Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Mangelhafte Vorbildung Wilhelms I. zum Regentenberuf. Offenbarung glaubt und aus seinem Glauben kein Geheimnißmacht; und deren gibt es viele, die mit dem Staate garnichts zu thun haben und an Carriere nicht denken." Er: "Was verstehn Sie unter orthodox?" Ich: "Beispielsweise Jemanden, der ernstlich daran glaubt, daß Er, hoch erröthend: "Wer ist denn so von Gott verlassen, Ich: "Wenn diese Aeußerung öffentlich bekannt würde, so Im weitern Verlauf der Unterhaltung kamen wir auf die Er sei kein Feind des Adels, könne aber nicht zugeben, daß Ich erwiderte: "Wie sollte der Edelmann das anfangen? Darauf Er: "Das mag bei Ihnen in Schönhausen so sein; Ich bat um die Erlaubniß, ihm eine kurze Darstellung der Mangelhafte Vorbildung Wilhelms I. zum Regentenberuf. Offenbarung glaubt und aus ſeinem Glauben kein Geheimnißmacht; und deren gibt es viele, die mit dem Staate garnichts zu thun haben und an Carrière nicht denken.“ Er: „Was verſtehn Sie unter orthodox?“ Ich: „Beiſpielsweiſe Jemanden, der ernſtlich daran glaubt, daß Er, hoch erröthend: „Wer iſt denn ſo von Gott verlaſſen, Ich: „Wenn dieſe Aeußerung öffentlich bekannt würde, ſo Im weitern Verlauf der Unterhaltung kamen wir auf die Er ſei kein Feind des Adels, könne aber nicht zugeben, daß Ich erwiderte: „Wie ſollte der Edelmann das anfangen? Darauf Er: „Das mag bei Ihnen in Schönhauſen ſo ſein; Ich bat um die Erlaubniß, ihm eine kurze Darſtellung der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0303" n="279"/><fw place="top" type="header">Mangelhafte Vorbildung Wilhelms I. zum Regentenberuf.<lb/></fw> Offenbarung glaubt und aus ſeinem Glauben kein Geheimniß<lb/> macht; und deren gibt es viele, die mit dem Staate garnichts<lb/> zu thun haben und an Carri<hi rendition="#aq">è</hi>re nicht denken.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Er</hi>: „Was verſtehn Sie unter orthodox?“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Ich</hi>: „Beiſpielsweiſe Jemanden, der ernſtlich daran glaubt, daß<lb/> Jeſus Gottes Sohn und für uns geſtorben iſt als ein Opfer, zur<lb/> Vergebung unſrer Sünden. Ich kann es im Augenblick nicht<lb/> präciſer faſſen, aber es iſt das Weſentliche der Glaubensver¬<lb/> ſchiedenheit.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Er</hi>, hoch erröthend: „Wer iſt denn ſo von Gott verlaſſen,<lb/> daß er das nicht glaubte!“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Ich</hi>: „Wenn dieſe Aeußerung öffentlich bekannt würde, ſo<lb/> würden Ew. K. H. ſelbſt zu den Pietiſten gezählt werden.“</p><lb/> <p>Im weitern Verlauf der Unterhaltung kamen wir auf die<lb/> damals ſchwebende Frage der Kreis- und Gemeinde-Ordnung. Bei<lb/> der Gelegenheit ſagte der Prinz ungefähr:</p><lb/> <p>Er ſei kein Feind des Adels, könne aber nicht zugeben, daß<lb/> „der Bauer von dem Edelmann mißhandelt werde“.</p><lb/> <p>Ich erwiderte: „Wie ſollte der Edelmann das anfangen?<lb/> Wenn ich die Schönhauſer Bauern mißhandeln wollte, ſo fehlte<lb/> mir jedes Mittel dazu, und der Verſuch würde mit meiner Mi߬<lb/> handlung entweder durch die Bauern oder durch das Geſetz endigen.“</p><lb/> <p>Darauf Er: „Das mag bei Ihnen in Schönhauſen ſo ſein;<lb/> aber das iſt eine Ausnahme, und ich kann nicht zugeben, daß der<lb/> kleine Mann auf dem Lande geſchunden wird.“</p><lb/> <p>Ich bat um die Erlaubniß, ihm eine kurze Darſtellung der<lb/> Geneſis unſrer ländlichen Zuſtände, des Verhältniſſes zwiſchen Guts¬<lb/> herrn und Bauern vorzulegen. Er nahm das Erbieten freudig<lb/> dankend an; und ich habe nachher in Norderney meine freien<lb/> Stunden dazu verwendet, dem damals 56 Jahre alten Thronerben<lb/> an der Hand von Geſetzesſtellen die rechtliche Situation auseinander<lb/> zu ſetzen, in der ſich Rittergüter und Bauern 1853 befanden.<lb/> Ich ſchickte ihm die Arbeit nicht ohne die Befürchtung, der Prinz<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [279/0303]
Mangelhafte Vorbildung Wilhelms I. zum Regentenberuf.
Offenbarung glaubt und aus ſeinem Glauben kein Geheimniß
macht; und deren gibt es viele, die mit dem Staate garnichts
zu thun haben und an Carrière nicht denken.“
Er: „Was verſtehn Sie unter orthodox?“
Ich: „Beiſpielsweiſe Jemanden, der ernſtlich daran glaubt, daß
Jeſus Gottes Sohn und für uns geſtorben iſt als ein Opfer, zur
Vergebung unſrer Sünden. Ich kann es im Augenblick nicht
präciſer faſſen, aber es iſt das Weſentliche der Glaubensver¬
ſchiedenheit.“
Er, hoch erröthend: „Wer iſt denn ſo von Gott verlaſſen,
daß er das nicht glaubte!“
Ich: „Wenn dieſe Aeußerung öffentlich bekannt würde, ſo
würden Ew. K. H. ſelbſt zu den Pietiſten gezählt werden.“
Im weitern Verlauf der Unterhaltung kamen wir auf die
damals ſchwebende Frage der Kreis- und Gemeinde-Ordnung. Bei
der Gelegenheit ſagte der Prinz ungefähr:
Er ſei kein Feind des Adels, könne aber nicht zugeben, daß
„der Bauer von dem Edelmann mißhandelt werde“.
Ich erwiderte: „Wie ſollte der Edelmann das anfangen?
Wenn ich die Schönhauſer Bauern mißhandeln wollte, ſo fehlte
mir jedes Mittel dazu, und der Verſuch würde mit meiner Mi߬
handlung entweder durch die Bauern oder durch das Geſetz endigen.“
Darauf Er: „Das mag bei Ihnen in Schönhauſen ſo ſein;
aber das iſt eine Ausnahme, und ich kann nicht zugeben, daß der
kleine Mann auf dem Lande geſchunden wird.“
Ich bat um die Erlaubniß, ihm eine kurze Darſtellung der
Geneſis unſrer ländlichen Zuſtände, des Verhältniſſes zwiſchen Guts¬
herrn und Bauern vorzulegen. Er nahm das Erbieten freudig
dankend an; und ich habe nachher in Norderney meine freien
Stunden dazu verwendet, dem damals 56 Jahre alten Thronerben
an der Hand von Geſetzesſtellen die rechtliche Situation auseinander
zu ſetzen, in der ſich Rittergüter und Bauern 1853 befanden.
Ich ſchickte ihm die Arbeit nicht ohne die Befürchtung, der Prinz
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