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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Dreiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Friedrich III.
ist berechnet auf die Zerstörung des unbequemen Gebildes eines
Deutschen Reiches mit evangelischem Kaiserthum und acceptirt in
Wahlen und Abstimmungen den Beistand jeder ihr an sich feind¬
lichen, aber zunächst in gleicher Richtung wirkenden Fraction, nicht
nur der Polen, Welfen, Franzosen, sondern auch der Freisinnigen.
Wie viele der Mitglieder mit Bewußtsein, wie viele in ihrer Be¬
schränktheit für reichsfeindliche Zwecke arbeiten, werden nur die
Führer beurtheilen können. Windthorst, politisch latitudinarian,
religiös ungläubig, ist durch Zufall und bürokratisches Ungeschick
auf die feindliche Seite geschoben worden. Trotz alledem hoffe ich,
daß in Kriegszeiten das Nationalgefühl stets zu der Höhe an¬
schwellen wird, um das Lügengewebe zu zerreißen, in dem Fractions¬
führer, strebsame Redner und Parteiblätter in Friedenszeiten die
Massen zu erhalten wissen.

Wenn man sich die Zeit vergegenwärtigt, wo das Centrum,
gestützt weniger auf den Papst als auf den Jesuitenorden, die
Welfen, nicht blos die hanöverschen, die Polen, die französirenden
Elsässer, die Volksparteiler, die Socialdemokraten, die Freisinnigen
und die Particularisten, einig unter einander nur in der Feind¬
schaft gegen das Reich und seine Dynastie, unter Führung desselben
Windthorst, der vor und nach seinem Tode zu einem National¬
heiligen gemacht wurde, eine sichre und herrische Mehrheit gegen
den Kaiser und die verbündeten Regirungen besaß, so wird
Jeder, der die damalige Situation und die von Westen und Osten
drohenden Gefahren sachkundig zu beurtheilen im Stande ist, es
natürlich finden, daß ein für die Schlußergebnisse verantwortlicher
Reichskanzler daran dachte, den möglichen auswärtigen Verwick¬
lungen und ihrer Verbindung mit innern Gefahren mit derselben
Unabhängigkeit entgegen zu treten, mit der der böhmische Krieg
ohne Einverständniß, vielfach sogar im Widerspruche mit politischen
Stimmungen unternommen wurde.

Von den Privatbriefen des Kaisers Friedrich theile ich einen
um seinet- und um meinetwillen mit, als Probe seiner Sinnesart

Dreiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Friedrich III.
iſt berechnet auf die Zerſtörung des unbequemen Gebildes eines
Deutſchen Reiches mit evangeliſchem Kaiſerthum und acceptirt in
Wahlen und Abſtimmungen den Beiſtand jeder ihr an ſich feind¬
lichen, aber zunächſt in gleicher Richtung wirkenden Fraction, nicht
nur der Polen, Welfen, Franzoſen, ſondern auch der Freiſinnigen.
Wie viele der Mitglieder mit Bewußtſein, wie viele in ihrer Be¬
ſchränktheit für reichsfeindliche Zwecke arbeiten, werden nur die
Führer beurtheilen können. Windthorſt, politiſch latitudinarian,
religiös ungläubig, iſt durch Zufall und bürokratiſches Ungeſchick
auf die feindliche Seite geſchoben worden. Trotz alledem hoffe ich,
daß in Kriegszeiten das Nationalgefühl ſtets zu der Höhe an¬
ſchwellen wird, um das Lügengewebe zu zerreißen, in dem Fractions¬
führer, ſtrebſame Redner und Parteiblätter in Friedenszeiten die
Maſſen zu erhalten wiſſen.

Wenn man ſich die Zeit vergegenwärtigt, wo das Centrum,
geſtützt weniger auf den Papſt als auf den Jeſuitenorden, die
Welfen, nicht blos die hanöverſchen, die Polen, die franzöſirenden
Elſäſſer, die Volksparteiler, die Socialdemokraten, die Freiſinnigen
und die Particulariſten, einig unter einander nur in der Feind¬
ſchaft gegen das Reich und ſeine Dynaſtie, unter Führung deſſelben
Windthorſt, der vor und nach ſeinem Tode zu einem National¬
heiligen gemacht wurde, eine ſichre und herriſche Mehrheit gegen
den Kaiſer und die verbündeten Regirungen beſaß, ſo wird
Jeder, der die damalige Situation und die von Weſten und Oſten
drohenden Gefahren ſachkundig zu beurtheilen im Stande iſt, es
natürlich finden, daß ein für die Schlußergebniſſe verantwortlicher
Reichskanzler daran dachte, den möglichen auswärtigen Verwick¬
lungen und ihrer Verbindung mit innern Gefahren mit derſelben
Unabhängigkeit entgegen zu treten, mit der der böhmiſche Krieg
ohne Einverſtändniß, vielfach ſogar im Widerſpruche mit politiſchen
Stimmungen unternommen wurde.

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um ſeinet- und um meinetwillen mit, als Probe ſeiner Sinnesart

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[310/0334] Dreiunddreißigſtes Kapitel: Kaiſer Friedrich III. iſt berechnet auf die Zerſtörung des unbequemen Gebildes eines Deutſchen Reiches mit evangeliſchem Kaiſerthum und acceptirt in Wahlen und Abſtimmungen den Beiſtand jeder ihr an ſich feind¬ lichen, aber zunächſt in gleicher Richtung wirkenden Fraction, nicht nur der Polen, Welfen, Franzoſen, ſondern auch der Freiſinnigen. Wie viele der Mitglieder mit Bewußtſein, wie viele in ihrer Be¬ ſchränktheit für reichsfeindliche Zwecke arbeiten, werden nur die Führer beurtheilen können. Windthorſt, politiſch latitudinarian, religiös ungläubig, iſt durch Zufall und bürokratiſches Ungeſchick auf die feindliche Seite geſchoben worden. Trotz alledem hoffe ich, daß in Kriegszeiten das Nationalgefühl ſtets zu der Höhe an¬ ſchwellen wird, um das Lügengewebe zu zerreißen, in dem Fractions¬ führer, ſtrebſame Redner und Parteiblätter in Friedenszeiten die Maſſen zu erhalten wiſſen. Wenn man ſich die Zeit vergegenwärtigt, wo das Centrum, geſtützt weniger auf den Papſt als auf den Jeſuitenorden, die Welfen, nicht blos die hanöverſchen, die Polen, die franzöſirenden Elſäſſer, die Volksparteiler, die Socialdemokraten, die Freiſinnigen und die Particulariſten, einig unter einander nur in der Feind¬ ſchaft gegen das Reich und ſeine Dynaſtie, unter Führung deſſelben Windthorſt, der vor und nach ſeinem Tode zu einem National¬ heiligen gemacht wurde, eine ſichre und herriſche Mehrheit gegen den Kaiſer und die verbündeten Regirungen beſaß, ſo wird Jeder, der die damalige Situation und die von Weſten und Oſten drohenden Gefahren ſachkundig zu beurtheilen im Stande iſt, es natürlich finden, daß ein für die Schlußergebniſſe verantwortlicher Reichskanzler daran dachte, den möglichen auswärtigen Verwick¬ lungen und ihrer Verbindung mit innern Gefahren mit derſelben Unabhängigkeit entgegen zu treten, mit der der böhmiſche Krieg ohne Einverſtändniß, vielfach ſogar im Widerſpruche mit politiſchen Stimmungen unternommen wurde. Von den Privatbriefen des Kaiſers Friedrich theile ich einen um ſeinet- und um meinetwillen mit, als Probe ſeiner Sinnesart

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/334>, abgerufen am 24.11.2024.