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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holstein.
nicht in einer Stärke vor, die hinreichte, um die leidenschaftlichen
Kämpfe zu motiviren, welche die Fractionen gegen einander glauben
ausfechten zu müssen und Conservative und Freiconservative in
getrennte Lager verweisen. Auch innerhalb der conservativen Partei
haben wohl viele das Gefühl, daß sie mit der Kreuzzeitung und
ihrem Zubehör nicht im Einverständnisse sind. Aber die prinzi¬
pielle Scheidelinie in einem Programme zu präcisiren und über¬
zeugend auszudrücken, würden auch die Führer und Unterführer
für eine schwere Aufgabe halten, grade so wie confessionelle Fana¬
tiker, und nicht blos Laien, in der Regel der Nothwendigkeit aus¬
weichen, oder die Auskunft schuldig bleiben, wenn man sie nach
den unterscheidenden Merkmalen der verschiedenen Bekenntnisse und
Glaubensrichtungen und nach dem Schaden fragt, welchen sie für
ihr Seelenheil befürchten, wenn sie eine der Abweichungen des
Andersgläubigen nicht angriffsweise bekämpfen. So weit die Par¬
teien sich nicht lediglich nach wirthschaftlichen Interessen gruppiren,
kämpfen sie im Interesse der rivalisirenden Führer der Fractionen
und nach deren persönlichem Willen und Streberthum; nicht Ver¬
schiedenheit von Prinzipien, sondern "Kephisch oder Paulinisch?" ist
die Frage.

Ein Andenken an den Gasteiner Vertrag ist das nachstehende
Schreiben des Königs1):

"Berlin, den 15. September 1865.

Mit dem heutigen Tage vollzieht sich ein Act, die Besitz¬
ergreifung des Herzogthums Lauenburg, als eine Folge meiner,
von Ihnen mit so großer und ausgezeichneter Umsicht und Einsicht
befolgten Regierung. Preußen hat in den vier Jahren, seit welchen
ich Sie an die Spitze der Staats-Regierung berief, eine Stellung
eingenommen, die seiner Geschichte würdig ist und demselben auch
eine fernere glückliche und glorreiche Zukunft verheißt. Um Ihrem

1) Bismarck-Jahrbuch VI 203 f.

Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein.
nicht in einer Stärke vor, die hinreichte, um die leidenſchaftlichen
Kämpfe zu motiviren, welche die Fractionen gegen einander glauben
ausfechten zu müſſen und Conſervative und Freiconſervative in
getrennte Lager verweiſen. Auch innerhalb der conſervativen Partei
haben wohl viele das Gefühl, daß ſie mit der Kreuzzeitung und
ihrem Zubehör nicht im Einverſtändniſſe ſind. Aber die prinzi¬
pielle Scheidelinie in einem Programme zu präciſiren und über¬
zeugend auszudrücken, würden auch die Führer und Unterführer
für eine ſchwere Aufgabe halten, grade ſo wie confeſſionelle Fana¬
tiker, und nicht blos Laien, in der Regel der Nothwendigkeit aus¬
weichen, oder die Auskunft ſchuldig bleiben, wenn man ſie nach
den unterſcheidenden Merkmalen der verſchiedenen Bekenntniſſe und
Glaubensrichtungen und nach dem Schaden fragt, welchen ſie für
ihr Seelenheil befürchten, wenn ſie eine der Abweichungen des
Andersgläubigen nicht angriffsweiſe bekämpfen. So weit die Par¬
teien ſich nicht lediglich nach wirthſchaftlichen Intereſſen gruppiren,
kämpfen ſie im Intereſſe der rivaliſirenden Führer der Fractionen
und nach deren perſönlichem Willen und Streberthum; nicht Ver¬
ſchiedenheit von Prinzipien, ſondern „Kephiſch oder Pauliniſch?“ iſt
die Frage.

Ein Andenken an den Gaſteiner Vertrag iſt das nachſtehende
Schreiben des Königs1):

„Berlin, den 15. September 1865.

Mit dem heutigen Tage vollzieht ſich ein Act, die Beſitz¬
ergreifung des Herzogthums Lauenburg, als eine Folge meiner,
von Ihnen mit ſo großer und ausgezeichneter Umſicht und Einſicht
befolgten Regierung. Preußen hat in den vier Jahren, ſeit welchen
ich Sie an die Spitze der Staats-Regierung berief, eine Stellung
eingenommen, die ſeiner Geſchichte würdig iſt und demſelben auch
eine fernere glückliche und glorreiche Zukunft verheißt. Um Ihrem

1) Bismarck-Jahrbuch VI 203 f.
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[22/0046] Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holſtein. nicht in einer Stärke vor, die hinreichte, um die leidenſchaftlichen Kämpfe zu motiviren, welche die Fractionen gegen einander glauben ausfechten zu müſſen und Conſervative und Freiconſervative in getrennte Lager verweiſen. Auch innerhalb der conſervativen Partei haben wohl viele das Gefühl, daß ſie mit der Kreuzzeitung und ihrem Zubehör nicht im Einverſtändniſſe ſind. Aber die prinzi¬ pielle Scheidelinie in einem Programme zu präciſiren und über¬ zeugend auszudrücken, würden auch die Führer und Unterführer für eine ſchwere Aufgabe halten, grade ſo wie confeſſionelle Fana¬ tiker, und nicht blos Laien, in der Regel der Nothwendigkeit aus¬ weichen, oder die Auskunft ſchuldig bleiben, wenn man ſie nach den unterſcheidenden Merkmalen der verſchiedenen Bekenntniſſe und Glaubensrichtungen und nach dem Schaden fragt, welchen ſie für ihr Seelenheil befürchten, wenn ſie eine der Abweichungen des Andersgläubigen nicht angriffsweiſe bekämpfen. So weit die Par¬ teien ſich nicht lediglich nach wirthſchaftlichen Intereſſen gruppiren, kämpfen ſie im Intereſſe der rivaliſirenden Führer der Fractionen und nach deren perſönlichem Willen und Streberthum; nicht Ver¬ ſchiedenheit von Prinzipien, ſondern „Kephiſch oder Pauliniſch?“ iſt die Frage. Ein Andenken an den Gaſteiner Vertrag iſt das nachſtehende Schreiben des Königs 1): „Berlin, den 15. September 1865. Mit dem heutigen Tage vollzieht ſich ein Act, die Beſitz¬ ergreifung des Herzogthums Lauenburg, als eine Folge meiner, von Ihnen mit ſo großer und ausgezeichneter Umſicht und Einſicht befolgten Regierung. Preußen hat in den vier Jahren, ſeit welchen ich Sie an die Spitze der Staats-Regierung berief, eine Stellung eingenommen, die ſeiner Geſchichte würdig iſt und demſelben auch eine fernere glückliche und glorreiche Zukunft verheißt. Um Ihrem 1) Bismarck-Jahrbuch VI 203 f.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/46>, abgerufen am 27.04.2024.