Ich war sicher, daß der Kronprinz, auch wenn alle meine Collegen andrer Ansicht gewesen wären, die meinige annehmen werde, abgesehn von der Zustimmung, die ich unter den 20 oder mehr zugezogenen Generalen und Beamten, wenigstens bei den erstern fand. Wenn ich überhaupt Minister bleiben wollte, was ja eine Opportunitätsfrage geschäftlicher sowohl wie persönlicher Natur war, die ich bei eigner Prüfung mir bejahte, so befand ich mich im Stande der Nothwehr und mußte suchen, eine Aenderung der Situation im Parlament und in dem Personalbestande meiner Collegen herbeizuführen. Minister bleiben wollte ich, weil ich, wenn der schwer verwundete Kaiser am Leben bliebe, was bei dem starken Blutverlust in seinem hohen Alter noch unsicher, fest entschlossen war, ihn nicht gegen seinen Willen zu verlassen, und es als Gewissens¬ pflicht ansah, wenn er stürbe, seinem Nachfolger die Dienste, die ich ihm vermöge des Vertrauens und der Erfahrung, die ich mir erworben hatte, leisten konnte, nicht gegen seinen Willen zu ver¬ sagen. Nicht ich habe Händel mit den Nationalliberalen gesucht, sondern sie haben im Complot mit meinen Collegen mich an die Wand zu drängen versucht. Die geschmacklose und widerliche Redens¬ art von dem "an die Wand drücken, bis sie quietschten", hat niemals in meinem Denken, geschweige denn auf meiner Lippe Platz ge¬ funden -- eine der lügenhaften Erfindungen, mit denen man poli¬ tischen Gegnern Schaden zu thun sucht. Obenein war diese Redens¬ art nicht einmal eignes Product derer, welche sie verbreiteten, son¬ dern ein ungeschicktes Plagiat. Graf Beust erzählt in seinen Me¬ moiren ("Aus drei Viertel-Jahrhunderten" Thl. I S. 5):
"Die Slaven in Oesterreich haben mir das beiläufig nie von mir gesprochene Wort aufgebracht, ,man müsse sie an die Wand drücken'. Der Ursprung dieses Wortes war folgender: Der frühere Minister, spätere Statthalter von Galizien, Graf Goluchowski, pflegte sich mit mir in französischer Sprache zu unterhalten. Seinen Be¬ mühungen war es vorzugsweise zu danken, daß nach meiner Ueber¬ nahme des Ministerpräsidiums 1867 der galizische Landtag vor¬
Verbündete der Nationalliberalen im Miniſterium.
Ich war ſicher, daß der Kronprinz, auch wenn alle meine Collegen andrer Anſicht geweſen wären, die meinige annehmen werde, abgeſehn von der Zuſtimmung, die ich unter den 20 oder mehr zugezogenen Generalen und Beamten, wenigſtens bei den erſtern fand. Wenn ich überhaupt Miniſter bleiben wollte, was ja eine Opportunitätsfrage geſchäftlicher ſowohl wie perſönlicher Natur war, die ich bei eigner Prüfung mir bejahte, ſo befand ich mich im Stande der Nothwehr und mußte ſuchen, eine Aenderung der Situation im Parlament und in dem Perſonalbeſtande meiner Collegen herbeizuführen. Miniſter bleiben wollte ich, weil ich, wenn der ſchwer verwundete Kaiſer am Leben bliebe, was bei dem ſtarken Blutverluſt in ſeinem hohen Alter noch unſicher, feſt entſchloſſen war, ihn nicht gegen ſeinen Willen zu verlaſſen, und es als Gewiſſens¬ pflicht anſah, wenn er ſtürbe, ſeinem Nachfolger die Dienſte, die ich ihm vermöge des Vertrauens und der Erfahrung, die ich mir erworben hatte, leiſten konnte, nicht gegen ſeinen Willen zu ver¬ ſagen. Nicht ich habe Händel mit den Nationalliberalen geſucht, ſondern ſie haben im Complot mit meinen Collegen mich an die Wand zu drängen verſucht. Die geſchmackloſe und widerliche Redens¬ art von dem „an die Wand drücken, bis ſie quietſchten“, hat niemals in meinem Denken, geſchweige denn auf meiner Lippe Platz ge¬ funden — eine der lügenhaften Erfindungen, mit denen man poli¬ tiſchen Gegnern Schaden zu thun ſucht. Obenein war dieſe Redens¬ art nicht einmal eignes Product derer, welche ſie verbreiteten, ſon¬ dern ein ungeſchicktes Plagiat. Graf Beuſt erzählt in ſeinen Me¬ moiren („Aus drei Viertel-Jahrhunderten“ Thl. I S. 5):
„Die Slaven in Oeſterreich haben mir das beiläufig nie von mir geſprochene Wort aufgebracht, ‚man müſſe ſie an die Wand drücken‘. Der Urſprung dieſes Wortes war folgender: Der frühere Miniſter, ſpätere Statthalter von Galizien, Graf Goluchowſki, pflegte ſich mit mir in franzöſiſcher Sprache zu unterhalten. Seinen Be¬ mühungen war es vorzugsweiſe zu danken, daß nach meiner Ueber¬ nahme des Miniſterpräſidiums 1867 der galiziſche Landtag vor¬
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Verbündete der Nationalliberalen im Miniſterium.
Ich war ſicher, daß der Kronprinz, auch wenn alle meine
Collegen andrer Anſicht geweſen wären, die meinige annehmen
werde, abgeſehn von der Zuſtimmung, die ich unter den 20 oder
mehr zugezogenen Generalen und Beamten, wenigſtens bei den
erſtern fand. Wenn ich überhaupt Miniſter bleiben wollte, was
ja eine Opportunitätsfrage geſchäftlicher ſowohl wie perſönlicher
Natur war, die ich bei eigner Prüfung mir bejahte, ſo befand ich
mich im Stande der Nothwehr und mußte ſuchen, eine Aenderung
der Situation im Parlament und in dem Perſonalbeſtande meiner
Collegen herbeizuführen. Miniſter bleiben wollte ich, weil ich, wenn
der ſchwer verwundete Kaiſer am Leben bliebe, was bei dem ſtarken
Blutverluſt in ſeinem hohen Alter noch unſicher, feſt entſchloſſen
war, ihn nicht gegen ſeinen Willen zu verlaſſen, und es als Gewiſſens¬
pflicht anſah, wenn er ſtürbe, ſeinem Nachfolger die Dienſte, die
ich ihm vermöge des Vertrauens und der Erfahrung, die ich mir
erworben hatte, leiſten konnte, nicht gegen ſeinen Willen zu ver¬
ſagen. Nicht ich habe Händel mit den Nationalliberalen geſucht,
ſondern ſie haben im Complot mit meinen Collegen mich an die
Wand zu drängen verſucht. Die geſchmackloſe und widerliche Redens¬
art von dem „an die Wand drücken, bis ſie quietſchten“, hat niemals
in meinem Denken, geſchweige denn auf meiner Lippe Platz ge¬
funden — eine der lügenhaften Erfindungen, mit denen man poli¬
tiſchen Gegnern Schaden zu thun ſucht. Obenein war dieſe Redens¬
art nicht einmal eignes Product derer, welche ſie verbreiteten, ſon¬
dern ein ungeſchicktes Plagiat. Graf Beuſt erzählt in ſeinen Me¬
moiren („Aus drei Viertel-Jahrhunderten“ Thl. I S. 5):
„Die Slaven in Oeſterreich haben mir das beiläufig nie von
mir geſprochene Wort aufgebracht, ‚man müſſe ſie an die Wand
drücken‘. Der Urſprung dieſes Wortes war folgender: Der frühere
Miniſter, ſpätere Statthalter von Galizien, Graf Goluchowſki, pflegte
ſich mit mir in franzöſiſcher Sprache zu unterhalten. Seinen Be¬
mühungen war es vorzugsweiſe zu danken, daß nach meiner Ueber¬
nahme des Miniſterpräſidiums 1867 der galiziſche Landtag vor¬
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/211>, abgerufen am 23.07.2024.
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