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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Beurtheilung des russisch-preußischen Bündnißvorschlags.
Gleich gute Führung und gleiche Tapferkeit bei den großen Heeren
vorausgesetzt, liegt in der territorialen Gestaltung der einzelnen
Machtgebiete eine große Stärke der deutsch-russischen Combination,
wenn sie von Hause aus sicher zusammenhält. Die Berechnung
militärischen Erfolges und der Glaube an einen solchen sind aber
an sich unsicher und werden noch unsichrer, wenn die veranschlagte
diesseitige Macht keine einheitliche ist, sondern auf Bündnissen beruht.

In meinem Entwurf der Antwort, der noch länger ausfallen
mußte als der Brief des Kaisers Alexander, war hervorgehoben,
daß ein gemeinsamer Krieg gegen die Westmächte in seiner schlie߬
lichen Entwicklung sich wegen der geographischen Verhältnisse und
wegen der französischen Begehrlichkeit nach den Rheinlanden noth¬
wendig zu einem preußisch-französischen condensiren müsse, daß die
preußisch-russische Initiative zu dem Kriege unsre Stellung in
Deutschland verschlechtern werde, daß Rußland, entfernt von dem
Kriegsschauplatze, von den Leiden des Krieges weniger betroffen
sein, Preußen dagegen nicht nur die eignen, sondern auch die
russischen Heere materiell zu erhalten haben und daß die russische
Politik dann -- wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht, habe
ich den Ausdruck gebraucht -- an dem längern Arme des Hebels
sitzen würde, und uns auch, wenn wir siegreich wären, ähnlich wie in
dem Wiener Congreß und mit noch mehr Gewicht werde vorschreiben
können, wie unser Friede beschaffen sein solle, ebenso wie Oestreich
es 1859 bezüglich unsrer Friedensbedingungen mit Frankreich hätte
machen können, wenn wir damals in den Kampf gegen Frankreich und
Italien eingetreten wären. Ich habe den Text meiner Argumentation
nicht in der Erinnerung, obschon ich ihn vor wenigen Jahren behufs
unsrer Auseinandersetzung mit der russischen Politik wieder unter
Augen gehabt und mich gefreut habe, daß ich damals die Arbeits¬
kraft besessen hatte, ein so langes Concept eigenhändig in einer
für den König lesbaren Schrift herzustellen, eine Handarbeit, die
für den Erfolg meiner Gasteiner Cur nicht förderlich gewesen sein

Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 5

Beurtheilung des ruſſiſch-preußiſchen Bündnißvorſchlags.
Gleich gute Führung und gleiche Tapferkeit bei den großen Heeren
vorausgeſetzt, liegt in der territorialen Geſtaltung der einzelnen
Machtgebiete eine große Stärke der deutſch-ruſſiſchen Combination,
wenn ſie von Hauſe aus ſicher zuſammenhält. Die Berechnung
militäriſchen Erfolges und der Glaube an einen ſolchen ſind aber
an ſich unſicher und werden noch unſichrer, wenn die veranſchlagte
diesſeitige Macht keine einheitliche iſt, ſondern auf Bündniſſen beruht.

In meinem Entwurf der Antwort, der noch länger ausfallen
mußte als der Brief des Kaiſers Alexander, war hervorgehoben,
daß ein gemeinſamer Krieg gegen die Weſtmächte in ſeiner ſchlie߬
lichen Entwicklung ſich wegen der geographiſchen Verhältniſſe und
wegen der franzöſiſchen Begehrlichkeit nach den Rheinlanden noth¬
wendig zu einem preußiſch-franzöſiſchen condenſiren müſſe, daß die
preußiſch-ruſſiſche Initiative zu dem Kriege unſre Stellung in
Deutſchland verſchlechtern werde, daß Rußland, entfernt von dem
Kriegsſchauplatze, von den Leiden des Krieges weniger betroffen
ſein, Preußen dagegen nicht nur die eignen, ſondern auch die
ruſſiſchen Heere materiell zu erhalten haben und daß die ruſſiſche
Politik dann — wenn mein Gedächtniß mich nicht täuſcht, habe
ich den Ausdruck gebraucht — an dem längern Arme des Hebels
ſitzen würde, und uns auch, wenn wir ſiegreich wären, ähnlich wie in
dem Wiener Congreß und mit noch mehr Gewicht werde vorſchreiben
können, wie unſer Friede beſchaffen ſein ſolle, ebenſo wie Oeſtreich
es 1859 bezüglich unſrer Friedensbedingungen mit Frankreich hätte
machen können, wenn wir damals in den Kampf gegen Frankreich und
Italien eingetreten wären. Ich habe den Text meiner Argumentation
nicht in der Erinnerung, obſchon ich ihn vor wenigen Jahren behufs
unſrer Auseinanderſetzung mit der ruſſiſchen Politik wieder unter
Augen gehabt und mich gefreut habe, daß ich damals die Arbeits¬
kraft beſeſſen hatte, ein ſo langes Concept eigenhändig in einer
für den König lesbaren Schrift herzuſtellen, eine Handarbeit, die
für den Erfolg meiner Gaſteiner Cur nicht förderlich geweſen ſein

Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 5
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[65/0089] Beurtheilung des ruſſiſch-preußiſchen Bündnißvorſchlags. Gleich gute Führung und gleiche Tapferkeit bei den großen Heeren vorausgeſetzt, liegt in der territorialen Geſtaltung der einzelnen Machtgebiete eine große Stärke der deutſch-ruſſiſchen Combination, wenn ſie von Hauſe aus ſicher zuſammenhält. Die Berechnung militäriſchen Erfolges und der Glaube an einen ſolchen ſind aber an ſich unſicher und werden noch unſichrer, wenn die veranſchlagte diesſeitige Macht keine einheitliche iſt, ſondern auf Bündniſſen beruht. In meinem Entwurf der Antwort, der noch länger ausfallen mußte als der Brief des Kaiſers Alexander, war hervorgehoben, daß ein gemeinſamer Krieg gegen die Weſtmächte in ſeiner ſchlie߬ lichen Entwicklung ſich wegen der geographiſchen Verhältniſſe und wegen der franzöſiſchen Begehrlichkeit nach den Rheinlanden noth¬ wendig zu einem preußiſch-franzöſiſchen condenſiren müſſe, daß die preußiſch-ruſſiſche Initiative zu dem Kriege unſre Stellung in Deutſchland verſchlechtern werde, daß Rußland, entfernt von dem Kriegsſchauplatze, von den Leiden des Krieges weniger betroffen ſein, Preußen dagegen nicht nur die eignen, ſondern auch die ruſſiſchen Heere materiell zu erhalten haben und daß die ruſſiſche Politik dann — wenn mein Gedächtniß mich nicht täuſcht, habe ich den Ausdruck gebraucht — an dem längern Arme des Hebels ſitzen würde, und uns auch, wenn wir ſiegreich wären, ähnlich wie in dem Wiener Congreß und mit noch mehr Gewicht werde vorſchreiben können, wie unſer Friede beſchaffen ſein ſolle, ebenſo wie Oeſtreich es 1859 bezüglich unſrer Friedensbedingungen mit Frankreich hätte machen können, wenn wir damals in den Kampf gegen Frankreich und Italien eingetreten wären. Ich habe den Text meiner Argumentation nicht in der Erinnerung, obſchon ich ihn vor wenigen Jahren behufs unſrer Auseinanderſetzung mit der ruſſiſchen Politik wieder unter Augen gehabt und mich gefreut habe, daß ich damals die Arbeits¬ kraft beſeſſen hatte, ein ſo langes Concept eigenhändig in einer für den König lesbaren Schrift herzuſtellen, eine Handarbeit, die für den Erfolg meiner Gaſteiner Cur nicht förderlich geweſen ſein Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. II. 5

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/89>, abgerufen am 08.05.2024.