Correspondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 statt, und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht.
Der Kaiser antwortete mir auf das Schreiben Roons, er sei über das Sachverhältniß getäuscht worden und wünsche, daß ich seinen vorhergehenden Brief als nicht geschrieben betrachte. Jede weitre Verhandlung mit Bennigsen verbot sich durch diesen Vor¬ gang von selbst, ich hielt es aber in unserm politischen Interesse nicht für zweckmäßig, Letztern von der Beurtheilung in Kenntniß zu setzen, die seine Person und Candidatur bei dem Kaiser ge¬ funden hatte. Ich ließ die für mich definitiv abgeschlossene Unter¬ handlung äußerlich in suspenso; als ich dann wieder in Berlin war, ergriff Bennigsen die Initiative, um die seiner Meinung nach noch schwebende Angelegenheit in freundschaftlicher Form zum negativen Abschluß zu bringen. Er fragte mich im Reichstagsgebäude, ob es wahr sei, daß ich das Tabakmonopol einzuführen strebe, und er¬ klärte auf meine bejahende Antwort, daß er dann die Mitwirkung als Minister ablehnen müsse. Ich verschwieg ihm auch dann noch, daß mir jede Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln, durch den Kaiser schon seit Neujahr abgeschnitten war. Vielleicht hatte er sich auf anderm Wege überzeugt, daß sein Plan einer grundsätzlichen Modi¬ fication der Regirungspolitik im Sinne der nationalliberalen An¬ schauungen bei dem Kaiser auf unüberwindliche Hindernisse stoßen würde, namentlich seit einer von Stauffenberg gehaltenen Rede über die Nothwendigkeit der Abschaffung des Art. 109 der preußi¬ schen Verfassung (Forterhebung der Steuern).
Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geschickt be¬ trieben hätten, so hätten sie längst wissen müssen, daß bei dem Kaiser, dessen Unterschrift sie zu ihrer Ernennung bedurften und begehrten, es keinen empfindlicheren politischen Punkt gab als diesen Artikel, und daß sie sich den hohen Herrn nicht sichrer entfremden konnten als durch den Versuch, ihm dieses Palladium zu entreißen. Als ich Sr. Majestät vertraulich den Verlauf meiner Verhandlungen mit Bennigsen erzählte und dessen Wunsch in Betreff Stauffenbergs
Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
Correſpondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 ſtatt, und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht.
Der Kaiſer antwortete mir auf das Schreiben Roons, er ſei über das Sachverhältniß getäuſcht worden und wünſche, daß ich ſeinen vorhergehenden Brief als nicht geſchrieben betrachte. Jede weitre Verhandlung mit Bennigſen verbot ſich durch dieſen Vor¬ gang von ſelbſt, ich hielt es aber in unſerm politiſchen Intereſſe nicht für zweckmäßig, Letztern von der Beurtheilung in Kenntniß zu ſetzen, die ſeine Perſon und Candidatur bei dem Kaiſer ge¬ funden hatte. Ich ließ die für mich definitiv abgeſchloſſene Unter¬ handlung äußerlich in suspenso; als ich dann wieder in Berlin war, ergriff Bennigſen die Initiative, um die ſeiner Meinung nach noch ſchwebende Angelegenheit in freundſchaftlicher Form zum negativen Abſchluß zu bringen. Er fragte mich im Reichstagsgebäude, ob es wahr ſei, daß ich das Tabakmonopol einzuführen ſtrebe, und er¬ klärte auf meine bejahende Antwort, daß er dann die Mitwirkung als Miniſter ablehnen müſſe. Ich verſchwieg ihm auch dann noch, daß mir jede Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln, durch den Kaiſer ſchon ſeit Neujahr abgeſchnitten war. Vielleicht hatte er ſich auf anderm Wege überzeugt, daß ſein Plan einer grundſätzlichen Modi¬ fication der Regirungspolitik im Sinne der nationalliberalen An¬ ſchauungen bei dem Kaiſer auf unüberwindliche Hinderniſſe ſtoßen würde, namentlich ſeit einer von Stauffenberg gehaltenen Rede über die Nothwendigkeit der Abſchaffung des Art. 109 der preußi¬ ſchen Verfaſſung (Forterhebung der Steuern).
Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geſchickt be¬ trieben hätten, ſo hätten ſie längſt wiſſen müſſen, daß bei dem Kaiſer, deſſen Unterſchrift ſie zu ihrer Ernennung bedurften und begehrten, es keinen empfindlicheren politiſchen Punkt gab als dieſen Artikel, und daß ſie ſich den hohen Herrn nicht ſichrer entfremden konnten als durch den Verſuch, ihm dieſes Palladium zu entreißen. Als ich Sr. Majeſtät vertraulich den Verlauf meiner Verhandlungen mit Bennigſen erzählte und deſſen Wunſch in Betreff Stauffenbergs
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Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
Correſpondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 ſtatt,
und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht.
Der Kaiſer antwortete mir auf das Schreiben Roons, er ſei
über das Sachverhältniß getäuſcht worden und wünſche, daß ich
ſeinen vorhergehenden Brief als nicht geſchrieben betrachte. Jede
weitre Verhandlung mit Bennigſen verbot ſich durch dieſen Vor¬
gang von ſelbſt, ich hielt es aber in unſerm politiſchen Intereſſe
nicht für zweckmäßig, Letztern von der Beurtheilung in Kenntniß
zu ſetzen, die ſeine Perſon und Candidatur bei dem Kaiſer ge¬
funden hatte. Ich ließ die für mich definitiv abgeſchloſſene Unter¬
handlung äußerlich in suspenso; als ich dann wieder in Berlin war,
ergriff Bennigſen die Initiative, um die ſeiner Meinung nach noch
ſchwebende Angelegenheit in freundſchaftlicher Form zum negativen
Abſchluß zu bringen. Er fragte mich im Reichstagsgebäude, ob es
wahr ſei, daß ich das Tabakmonopol einzuführen ſtrebe, und er¬
klärte auf meine bejahende Antwort, daß er dann die Mitwirkung
als Miniſter ablehnen müſſe. Ich verſchwieg ihm auch dann noch,
daß mir jede Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln, durch den Kaiſer
ſchon ſeit Neujahr abgeſchnitten war. Vielleicht hatte er ſich auf
anderm Wege überzeugt, daß ſein Plan einer grundſätzlichen Modi¬
fication der Regirungspolitik im Sinne der nationalliberalen An¬
ſchauungen bei dem Kaiſer auf unüberwindliche Hinderniſſe ſtoßen
würde, namentlich ſeit einer von Stauffenberg gehaltenen Rede
über die Nothwendigkeit der Abſchaffung des Art. 109 der preußi¬
ſchen Verfaſſung (Forterhebung der Steuern).
Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geſchickt be¬
trieben hätten, ſo hätten ſie längſt wiſſen müſſen, daß bei dem
Kaiſer, deſſen Unterſchrift ſie zu ihrer Ernennung bedurften und
begehrten, es keinen empfindlicheren politiſchen Punkt gab als dieſen
Artikel, und daß ſie ſich den hohen Herrn nicht ſichrer entfremden
konnten als durch den Verſuch, ihm dieſes Palladium zu entreißen.
Als ich Sr. Majeſtät vertraulich den Verlauf meiner Verhandlungen
mit Bennigſen erzählte und deſſen Wunſch in Betreff Stauffenbergs
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/208>, abgerufen am 16.02.2025.
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