Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen.
etwa die bezeichnete Richtung einhalten wollte, bald zwischen dem
Könige und seiner Fraction zu wählen haben. Er möge sich klar
machen, daß wenn es mir gelänge, seine Ernennung durchzusetzen,
damit ihm und seiner Partei eine mächtige Handhabe zur Ver¬
stärkung und Erweiterung ihres Einflusses geboten sei; er möge
sich das Beispiel Roons vergegenwärtigen, der als der einzige
Conservative in das liberale Auerswaldsche Ministerium trat und
der Krystallisationspunkt wurde, um den es sich in ein con¬
servatives verwandelte. Er möge nichts Unmögliches von mir ver¬
langen, ich kennte den König und die Grenzen meines Einflusses
genau genug; mir wären die Parteien ziemlich gleichgültig, sogar
ganz gleichgültig, wenn ich von den eingestandenen und nicht ein¬
gestandenen Republikanern absähe, die nach rechts mit der Fort¬
schrittspartei abschlössen. Mein Ziel sei die Befestigung unsrer
nationalen Sicherheit; zu ihrer innern Ausgestaltung werde die
Nation Zeit haben, wenn erst ihre Einheit und damit ihre Sicher¬
heit nach Außen consolidirt sein werde. Für die Erreichung des
letztern Zwecks sei gegenwärtig auf dem parlamentarischen Gebiete
die nationalliberale Partei das stärkste Element. Die conservative
Partei, der ich im Parlament angehört, habe die geographische
Ausdehnung, deren sie in der heutigen Bevölkerung fähig sei, er¬
reicht und trage nicht das Wachsthum in sich, um zu einer natio¬
nalen Majorität zu werden; ihr naturgeschichtliches Vorkommen,
ihr Standort sei beschränkt in unsern neuen Provinzen; im Westen
und Süden von Deutschland habe sie nicht dieselben Unterlagen
wie in Alt-Preußen; in Bennigsens Heimath, Hanover, namentlich
habe man nur zwischen Welfen und Nationalliberalen zu wählen,
und die letztern böten einstweilen die beste Unterlage von allen
denen, auf welchen das Reich Wurzel schlagen könne. Diese poli¬
tische Erwägung veranlasse mich, ihnen, als der gegenwärtig stärksten
Partei, entgegen zu kommen, indem ich ihren Führer zum Collegen
zu werben suchte, ob für die Finanzen oder das Innere, sei mir
gleichgültig. Ich sähe die Sache von dem rein politischen Stand¬

Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
etwa die bezeichnete Richtung einhalten wollte, bald zwiſchen dem
Könige und ſeiner Fraction zu wählen haben. Er möge ſich klar
machen, daß wenn es mir gelänge, ſeine Ernennung durchzuſetzen,
damit ihm und ſeiner Partei eine mächtige Handhabe zur Ver¬
ſtärkung und Erweiterung ihres Einfluſſes geboten ſei; er möge
ſich das Beiſpiel Roons vergegenwärtigen, der als der einzige
Conſervative in das liberale Auerswaldſche Miniſterium trat und
der Kryſtalliſationspunkt wurde, um den es ſich in ein con¬
ſervatives verwandelte. Er möge nichts Unmögliches von mir ver¬
langen, ich kennte den König und die Grenzen meines Einfluſſes
genau genug; mir wären die Parteien ziemlich gleichgültig, ſogar
ganz gleichgültig, wenn ich von den eingeſtandenen und nicht ein¬
geſtandenen Republikanern abſähe, die nach rechts mit der Fort¬
ſchrittspartei abſchlöſſen. Mein Ziel ſei die Befeſtigung unſrer
nationalen Sicherheit; zu ihrer innern Ausgeſtaltung werde die
Nation Zeit haben, wenn erſt ihre Einheit und damit ihre Sicher¬
heit nach Außen conſolidirt ſein werde. Für die Erreichung des
letztern Zwecks ſei gegenwärtig auf dem parlamentariſchen Gebiete
die nationalliberale Partei das ſtärkſte Element. Die conſervative
Partei, der ich im Parlament angehört, habe die geographiſche
Ausdehnung, deren ſie in der heutigen Bevölkerung fähig ſei, er¬
reicht und trage nicht das Wachsthum in ſich, um zu einer natio¬
nalen Majorität zu werden; ihr naturgeſchichtliches Vorkommen,
ihr Standort ſei beſchränkt in unſern neuen Provinzen; im Weſten
und Süden von Deutſchland habe ſie nicht dieſelben Unterlagen
wie in Alt-Preußen; in Bennigſens Heimath, Hanover, namentlich
habe man nur zwiſchen Welfen und Nationalliberalen zu wählen,
und die letztern böten einſtweilen die beſte Unterlage von allen
denen, auf welchen das Reich Wurzel ſchlagen könne. Dieſe poli¬
tiſche Erwägung veranlaſſe mich, ihnen, als der gegenwärtig ſtärkſten
Partei, entgegen zu kommen, indem ich ihren Führer zum Collegen
zu werben ſuchte, ob für die Finanzen oder das Innere, ſei mir
gleichgültig. Ich ſähe die Sache von dem rein politiſchen Stand¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0206" n="182"/><fw place="top" type="header">Sechsundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Intrigen.<lb/></fw>etwa die bezeichnete Richtung einhalten wollte, bald zwi&#x017F;chen dem<lb/>
Könige und &#x017F;einer Fraction zu wählen haben. Er möge &#x017F;ich klar<lb/>
machen, daß wenn es mir gelänge, &#x017F;eine Ernennung durchzu&#x017F;etzen,<lb/>
damit ihm und &#x017F;einer Partei eine mächtige Handhabe zur Ver¬<lb/>
&#x017F;tärkung und Erweiterung ihres Einflu&#x017F;&#x017F;es geboten &#x017F;ei; er möge<lb/>
&#x017F;ich das Bei&#x017F;piel Roons vergegenwärtigen, der als der einzige<lb/>
Con&#x017F;ervative in das liberale Auerswald&#x017F;che Mini&#x017F;terium trat und<lb/>
der Kry&#x017F;talli&#x017F;ationspunkt wurde, um den es &#x017F;ich in ein con¬<lb/>
&#x017F;ervatives verwandelte. Er möge nichts Unmögliches von mir ver¬<lb/>
langen, ich kennte den König und die Grenzen meines Einflu&#x017F;&#x017F;es<lb/>
genau genug; mir wären die Parteien ziemlich gleichgültig, &#x017F;ogar<lb/>
ganz gleichgültig, wenn ich von den einge&#x017F;tandenen und nicht ein¬<lb/>
ge&#x017F;tandenen Republikanern ab&#x017F;ähe, die nach rechts mit der Fort¬<lb/>
&#x017F;chrittspartei ab&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;en. Mein Ziel &#x017F;ei die Befe&#x017F;tigung un&#x017F;rer<lb/>
nationalen Sicherheit; zu ihrer innern Ausge&#x017F;taltung werde die<lb/>
Nation Zeit haben, wenn er&#x017F;t ihre Einheit und damit ihre Sicher¬<lb/>
heit nach Außen con&#x017F;olidirt &#x017F;ein werde. Für die Erreichung des<lb/>
letztern Zwecks &#x017F;ei gegenwärtig auf dem parlamentari&#x017F;chen Gebiete<lb/>
die nationalliberale Partei das &#x017F;tärk&#x017F;te Element. Die con&#x017F;ervative<lb/>
Partei, der ich im Parlament angehört, habe die geographi&#x017F;che<lb/>
Ausdehnung, deren &#x017F;ie in der heutigen Bevölkerung fähig &#x017F;ei, er¬<lb/>
reicht und trage nicht das Wachsthum in &#x017F;ich, um zu einer natio¬<lb/>
nalen Majorität zu werden; ihr naturge&#x017F;chichtliches Vorkommen,<lb/>
ihr Standort &#x017F;ei be&#x017F;chränkt in un&#x017F;ern neuen Provinzen; im We&#x017F;ten<lb/>
und Süden von Deut&#x017F;chland habe &#x017F;ie nicht die&#x017F;elben Unterlagen<lb/>
wie in Alt-Preußen; in Bennig&#x017F;ens Heimath, Hanover, namentlich<lb/>
habe man nur zwi&#x017F;chen Welfen und Nationalliberalen zu wählen,<lb/>
und die letztern böten ein&#x017F;tweilen die be&#x017F;te Unterlage von allen<lb/>
denen, auf welchen das Reich Wurzel &#x017F;chlagen könne. Die&#x017F;e poli¬<lb/>
ti&#x017F;che Erwägung veranla&#x017F;&#x017F;e mich, ihnen, als der gegenwärtig &#x017F;tärk&#x017F;ten<lb/>
Partei, entgegen zu kommen, indem ich ihren Führer zum Collegen<lb/>
zu werben &#x017F;uchte, ob für die Finanzen oder das Innere, &#x017F;ei mir<lb/>
gleichgültig. Ich &#x017F;ähe die Sache von dem rein politi&#x017F;chen Stand¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0206] Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. etwa die bezeichnete Richtung einhalten wollte, bald zwiſchen dem Könige und ſeiner Fraction zu wählen haben. Er möge ſich klar machen, daß wenn es mir gelänge, ſeine Ernennung durchzuſetzen, damit ihm und ſeiner Partei eine mächtige Handhabe zur Ver¬ ſtärkung und Erweiterung ihres Einfluſſes geboten ſei; er möge ſich das Beiſpiel Roons vergegenwärtigen, der als der einzige Conſervative in das liberale Auerswaldſche Miniſterium trat und der Kryſtalliſationspunkt wurde, um den es ſich in ein con¬ ſervatives verwandelte. Er möge nichts Unmögliches von mir ver¬ langen, ich kennte den König und die Grenzen meines Einfluſſes genau genug; mir wären die Parteien ziemlich gleichgültig, ſogar ganz gleichgültig, wenn ich von den eingeſtandenen und nicht ein¬ geſtandenen Republikanern abſähe, die nach rechts mit der Fort¬ ſchrittspartei abſchlöſſen. Mein Ziel ſei die Befeſtigung unſrer nationalen Sicherheit; zu ihrer innern Ausgeſtaltung werde die Nation Zeit haben, wenn erſt ihre Einheit und damit ihre Sicher¬ heit nach Außen conſolidirt ſein werde. Für die Erreichung des letztern Zwecks ſei gegenwärtig auf dem parlamentariſchen Gebiete die nationalliberale Partei das ſtärkſte Element. Die conſervative Partei, der ich im Parlament angehört, habe die geographiſche Ausdehnung, deren ſie in der heutigen Bevölkerung fähig ſei, er¬ reicht und trage nicht das Wachsthum in ſich, um zu einer natio¬ nalen Majorität zu werden; ihr naturgeſchichtliches Vorkommen, ihr Standort ſei beſchränkt in unſern neuen Provinzen; im Weſten und Süden von Deutſchland habe ſie nicht dieſelben Unterlagen wie in Alt-Preußen; in Bennigſens Heimath, Hanover, namentlich habe man nur zwiſchen Welfen und Nationalliberalen zu wählen, und die letztern böten einſtweilen die beſte Unterlage von allen denen, auf welchen das Reich Wurzel ſchlagen könne. Dieſe poli¬ tiſche Erwägung veranlaſſe mich, ihnen, als der gegenwärtig ſtärkſten Partei, entgegen zu kommen, indem ich ihren Führer zum Collegen zu werben ſuchte, ob für die Finanzen oder das Innere, ſei mir gleichgültig. Ich ſähe die Sache von dem rein politiſchen Stand¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/206
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/206>, abgerufen am 09.05.2024.