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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Wahrscheinliche Folgen eines preuß.-russ. Siegs über Oestreich-Frankreich.
französische Invasionen eine von russischen Entschließungen unab¬
hängige Deckung haben, Straßburg Bundesfestung werden solle,
in Wien zur Verhandlung kamen. So mannigfache Erwägungen
hatte ich anzustellen, um zu einem Entschlusse über die Anträge,
welche ich dem Könige machen, und die Fassung des Conceptes,
das ich ihm vorlegen wollte, zu gelangen. Ich zweifle nicht, daß
eine Zeit kommen wird, in der auch über diese Vorgänge unsre
Archive der Oeffentlichkeit zugänglich werden, es sei denn, daß in¬
zwischen die angeregte Zerstörung der Documente sich vollzieht, die
von meiner politischen Thätigkeit Zeugniß geben.

Die Versuchung war groß gewesen für einen Monarchen, dessen
Stellung den maßlosen Angriffen der Fortschrittspartei und dem
Druck der östreichischen Diplomatie nicht blos auf dem nationalen
Gebiete des Frankfurter Fürstencongresses, sondern auch auf dem
polnischen von Seiten der drei großen verbündeten Mächte Eng¬
land, Frankreich und Oestreich ausgesetzt war.

Daß der König 1863 seine schwer gekränkte Empfindung als
Monarch und als Preuße nicht über die politischen Erwägungen
Herr werden ließ, beweist, wie stark in ihm das nationale Ehr¬
gefühl und der gesunde Menschenverstand in der Politik waren.

V.

Im Jahre 1866 konnte der König über die Frage, ob er aus
eigner Kraft den parlamentarischen Widerstand brechen und einer
Wiederkehr desselben vorbeugen solle, nicht so schnell mit sich in's
Reine kommen, so gewichtige Gründe auch dagegen sprachen. Mit
der Suspendirung und Revision der Verfassung, mit der Demüthi¬
gung der Landtagsopposition wäre allen mit den Erfolgen von 1866
Unzufriedenen in Deutschland und Oestreich eine wirksame Waffe
gegen Preußen für die vorauszusehenden künftigen Kämpfe gegeben
worden. Man hätte sich darauf gefaßt machen müssen, einstweilen

Wahrſcheinliche Folgen eines preuß.-ruſſ. Siegs über Oeſtreich-Frankreich.
franzöſiſche Invaſionen eine von ruſſiſchen Entſchließungen unab¬
hängige Deckung haben, Straßburg Bundesfeſtung werden ſolle,
in Wien zur Verhandlung kamen. So mannigfache Erwägungen
hatte ich anzuſtellen, um zu einem Entſchluſſe über die Anträge,
welche ich dem Könige machen, und die Faſſung des Conceptes,
das ich ihm vorlegen wollte, zu gelangen. Ich zweifle nicht, daß
eine Zeit kommen wird, in der auch über dieſe Vorgänge unſre
Archive der Oeffentlichkeit zugänglich werden, es ſei denn, daß in¬
zwiſchen die angeregte Zerſtörung der Documente ſich vollzieht, die
von meiner politiſchen Thätigkeit Zeugniß geben.

Die Verſuchung war groß geweſen für einen Monarchen, deſſen
Stellung den maßloſen Angriffen der Fortſchrittspartei und dem
Druck der öſtreichiſchen Diplomatie nicht blos auf dem nationalen
Gebiete des Frankfurter Fürſtencongreſſes, ſondern auch auf dem
polniſchen von Seiten der drei großen verbündeten Mächte Eng¬
land, Frankreich und Oeſtreich ausgeſetzt war.

Daß der König 1863 ſeine ſchwer gekränkte Empfindung als
Monarch und als Preuße nicht über die politiſchen Erwägungen
Herr werden ließ, beweiſt, wie ſtark in ihm das nationale Ehr¬
gefühl und der geſunde Menſchenverſtand in der Politik waren.

V.

Im Jahre 1866 konnte der König über die Frage, ob er aus
eigner Kraft den parlamentariſchen Widerſtand brechen und einer
Wiederkehr deſſelben vorbeugen ſolle, nicht ſo ſchnell mit ſich in's
Reine kommen, ſo gewichtige Gründe auch dagegen ſprachen. Mit
der Suſpendirung und Reviſion der Verfaſſung, mit der Demüthi¬
gung der Landtagsoppoſition wäre allen mit den Erfolgen von 1866
Unzufriedenen in Deutſchland und Oeſtreich eine wirkſame Waffe
gegen Preußen für die vorauszuſehenden künftigen Kämpfe gegeben
worden. Man hätte ſich darauf gefaßt machen müſſen, einſtweilen

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[67/0091] Wahrſcheinliche Folgen eines preuß.-ruſſ. Siegs über Oeſtreich-Frankreich. franzöſiſche Invaſionen eine von ruſſiſchen Entſchließungen unab¬ hängige Deckung haben, Straßburg Bundesfeſtung werden ſolle, in Wien zur Verhandlung kamen. So mannigfache Erwägungen hatte ich anzuſtellen, um zu einem Entſchluſſe über die Anträge, welche ich dem Könige machen, und die Faſſung des Conceptes, das ich ihm vorlegen wollte, zu gelangen. Ich zweifle nicht, daß eine Zeit kommen wird, in der auch über dieſe Vorgänge unſre Archive der Oeffentlichkeit zugänglich werden, es ſei denn, daß in¬ zwiſchen die angeregte Zerſtörung der Documente ſich vollzieht, die von meiner politiſchen Thätigkeit Zeugniß geben. Die Verſuchung war groß geweſen für einen Monarchen, deſſen Stellung den maßloſen Angriffen der Fortſchrittspartei und dem Druck der öſtreichiſchen Diplomatie nicht blos auf dem nationalen Gebiete des Frankfurter Fürſtencongreſſes, ſondern auch auf dem polniſchen von Seiten der drei großen verbündeten Mächte Eng¬ land, Frankreich und Oeſtreich ausgeſetzt war. Daß der König 1863 ſeine ſchwer gekränkte Empfindung als Monarch und als Preuße nicht über die politiſchen Erwägungen Herr werden ließ, beweiſt, wie ſtark in ihm das nationale Ehr¬ gefühl und der geſunde Menſchenverſtand in der Politik waren. V. Im Jahre 1866 konnte der König über die Frage, ob er aus eigner Kraft den parlamentariſchen Widerſtand brechen und einer Wiederkehr deſſelben vorbeugen ſolle, nicht ſo ſchnell mit ſich in's Reine kommen, ſo gewichtige Gründe auch dagegen ſprachen. Mit der Suſpendirung und Reviſion der Verfaſſung, mit der Demüthi¬ gung der Landtagsoppoſition wäre allen mit den Erfolgen von 1866 Unzufriedenen in Deutſchland und Oeſtreich eine wirkſame Waffe gegen Preußen für die vorauszuſehenden künftigen Kämpfe gegeben worden. Man hätte ſich darauf gefaßt machen müſſen, einſtweilen

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/91>, abgerufen am 24.11.2024.