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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Die öffentliche Meinung unter dem Einfluß des Liberalismus.
nicht wahrscheinlich, daß er ohne seine vorhergehenden Versuche und
Bestrebungen in liberaler Richtung, ohne die Verbindlichkeiten, in
die er dadurch gerathen war, in die Wege zum dänischen und damit
zum böhmischen Kriege hätte geleitet werden können. Vielleicht
wäre es nicht einmal gelungen, ihn von dem Frankfurter Fürsten¬
congreß 1863 fern zu halten, wenn die liberalen Antecedentien
nicht ein gewisses Popularitätsbedürfniß in liberaler Richtung auch
bei dem Herrn zurückgelassen hätten, das ihm vor Olmütz fremd
gewesen, seitdem aber die natürliche psychologische Folge des Ver¬
langens gewesen war, für die seinem preußischen Ehrgefühl auf
dem Gebiete der deutschen Politik geschlagene Wunde auf demselben
Gebiete Heilung und Genugthuung zu suchen. Die holsteinische
Frage, der dänische Krieg, Düppel und Alsen, der Bruch mit Oest¬
reich und die Entscheidung der deutschen Frage auf dem Schlacht¬
felde, in dieses ganze Wagesystem wäre er ohne die schwierige
Stellung, in die ihn die neue Aera gebracht hatte, vielleicht nicht
eingegangen.

Es kostete freilich noch 1864 viel Mühe, die Fäden zu lösen,
durch welche der König unter Mitwirkung des liberalisirenden Ein¬
flusses seiner Gemalin mit jenem Lager in Verbindung stand.
Ohne die verwickelten Rechtsfragen der Erbfolge untersucht zu
haben, blieb er dabei: "Ich habe kein Recht auf Holstein." Meine
Vorhaltung, daß die Augustenburger kein Recht hätten auf den
herzoglichen und den Schaumburgischen Antheil, nie ein solches
gehabt und auf den Königlichen Theil zweimal 1721 und 1852
entsagt hätten, daß Dänemark am Bundestage in der Regel mit
Preußen gestimmt habe, der Herzog von Schleswig-Holstein aus
Furcht vor preußischem Uebergewicht es mit Oestreich halten werde,
machte keinen Eindruck. Wenn auch die Erwerbung dieser von
zwei Meeren umspülten Provinzen und meine geschichtliche Erinne¬
rung in der Conseilsitzung vom December 1863 auf das dynastische
Gefühl des Herrn nicht ohne Wirkung war, so war auf der andern
Seite die Vergegenwärtigung der Mißbilligung wirksam, die der

Die öffentliche Meinung unter dem Einfluß des Liberalismus.
nicht wahrſcheinlich, daß er ohne ſeine vorhergehenden Verſuche und
Beſtrebungen in liberaler Richtung, ohne die Verbindlichkeiten, in
die er dadurch gerathen war, in die Wege zum däniſchen und damit
zum böhmiſchen Kriege hätte geleitet werden können. Vielleicht
wäre es nicht einmal gelungen, ihn von dem Frankfurter Fürſten¬
congreß 1863 fern zu halten, wenn die liberalen Antecedentien
nicht ein gewiſſes Popularitätsbedürfniß in liberaler Richtung auch
bei dem Herrn zurückgelaſſen hätten, das ihm vor Olmütz fremd
geweſen, ſeitdem aber die natürliche pſychologiſche Folge des Ver¬
langens geweſen war, für die ſeinem preußiſchen Ehrgefühl auf
dem Gebiete der deutſchen Politik geſchlagene Wunde auf demſelben
Gebiete Heilung und Genugthuung zu ſuchen. Die holſteiniſche
Frage, der däniſche Krieg, Düppel und Alſen, der Bruch mit Oeſt¬
reich und die Entſcheidung der deutſchen Frage auf dem Schlacht¬
felde, in dieſes ganze Wageſyſtem wäre er ohne die ſchwierige
Stellung, in die ihn die neue Aera gebracht hatte, vielleicht nicht
eingegangen.

Es koſtete freilich noch 1864 viel Mühe, die Fäden zu löſen,
durch welche der König unter Mitwirkung des liberaliſirenden Ein¬
fluſſes ſeiner Gemalin mit jenem Lager in Verbindung ſtand.
Ohne die verwickelten Rechtsfragen der Erbfolge unterſucht zu
haben, blieb er dabei: „Ich habe kein Recht auf Holſtein.“ Meine
Vorhaltung, daß die Auguſtenburger kein Recht hätten auf den
herzoglichen und den Schaumburgiſchen Antheil, nie ein ſolches
gehabt und auf den Königlichen Theil zweimal 1721 und 1852
entſagt hätten, daß Dänemark am Bundestage in der Regel mit
Preußen geſtimmt habe, der Herzog von Schleswig-Holſtein aus
Furcht vor preußiſchem Uebergewicht es mit Oeſtreich halten werde,
machte keinen Eindruck. Wenn auch die Erwerbung dieſer von
zwei Meeren umſpülten Provinzen und meine geſchichtliche Erinne¬
rung in der Conſeilſitzung vom December 1863 auf das dynaſtiſche
Gefühl des Herrn nicht ohne Wirkung war, ſo war auf der andern
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[11/0035] Die öffentliche Meinung unter dem Einfluß des Liberalismus. nicht wahrſcheinlich, daß er ohne ſeine vorhergehenden Verſuche und Beſtrebungen in liberaler Richtung, ohne die Verbindlichkeiten, in die er dadurch gerathen war, in die Wege zum däniſchen und damit zum böhmiſchen Kriege hätte geleitet werden können. Vielleicht wäre es nicht einmal gelungen, ihn von dem Frankfurter Fürſten¬ congreß 1863 fern zu halten, wenn die liberalen Antecedentien nicht ein gewiſſes Popularitätsbedürfniß in liberaler Richtung auch bei dem Herrn zurückgelaſſen hätten, das ihm vor Olmütz fremd geweſen, ſeitdem aber die natürliche pſychologiſche Folge des Ver¬ langens geweſen war, für die ſeinem preußiſchen Ehrgefühl auf dem Gebiete der deutſchen Politik geſchlagene Wunde auf demſelben Gebiete Heilung und Genugthuung zu ſuchen. Die holſteiniſche Frage, der däniſche Krieg, Düppel und Alſen, der Bruch mit Oeſt¬ reich und die Entſcheidung der deutſchen Frage auf dem Schlacht¬ felde, in dieſes ganze Wageſyſtem wäre er ohne die ſchwierige Stellung, in die ihn die neue Aera gebracht hatte, vielleicht nicht eingegangen. Es koſtete freilich noch 1864 viel Mühe, die Fäden zu löſen, durch welche der König unter Mitwirkung des liberaliſirenden Ein¬ fluſſes ſeiner Gemalin mit jenem Lager in Verbindung ſtand. Ohne die verwickelten Rechtsfragen der Erbfolge unterſucht zu haben, blieb er dabei: „Ich habe kein Recht auf Holſtein.“ Meine Vorhaltung, daß die Auguſtenburger kein Recht hätten auf den herzoglichen und den Schaumburgiſchen Antheil, nie ein ſolches gehabt und auf den Königlichen Theil zweimal 1721 und 1852 entſagt hätten, daß Dänemark am Bundestage in der Regel mit Preußen geſtimmt habe, der Herzog von Schleswig-Holſtein aus Furcht vor preußiſchem Uebergewicht es mit Oeſtreich halten werde, machte keinen Eindruck. Wenn auch die Erwerbung dieſer von zwei Meeren umſpülten Provinzen und meine geſchichtliche Erinne¬ rung in der Conſeilſitzung vom December 1863 auf das dynaſtiſche Gefühl des Herrn nicht ohne Wirkung war, ſo war auf der andern Seite die Vergegenwärtigung der Mißbilligung wirkſam, die der

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/35>, abgerufen am 27.04.2024.