Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Ergebniß der Erwägungen für die innere Politik.
vinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mi߬
trauen der Verfassungsparteien hervorgerufen oder belebt haben.
Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Ent¬
wicklung der deutschen Frage durch keinen Zweifel an der Verfassungs¬
treue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwiespalt zwischen
Regirung und Opposition wäre der vom Auslande zu erwartende
äußere Widerstand gegen nationale Neubildungen gestärkt worden.
Aber meine Bemühungen, die Opposition und ihre Redner zu über¬
zeugen, daß sie wohlthäten, innere Verfassungsfragen gegenwärtig
zurücktreten zu lassen, daß die deutsche Nation, wenn erst geeinigt,
in der Lage sein werde, ihre innern Verhältnisse nach ihrem Er¬
messen zu ordnen; daß unsre gegenwärtige Aufgabe sei, die Nation
in diese Lage zu versetzen, alle diese Erwägungen waren der bor¬
nirten und kleinstädtischen Parteipolitik der Oppositionsredner gegen¬
über erfolglos, und die durch sie hervorgerufenen Erörterungen
stellten das nationale Ziel zu sehr in den Vordergrund nicht nur
dem Auslande, sondern auch dem Könige gegenüber, der damals
noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfassungs¬
mäßige Einheit Deutschlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige
Berechnung nach deutscher Richtung hin fern; den Kaisertitel be¬
zeichnete er noch 1870 geringschätzig als den "Charaktermajor", wor¬
auf ich erwiderte, daß Se. Majestät die Competenzen der Stellung
allerdings schon verfassungsmäßig besäßen und der "Kaiser" nur die
äußerliche Sanction enthalte, gewissermaßen als ob ein mit Füh¬
rung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Comman¬
deur ernannt werde. Für das dynastische Gefühl war es schmeichel¬
hafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als er¬
wählter und durch ein Verfassungsgesetz hergestellter Kaiser die
betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments-
Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberst, sondern Königliche
Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr
Lieutenant, sondern Herr Graf. Ich hatte mit diesen Eigenthüm¬
lichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir sein Vertrauen

Ergebniß der Erwägungen für die innere Politik.
vinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mi߬
trauen der Verfaſſungsparteien hervorgerufen oder belebt haben.
Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Ent¬
wicklung der deutſchen Frage durch keinen Zweifel an der Verfaſſungs¬
treue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwieſpalt zwiſchen
Regirung und Oppoſition wäre der vom Auslande zu erwartende
äußere Widerſtand gegen nationale Neubildungen geſtärkt worden.
Aber meine Bemühungen, die Oppoſition und ihre Redner zu über¬
zeugen, daß ſie wohlthäten, innere Verfaſſungsfragen gegenwärtig
zurücktreten zu laſſen, daß die deutſche Nation, wenn erſt geeinigt,
in der Lage ſein werde, ihre innern Verhältniſſe nach ihrem Er¬
meſſen zu ordnen; daß unſre gegenwärtige Aufgabe ſei, die Nation
in dieſe Lage zu verſetzen, alle dieſe Erwägungen waren der bor¬
nirten und kleinſtädtiſchen Parteipolitik der Oppoſitionsredner gegen¬
über erfolglos, und die durch ſie hervorgerufenen Erörterungen
ſtellten das nationale Ziel zu ſehr in den Vordergrund nicht nur
dem Auslande, ſondern auch dem Könige gegenüber, der damals
noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfaſſungs¬
mäßige Einheit Deutſchlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige
Berechnung nach deutſcher Richtung hin fern; den Kaiſertitel be¬
zeichnete er noch 1870 geringſchätzig als den „Charaktermajor“, wor¬
auf ich erwiderte, daß Se. Majeſtät die Competenzen der Stellung
allerdings ſchon verfaſſungsmäßig beſäßen und der „Kaiſer“ nur die
äußerliche Sanction enthalte, gewiſſermaßen als ob ein mit Füh¬
rung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Comman¬
deur ernannt werde. Für das dynaſtiſche Gefühl war es ſchmeichel¬
hafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als er¬
wählter und durch ein Verfaſſungsgeſetz hergeſtellter Kaiſer die
betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments-
Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberſt, ſondern Königliche
Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr
Lieutenant, ſondern Herr Graf. Ich hatte mit dieſen Eigenthüm¬
lichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir ſein Vertrauen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0081" n="57"/><fw place="top" type="header">Ergebniß der Erwägungen für die innere Politik.<lb/></fw> vinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mi߬<lb/>
trauen der Verfa&#x017F;&#x017F;ungsparteien hervorgerufen oder belebt haben.<lb/>
Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Ent¬<lb/>
wicklung der deut&#x017F;chen Frage durch keinen Zweifel an der Verfa&#x017F;&#x017F;ungs¬<lb/>
treue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwie&#x017F;palt zwi&#x017F;chen<lb/>
Regirung und Oppo&#x017F;ition wäre der vom Auslande zu erwartende<lb/>
äußere Wider&#x017F;tand gegen nationale Neubildungen ge&#x017F;tärkt worden.<lb/>
Aber meine Bemühungen, die Oppo&#x017F;ition und ihre Redner zu über¬<lb/>
zeugen, daß &#x017F;ie wohlthäten, innere Verfa&#x017F;&#x017F;ungsfragen gegenwärtig<lb/>
zurücktreten zu la&#x017F;&#x017F;en, daß die deut&#x017F;che Nation, wenn er&#x017F;t geeinigt,<lb/>
in der Lage &#x017F;ein werde, ihre innern Verhältni&#x017F;&#x017F;e nach ihrem Er¬<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en zu ordnen; daß un&#x017F;re gegenwärtige Aufgabe &#x017F;ei, die Nation<lb/>
in die&#x017F;e Lage zu ver&#x017F;etzen, alle die&#x017F;e Erwägungen waren der bor¬<lb/>
nirten und klein&#x017F;tädti&#x017F;chen Parteipolitik der Oppo&#x017F;itionsredner gegen¬<lb/>
über erfolglos, und die durch &#x017F;ie hervorgerufenen Erörterungen<lb/>
&#x017F;tellten das nationale Ziel zu &#x017F;ehr in den Vordergrund nicht nur<lb/>
dem Auslande, &#x017F;ondern auch dem Könige gegenüber, der damals<lb/>
noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfa&#x017F;&#x017F;ungs¬<lb/>
mäßige Einheit Deut&#x017F;chlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige<lb/>
Berechnung nach deut&#x017F;cher Richtung hin fern; den Kai&#x017F;ertitel be¬<lb/>
zeichnete er noch 1870 gering&#x017F;chätzig als den &#x201E;Charaktermajor&#x201C;, wor¬<lb/>
auf ich erwiderte, daß Se. Maje&#x017F;tät die Competenzen der Stellung<lb/>
allerdings &#x017F;chon verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßig be&#x017F;äßen und der &#x201E;Kai&#x017F;er&#x201C; nur die<lb/>
äußerliche Sanction enthalte, gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen als ob ein mit Füh¬<lb/>
rung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Comman¬<lb/>
deur ernannt werde. Für das dyna&#x017F;ti&#x017F;che Gefühl war es &#x017F;chmeichel¬<lb/>
hafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als er¬<lb/>
wählter und durch ein Verfa&#x017F;&#x017F;ungsge&#x017F;etz herge&#x017F;tellter Kai&#x017F;er die<lb/>
betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments-<lb/>
Commandeur es vorzieht, nicht Herr Ober&#x017F;t, &#x017F;ondern Königliche<lb/>
Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr<lb/>
Lieutenant, &#x017F;ondern Herr Graf. Ich hatte mit die&#x017F;en Eigenthüm¬<lb/>
lichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir &#x017F;ein Vertrauen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0081] Ergebniß der Erwägungen für die innere Politik. vinzen einzuführen. Eine ausweichende Antwort würde das Mi߬ trauen der Verfaſſungsparteien hervorgerufen oder belebt haben. Nach meiner Ueberzeugung war es überhaupt nothwendig, die Ent¬ wicklung der deutſchen Frage durch keinen Zweifel an der Verfaſſungs¬ treue der Regirung zu hemmen; durch jeden neuen Zwieſpalt zwiſchen Regirung und Oppoſition wäre der vom Auslande zu erwartende äußere Widerſtand gegen nationale Neubildungen geſtärkt worden. Aber meine Bemühungen, die Oppoſition und ihre Redner zu über¬ zeugen, daß ſie wohlthäten, innere Verfaſſungsfragen gegenwärtig zurücktreten zu laſſen, daß die deutſche Nation, wenn erſt geeinigt, in der Lage ſein werde, ihre innern Verhältniſſe nach ihrem Er¬ meſſen zu ordnen; daß unſre gegenwärtige Aufgabe ſei, die Nation in dieſe Lage zu verſetzen, alle dieſe Erwägungen waren der bor¬ nirten und kleinſtädtiſchen Parteipolitik der Oppoſitionsredner gegen¬ über erfolglos, und die durch ſie hervorgerufenen Erörterungen ſtellten das nationale Ziel zu ſehr in den Vordergrund nicht nur dem Auslande, ſondern auch dem Könige gegenüber, der damals noch mehr die Macht und Größe Preußens als die verfaſſungs¬ mäßige Einheit Deutſchlands im Auge hatte. Ihm lag ehrgeizige Berechnung nach deutſcher Richtung hin fern; den Kaiſertitel be¬ zeichnete er noch 1870 geringſchätzig als den „Charaktermajor“, wor¬ auf ich erwiderte, daß Se. Majeſtät die Competenzen der Stellung allerdings ſchon verfaſſungsmäßig beſäßen und der „Kaiſer“ nur die äußerliche Sanction enthalte, gewiſſermaßen als ob ein mit Füh¬ rung eines Regiments beauftragter Offizier definitiv zum Comman¬ deur ernannt werde. Für das dynaſtiſche Gefühl war es ſchmeichel¬ hafter, grade als geborner König von Preußen und nicht als er¬ wählter und durch ein Verfaſſungsgeſetz hergeſtellter Kaiſer die betreffende Macht auszuüben, analog wie ein prinzlicher Regiments- Commandeur es vorzieht, nicht Herr Oberſt, ſondern Königliche Hoheit genannt zu werden und der gräfliche Lieutenant nicht Herr Lieutenant, ſondern Herr Graf. Ich hatte mit dieſen Eigenthüm¬ lichkeiten meines Herrn zu rechnen, wenn ich mir ſein Vertrauen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/81
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/81>, abgerufen am 25.11.2024.