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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund.
grammmäßigen Erörterungen zu setzen. Aus dem Grunde habe ich,
trotz vielseitiger Befürwortung, die Betheiligung Favres an jener
Conferenz durch äußere und innere Einflüsse verhindert. Ob Frank¬
reich 1875 unserm Anfalle gegenüber in seiner Vertheidigung so
schwach gewesen sein würde, wie unsre Militärs annahmen, erscheint
fraglich, wenn man sich erinnert, daß in dem französisch-englisch-
östreichischen Vertrage vom 3. Januar 1815 das besiegte und noch
theilweise besetzte, durch zwanzig Kriegsjahre erschöpfte Frankreich
doch noch bereit war, für die Coalition gegen Preußen und Rußland
150000 Mann sofort und demnächst 300000 in's Feld zu führen.
Die 300000 in unsrer Gefangenschaft gewesenen altgedienten
Soldaten befanden sich wieder in Frankreich, und wir hätten die
russische Macht schließlich wohl nicht wie im Januar 1815 wohl¬
wollend neutral, sondern vielleicht feindlich hinter uns gehabt. Aus
dem Gortschakowschen Circular-Telegramm vom Mai 18751) an
alle russischen Gesandschaften geht hervor, daß die russische Diplo¬
matie bereits zu einer Thätigkeit gegen unsre angebliche Neigung
zur Friedensstörung veranlaßt worden war.

Auf diese Episode folgten die unruhigen Bestrebungen des
russischen Reichskanzlers, unsre und besonders meine persönlich
guten Beziehungen zum Kaiser Alexander zu trüben, unter anderm
dadurch, daß er, wie im 28. Kapitel erzählt ist, durch Vermittlung
des Generals von Werder die Ablehnung des Versprechens der
Neutralität für den Fall eines russisch-östreichischen Krieges von
mir erpreßte. Daß das russische Cabinet sich alsdann direct und
im Geheimen an das Wiener wandte, bezeichnet wiederum eine
Phase der Gortschakowschen Politik, die meinem Streben nach
einem monarchisch-conservativen Dreibunde nicht günstig war.

1) S. o. S. 174.

Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
grammmäßigen Erörterungen zu ſetzen. Aus dem Grunde habe ich,
trotz vielſeitiger Befürwortung, die Betheiligung Favres an jener
Conferenz durch äußere und innere Einflüſſe verhindert. Ob Frank¬
reich 1875 unſerm Anfalle gegenüber in ſeiner Vertheidigung ſo
ſchwach geweſen ſein würde, wie unſre Militärs annahmen, erſcheint
fraglich, wenn man ſich erinnert, daß in dem franzöſiſch-engliſch-
öſtreichiſchen Vertrage vom 3. Januar 1815 das beſiegte und noch
theilweiſe beſetzte, durch zwanzig Kriegsjahre erſchöpfte Frankreich
doch noch bereit war, für die Coalition gegen Preußen und Rußland
150000 Mann ſofort und demnächſt 300000 in's Feld zu führen.
Die 300000 in unſrer Gefangenſchaft geweſenen altgedienten
Soldaten befanden ſich wieder in Frankreich, und wir hätten die
ruſſiſche Macht ſchließlich wohl nicht wie im Januar 1815 wohl¬
wollend neutral, ſondern vielleicht feindlich hinter uns gehabt. Aus
dem Gortſchakowſchen Circular-Telegramm vom Mai 18751) an
alle ruſſiſchen Geſandſchaften geht hervor, daß die ruſſiſche Diplo¬
matie bereits zu einer Thätigkeit gegen unſre angebliche Neigung
zur Friedensſtörung veranlaßt worden war.

Auf dieſe Epiſode folgten die unruhigen Beſtrebungen des
ruſſiſchen Reichskanzlers, unſre und beſonders meine perſönlich
guten Beziehungen zum Kaiſer Alexander zu trüben, unter anderm
dadurch, daß er, wie im 28. Kapitel erzählt iſt, durch Vermittlung
des Generals von Werder die Ablehnung des Verſprechens der
Neutralität für den Fall eines ruſſiſch-öſtreichiſchen Krieges von
mir erpreßte. Daß das ruſſiſche Cabinet ſich alsdann direct und
im Geheimen an das Wiener wandte, bezeichnet wiederum eine
Phaſe der Gortſchakowſchen Politik, die meinem Streben nach
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1) S. o. S. 174.
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[232/0256] Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. grammmäßigen Erörterungen zu ſetzen. Aus dem Grunde habe ich, trotz vielſeitiger Befürwortung, die Betheiligung Favres an jener Conferenz durch äußere und innere Einflüſſe verhindert. Ob Frank¬ reich 1875 unſerm Anfalle gegenüber in ſeiner Vertheidigung ſo ſchwach geweſen ſein würde, wie unſre Militärs annahmen, erſcheint fraglich, wenn man ſich erinnert, daß in dem franzöſiſch-engliſch- öſtreichiſchen Vertrage vom 3. Januar 1815 das beſiegte und noch theilweiſe beſetzte, durch zwanzig Kriegsjahre erſchöpfte Frankreich doch noch bereit war, für die Coalition gegen Preußen und Rußland 150000 Mann ſofort und demnächſt 300000 in's Feld zu führen. Die 300000 in unſrer Gefangenſchaft geweſenen altgedienten Soldaten befanden ſich wieder in Frankreich, und wir hätten die ruſſiſche Macht ſchließlich wohl nicht wie im Januar 1815 wohl¬ wollend neutral, ſondern vielleicht feindlich hinter uns gehabt. Aus dem Gortſchakowſchen Circular-Telegramm vom Mai 1875 1) an alle ruſſiſchen Geſandſchaften geht hervor, daß die ruſſiſche Diplo¬ matie bereits zu einer Thätigkeit gegen unſre angebliche Neigung zur Friedensſtörung veranlaßt worden war. Auf dieſe Epiſode folgten die unruhigen Beſtrebungen des ruſſiſchen Reichskanzlers, unſre und beſonders meine perſönlich guten Beziehungen zum Kaiſer Alexander zu trüben, unter anderm dadurch, daß er, wie im 28. Kapitel erzählt iſt, durch Vermittlung des Generals von Werder die Ablehnung des Verſprechens der Neutralität für den Fall eines ruſſiſch-öſtreichiſchen Krieges von mir erpreßte. Daß das ruſſiſche Cabinet ſich alsdann direct und im Geheimen an das Wiener wandte, bezeichnet wiederum eine Phaſe der Gortſchakowſchen Politik, die meinem Streben nach einem monarchiſch-conſervativen Dreibunde nicht günſtig war. 1) S. o. S. 174.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/256>, abgerufen am 22.11.2024.