Aber schon im März oder April fing man in Hanover unter fadenscheinigen Vorwänden an, Reserven einzuberufen. Es hatten Einflüsse auf den König Georg stattgefunden, namentlich durch seinen Halbbruder, den östreichischen General Prinzen Solms, der nach Hanover gekommen war und den König umgestimmt hatte durch übertriebene Schilderung der östreichischen Heereskräfte, von denen 800 000 Mann bereit seien, und wie ich aus intimen hanöverschen Quellen vernommen habe, auch durch ein Erbieten von territorialer Vergrößerung, mindestens durch den Regirungs- Bezirk Minden. Meine amtlichen Anfragen bezüglich der Rüstungen Hanovers wurden mit der fast höhnisch klingenden Auskunft beant¬ wortet, daß die Herbstübungen aus wirthschaftlichen Gründen schon im Frühjahr abgehalten werden sollten1).
Mit dem Thronfolger in Kur-Hessen, Prinzen Friedrich Wil¬ helm, hatte ich in Berlin noch am 14. Juni eine Besprechung2), in der ich ihm empfahl, mit einem Extrazuge nach Kassel zu fahren und die Neutralität Kurhessens oder doch der dortigen Truppen sicher zu stellen, sei es durch Beeinflussung des Kurfürsten, sei es unabhängig von diesem. Der Prinz weigerte sich früher als mit dem fahrplanmäßigen Zuge zu reisen. Ich stellte ihm vor, er würde dann zu spät kommen, um den Krieg zwischen Preußen und Hessen zu hindern und den Fortbestand des Kurstaats zu sichern. Wenn die Oestreicher siegten, so würde er immer vis major gel¬ tend machen können, seine neutrale Haltung ihm sogar vielleicht preußische Landestheile einbringen; wenn wir aber siegten, nachdem er sich geweigert, neutral zu bleiben, so würde der Kurstaat nicht fortbestehn; der hessische Thron sei immer einen Extrazug werth. Der Prinz machte der Unterredung ein Ende mit den Worten: "Wir sehn uns wohl noch einmal in diesem Leben wieder, und 800 000 gute östreichische Truppen haben auch noch ein Wort
1) Vgl. Politische Reden IV 137.
2) Vgl. Sybel IV 439 Anm. 1.
Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
Aber ſchon im März oder April fing man in Hanover unter fadenſcheinigen Vorwänden an, Reſerven einzuberufen. Es hatten Einflüſſe auf den König Georg ſtattgefunden, namentlich durch ſeinen Halbbruder, den öſtreichiſchen General Prinzen Solms, der nach Hanover gekommen war und den König umgeſtimmt hatte durch übertriebene Schilderung der öſtreichiſchen Heereskräfte, von denen 800 000 Mann bereit ſeien, und wie ich aus intimen hanöverſchen Quellen vernommen habe, auch durch ein Erbieten von territorialer Vergrößerung, mindeſtens durch den Regirungs- Bezirk Minden. Meine amtlichen Anfragen bezüglich der Rüſtungen Hanovers wurden mit der faſt höhniſch klingenden Auskunft beant¬ wortet, daß die Herbſtübungen aus wirthſchaftlichen Gründen ſchon im Frühjahr abgehalten werden ſollten1).
Mit dem Thronfolger in Kur-Heſſen, Prinzen Friedrich Wil¬ helm, hatte ich in Berlin noch am 14. Juni eine Beſprechung2), in der ich ihm empfahl, mit einem Extrazuge nach Kaſſel zu fahren und die Neutralität Kurheſſens oder doch der dortigen Truppen ſicher zu ſtellen, ſei es durch Beeinfluſſung des Kurfürſten, ſei es unabhängig von dieſem. Der Prinz weigerte ſich früher als mit dem fahrplanmäßigen Zuge zu reiſen. Ich ſtellte ihm vor, er würde dann zu ſpät kommen, um den Krieg zwiſchen Preußen und Heſſen zu hindern und den Fortbeſtand des Kurſtaats zu ſichern. Wenn die Oeſtreicher ſiegten, ſo würde er immer vis major gel¬ tend machen können, ſeine neutrale Haltung ihm ſogar vielleicht preußiſche Landestheile einbringen; wenn wir aber ſiegten, nachdem er ſich geweigert, neutral zu bleiben, ſo würde der Kurſtaat nicht fortbeſtehn; der heſſiſche Thron ſei immer einen Extrazug werth. Der Prinz machte der Unterredung ein Ende mit den Worten: „Wir ſehn uns wohl noch einmal in dieſem Leben wieder, und 800 000 gute öſtreichiſche Truppen haben auch noch ein Wort
1) Vgl. Politiſche Reden IV 137.
2) Vgl. Sybel IV 439 Anm. 1.
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Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
Aber ſchon im März oder April fing man in Hanover unter
fadenſcheinigen Vorwänden an, Reſerven einzuberufen. Es hatten
Einflüſſe auf den König Georg ſtattgefunden, namentlich durch
ſeinen Halbbruder, den öſtreichiſchen General Prinzen Solms,
der nach Hanover gekommen war und den König umgeſtimmt
hatte durch übertriebene Schilderung der öſtreichiſchen Heereskräfte,
von denen 800 000 Mann bereit ſeien, und wie ich aus intimen
hanöverſchen Quellen vernommen habe, auch durch ein Erbieten
von territorialer Vergrößerung, mindeſtens durch den Regirungs-
Bezirk Minden. Meine amtlichen Anfragen bezüglich der Rüſtungen
Hanovers wurden mit der faſt höhniſch klingenden Auskunft beant¬
wortet, daß die Herbſtübungen aus wirthſchaftlichen Gründen ſchon
im Frühjahr abgehalten werden ſollten 1).
Mit dem Thronfolger in Kur-Heſſen, Prinzen Friedrich Wil¬
helm, hatte ich in Berlin noch am 14. Juni eine Beſprechung 2), in
der ich ihm empfahl, mit einem Extrazuge nach Kaſſel zu fahren
und die Neutralität Kurheſſens oder doch der dortigen Truppen
ſicher zu ſtellen, ſei es durch Beeinfluſſung des Kurfürſten, ſei es
unabhängig von dieſem. Der Prinz weigerte ſich früher als
mit dem fahrplanmäßigen Zuge zu reiſen. Ich ſtellte ihm vor, er
würde dann zu ſpät kommen, um den Krieg zwiſchen Preußen und
Heſſen zu hindern und den Fortbeſtand des Kurſtaats zu ſichern.
Wenn die Oeſtreicher ſiegten, ſo würde er immer vis major gel¬
tend machen können, ſeine neutrale Haltung ihm ſogar vielleicht
preußiſche Landestheile einbringen; wenn wir aber ſiegten, nachdem
er ſich geweigert, neutral zu bleiben, ſo würde der Kurſtaat nicht
fortbeſtehn; der heſſiſche Thron ſei immer einen Extrazug werth.
Der Prinz machte der Unterredung ein Ende mit den Worten:
„Wir ſehn uns wohl noch einmal in dieſem Leben wieder, und
800 000 gute öſtreichiſche Truppen haben auch noch ein Wort
1) Vgl. Politiſche Reden IV 137.
2) Vgl. Sybel IV 439 Anm. 1.
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/48>, abgerufen am 16.02.2025.
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