg zu ent¬ ſchädigen, gingen mir aus dem letztern Gebiete Proteſte zu, die, obſchon aus ſtreng katholiſcher Bevölkerung kommend, darin gipfelten, wenn die Unterzeichner nicht Baiern bleiben könnten, ſo wollten ſie lieber Preußen werden, aber von Baiern zu Heſſen gemacht zu werden, ſei ihnen unannehmbar. Sie ſchienen von der Er¬ wägung des Ranges der Landesherrn beherrſcht und von der Stimmenordnung am Bundestage, wo Baiern vor Heſſen rangirte. In derſelben Richtung iſt mir aus meiner Frankfurter Zeit die Aeußerung eines preußiſchen Reſerviſten zu einem kleinſtaatlichen erinnerlich: „Sei du ganz ſtille, du haſt ja nicht einmal einen König.“ Ich hielt Aenderungen der Staatsgrenzen in Süddeutſch¬ land für keinen Fortſchritt zur Einigung des Ganzen. Eine Verkleinerung Baierns im Norden wäre dem damaligen Wunſche des Königs entgegengekommen, Ansbach und Bayreuth in der alten Ausdehnung wiederzugewinnen. Mit meinen politiſchen Auffaſſungen ſtimmte auch dieſer Plan, ſo ſehr er meinem ver¬ ehrten und geliebten Herrn am Herzen lag, ebenſo wenig wie der badiſche überein, und ich habe ihm erfolgreich Widerſtand geleiſtet. Im Herbſt 1866 war eine Vorausſicht über die zukünftige Haltung Oeſtreichs noch nicht möglich. Die Eiferſucht Frankreichs uns gegen¬ über war gegeben, und niemandem war beſſer als mir die Ent¬ täuſchung Napoleons über unſre böhmiſchen Erfolge bekannt. Er hatte mit Sicherheit darauf gerechnet, daß Oeſtreich uns ſchlagen und wir in die Lage kommen würden, ſeine Vermittlung zu erkaufen. Wenn nun Frankreichs Bemühungen, dieſen Irrthum und ſeine Folgen wieder gut zu machen, bei der durch unſern Sieg noth¬ wendig hervorgerufenen Verſtimmung in Wien Erfolg hatten, ſo wäre manchen deutſchen Höfen die Frage nahe getreten, ob ſie im Anſchluß an Oeſtreich, gewiſſermaßen in einem zweiten ſchleſiſchen Kriege, den Kampf gegen uns von Neuem aufnehmen wollten oder

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/98>, abgerufen am 24.11.2024.