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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Beziehungen zum Kronprinzen und zur Kronprinzessin.
Potsdam und fragte, ob ich im Falle eines Thronwechsels im
Dienst bleiben würde. Ich erklärte mich dazu unter zwei Be¬
dingungen bereit: keine Parlamentsregirung und keine auswär¬
tigen Einflüsse in der Politik. Der Kronprinz erwiderte mit einer
entsprechenden Handbewegung: "Kein Gedanke daran!"

Bei seiner Frau Gemalin konnte ich nicht dasselbe Wohlwollen
für mich voraussetzen; ihre natürliche und angeborne Sympathie
für ihre Heimath hatte sich von Hause aus gekennzeichnet in dem
Bestreben, das Gewicht des preußisch-deutschen Einflusses in euro¬
päischen Gruppirungen in die Wagschale ihres Vaterlandes, als
welches sie England zu betrachten niemals aufgehört hat, hinüber¬
zuschieben und im Bewußtsein der Interessenverschiedenheit der
beiden asiatischen Hauptmächte, England und Rußland, bei ein¬
tretendem Bruche die deutsche Macht im Sinne Englands verwendet
zu sehn. Dieser auf der Verschiedenheit der Nationalität beruhende
Dissens hat in der orientalischen Frage, mit Einschluß der Batten¬
bergischen, manche Erörterung zwischen Ihrer Kaiserlichen Hoheit
und mir veranlaßt. Ihr Einfluß auf ihren Gemal war zu allen
Zeiten groß und wurde stärker mit den Jahren, um zu culmi¬
niren in der Zeit, wo er Kaiser war. Aber auch bei ihr bestand
die Ueberzeugung, daß meine Beibehaltung bei dem Thronwechsel
im Interesse der Dynastie liege.

Es ist nicht meine Absicht, würde auch unausführbar sein,
jeder Legende und böswilligen Erfindung ausdrücklich zu wider¬
sprechen. Da indessen die Erzählung, der Kronprinz habe 1887
nach der Rückkehr aus Ems eine Urkunde unterzeichnet, in der
er für den Fall, daß er seinen Vater überlebe, zu Gunsten des
Prinzen Wilhelm auf die Regirung verzichtet, in ein englisches
Werk über den Kaiser Wilhelm II. übergegangen ist, so will ich
constatiren, daß an der Geschichte nicht ein Schatten von Wahrheit
ist. Auch daß ein Thronerbe, der an einer unheilbaren Körper¬
krankheit leide, nach unsern Hausgesetzen nicht successionsfähig sei,
wie 1887 in manchen Kreisen behauptet, in andern geglaubt wurde,

Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen II. 20

Beziehungen zum Kronprinzen und zur Kronprinzeſſin.
Potsdam und fragte, ob ich im Falle eines Thronwechſels im
Dienſt bleiben würde. Ich erklärte mich dazu unter zwei Be¬
dingungen bereit: keine Parlamentsregirung und keine auswär¬
tigen Einflüſſe in der Politik. Der Kronprinz erwiderte mit einer
entſprechenden Handbewegung: „Kein Gedanke daran!“

Bei ſeiner Frau Gemalin konnte ich nicht daſſelbe Wohlwollen
für mich vorausſetzen; ihre natürliche und angeborne Sympathie
für ihre Heimath hatte ſich von Hauſe aus gekennzeichnet in dem
Beſtreben, das Gewicht des preußiſch-deutſchen Einfluſſes in euro¬
päiſchen Gruppirungen in die Wagſchale ihres Vaterlandes, als
welches ſie England zu betrachten niemals aufgehört hat, hinüber¬
zuſchieben und im Bewußtſein der Intereſſenverſchiedenheit der
beiden aſiatiſchen Hauptmächte, England und Rußland, bei ein¬
tretendem Bruche die deutſche Macht im Sinne Englands verwendet
zu ſehn. Dieſer auf der Verſchiedenheit der Nationalität beruhende
Diſſens hat in der orientaliſchen Frage, mit Einſchluß der Batten¬
bergiſchen, manche Erörterung zwiſchen Ihrer Kaiſerlichen Hoheit
und mir veranlaßt. Ihr Einfluß auf ihren Gemal war zu allen
Zeiten groß und wurde ſtärker mit den Jahren, um zu culmi¬
niren in der Zeit, wo er Kaiſer war. Aber auch bei ihr beſtand
die Ueberzeugung, daß meine Beibehaltung bei dem Thronwechſel
im Intereſſe der Dynaſtie liege.

Es iſt nicht meine Abſicht, würde auch unausführbar ſein,
jeder Legende und böswilligen Erfindung ausdrücklich zu wider¬
ſprechen. Da indeſſen die Erzählung, der Kronprinz habe 1887
nach der Rückkehr aus Ems eine Urkunde unterzeichnet, in der
er für den Fall, daß er ſeinen Vater überlebe, zu Gunſten des
Prinzen Wilhelm auf die Regirung verzichtet, in ein engliſches
Werk über den Kaiſer Wilhelm II. übergegangen iſt, ſo will ich
conſtatiren, daß an der Geſchichte nicht ein Schatten von Wahrheit
iſt. Auch daß ein Thronerbe, der an einer unheilbaren Körper¬
krankheit leide, nach unſern Hausgeſetzen nicht ſucceſſionsfähig ſei,
wie 1887 in manchen Kreiſen behauptet, in andern geglaubt wurde,

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[305/0329] Beziehungen zum Kronprinzen und zur Kronprinzeſſin. Potsdam und fragte, ob ich im Falle eines Thronwechſels im Dienſt bleiben würde. Ich erklärte mich dazu unter zwei Be¬ dingungen bereit: keine Parlamentsregirung und keine auswär¬ tigen Einflüſſe in der Politik. Der Kronprinz erwiderte mit einer entſprechenden Handbewegung: „Kein Gedanke daran!“ Bei ſeiner Frau Gemalin konnte ich nicht daſſelbe Wohlwollen für mich vorausſetzen; ihre natürliche und angeborne Sympathie für ihre Heimath hatte ſich von Hauſe aus gekennzeichnet in dem Beſtreben, das Gewicht des preußiſch-deutſchen Einfluſſes in euro¬ päiſchen Gruppirungen in die Wagſchale ihres Vaterlandes, als welches ſie England zu betrachten niemals aufgehört hat, hinüber¬ zuſchieben und im Bewußtſein der Intereſſenverſchiedenheit der beiden aſiatiſchen Hauptmächte, England und Rußland, bei ein¬ tretendem Bruche die deutſche Macht im Sinne Englands verwendet zu ſehn. Dieſer auf der Verſchiedenheit der Nationalität beruhende Diſſens hat in der orientaliſchen Frage, mit Einſchluß der Batten¬ bergiſchen, manche Erörterung zwiſchen Ihrer Kaiſerlichen Hoheit und mir veranlaßt. Ihr Einfluß auf ihren Gemal war zu allen Zeiten groß und wurde ſtärker mit den Jahren, um zu culmi¬ niren in der Zeit, wo er Kaiſer war. Aber auch bei ihr beſtand die Ueberzeugung, daß meine Beibehaltung bei dem Thronwechſel im Intereſſe der Dynaſtie liege. Es iſt nicht meine Abſicht, würde auch unausführbar ſein, jeder Legende und böswilligen Erfindung ausdrücklich zu wider¬ ſprechen. Da indeſſen die Erzählung, der Kronprinz habe 1887 nach der Rückkehr aus Ems eine Urkunde unterzeichnet, in der er für den Fall, daß er ſeinen Vater überlebe, zu Gunſten des Prinzen Wilhelm auf die Regirung verzichtet, in ein engliſches Werk über den Kaiſer Wilhelm II. übergegangen iſt, ſo will ich conſtatiren, daß an der Geſchichte nicht ein Schatten von Wahrheit iſt. Auch daß ein Thronerbe, der an einer unheilbaren Körper¬ krankheit leide, nach unſern Hausgeſetzen nicht ſucceſſionsfähig ſei, wie 1887 in manchen Kreiſen behauptet, in andern geglaubt wurde, Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen II. 20

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/329>, abgerufen am 24.11.2024.