Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechsundzwanzigstes Kapitel: Intrigen.
gegenüber Bundesgenossen finden würden, ließ sich nicht sicher vor¬
aussehn; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands gestanden,
die östreichisch-französische Freundschaft durch seinen Zutritt zu
einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im siebenjährigen
Kriege, oder uns doch unter dem diplomatischen Drucke dieser Mög¬
lichkeit in Abhängigkeit zu erhalten.

Mit der Herstellung einer katholisirenden Monarchie in Frank¬
reich wäre die Versuchung, gemeinschaftlich mit Oestreich Revanche
zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb dem
Interesse Deutschlands und des Friedens widersprechend, die Restau¬
ration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in
Gegnerschaft zu den Vertretern dieser Idee. Dieser Gegensatz spitzte
sich persönlich zu gegenüber dem damaligen französischen Botschafter
Gontaut-Biron und unserm damaligen Botschafter in Paris, Grafen
Harry Arnim. Der Erstre war im Sinne der Partei thätig, der
er von Natur angehörte, der legitimistisch-katholischen; der Letztre
aber speculirte auf die legitimistischen Sympathien des Kaisers, um
meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden.
Gontaut, ein geschickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter
Familie, fand bei der Kaiserin Augusta Anknüpfungspunkte einer¬
seits in deren Vorliebe für katholische Elemente in und neben dem
Centrum, mit denen die Regirung im Kampfe stand, andrerseits
in seiner Eigenschaft als Franzose, die in den Jugenderinnerungen
der Kaiserin aus der Zeit ohne Eisenbahnen an deutschen Höfen
fast in gleichem Maße wie die Eigenschaft des Engländers zur Em¬
pfehlung diente1). Ihre Majestät hatte französisch sprechende Diener,
ihr französischer Vorleser Gerard*) fand Eingang in die Kaiserliche

1) S. Bd. I 121 f.
*) Derselbe, wahrscheinlich von Gontaut an Ihre Majestät empfohlen,
unterhielt einen lebhaften Briefwechsel mit Gambetta, der nach des Letztern
Tode in die Hände von Madame Adam gerieth und als hauptsächliches Material
für die Schrift La Societe de Berlin gedient hat. Nach Paris zurückgekehrt,
wurde Gerard eine Zeit lang Leiter der officiösen Presse, dann Legationssekretär
in Madrid, Geschäftsträger in Rom und 1890 Gesandter in Montenegro.

Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
gegenüber Bundesgenoſſen finden würden, ließ ſich nicht ſicher vor¬
ausſehn; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands geſtanden,
die öſtreichiſch-franzöſiſche Freundſchaft durch ſeinen Zutritt zu
einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im ſiebenjährigen
Kriege, oder uns doch unter dem diplomatiſchen Drucke dieſer Mög¬
lichkeit in Abhängigkeit zu erhalten.

Mit der Herſtellung einer katholiſirenden Monarchie in Frank¬
reich wäre die Verſuchung, gemeinſchaftlich mit Oeſtreich Revanche
zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb dem
Intereſſe Deutſchlands und des Friedens widerſprechend, die Reſtau¬
ration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in
Gegnerſchaft zu den Vertretern dieſer Idee. Dieſer Gegenſatz ſpitzte
ſich perſönlich zu gegenüber dem damaligen franzöſiſchen Botſchafter
Gontaut-Biron und unſerm damaligen Botſchafter in Paris, Grafen
Harry Arnim. Der Erſtre war im Sinne der Partei thätig, der
er von Natur angehörte, der legitimiſtiſch-katholiſchen; der Letztre
aber ſpeculirte auf die legitimiſtiſchen Sympathien des Kaiſers, um
meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden.
Gontaut, ein geſchickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter
Familie, fand bei der Kaiſerin Auguſta Anknüpfungspunkte einer¬
ſeits in deren Vorliebe für katholiſche Elemente in und neben dem
Centrum, mit denen die Regirung im Kampfe ſtand, andrerſeits
in ſeiner Eigenſchaft als Franzoſe, die in den Jugenderinnerungen
der Kaiſerin aus der Zeit ohne Eiſenbahnen an deutſchen Höfen
faſt in gleichem Maße wie die Eigenſchaft des Engländers zur Em¬
pfehlung diente1). Ihre Majeſtät hatte franzöſiſch ſprechende Diener,
ihr franzöſiſcher Vorleſer Gérard*) fand Eingang in die Kaiſerliche

1) S. Bd. I 121 f.
*) Derſelbe, wahrſcheinlich von Gontaut an Ihre Majeſtät empfohlen,
unterhielt einen lebhaften Briefwechſel mit Gambetta, der nach des Letztern
Tode in die Hände von Madame Adám gerieth und als hauptſächliches Material
für die Schrift La Société de Berlin gedient hat. Nach Paris zurückgekehrt,
wurde Gérard eine Zeit lang Leiter der officiöſen Preſſe, dann Legationsſekretär
in Madrid, Geſchäftsträger in Rom und 1890 Geſandter in Montenegro.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0194" n="170"/><fw place="top" type="header">Sechsundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Intrigen.<lb/></fw>gegenüber Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en finden würden, ließ &#x017F;ich nicht &#x017F;icher vor¬<lb/>
aus&#x017F;ehn; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands ge&#x017F;tanden,<lb/>
die ö&#x017F;treichi&#x017F;ch-franzö&#x017F;i&#x017F;che Freund&#x017F;chaft durch &#x017F;einen Zutritt zu<lb/>
einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im &#x017F;iebenjährigen<lb/>
Kriege, oder uns doch unter dem diplomati&#x017F;chen Drucke die&#x017F;er Mög¬<lb/>
lichkeit in Abhängigkeit zu erhalten.</p><lb/>
          <p>Mit der Her&#x017F;tellung einer katholi&#x017F;irenden Monarchie in Frank¬<lb/>
reich wäre die Ver&#x017F;uchung, gemein&#x017F;chaftlich mit Oe&#x017F;treich Revanche<lb/>
zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb dem<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e Deut&#x017F;chlands und des Friedens wider&#x017F;prechend, die Re&#x017F;tau¬<lb/>
ration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in<lb/>
Gegner&#x017F;chaft zu den Vertretern die&#x017F;er Idee. Die&#x017F;er Gegen&#x017F;atz &#x017F;pitzte<lb/>
&#x017F;ich per&#x017F;önlich zu gegenüber dem damaligen franzö&#x017F;i&#x017F;chen Bot&#x017F;chafter<lb/>
Gontaut-Biron und un&#x017F;erm damaligen Bot&#x017F;chafter in Paris, Grafen<lb/>
Harry Arnim. Der Er&#x017F;tre war im Sinne der Partei thätig, der<lb/>
er von Natur angehörte, der legitimi&#x017F;ti&#x017F;ch-katholi&#x017F;chen; der Letztre<lb/>
aber &#x017F;peculirte auf die legitimi&#x017F;ti&#x017F;chen Sympathien des Kai&#x017F;ers, um<lb/>
meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden.<lb/>
Gontaut, ein ge&#x017F;chickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter<lb/>
Familie, fand bei der Kai&#x017F;erin Augu&#x017F;ta Anknüpfungspunkte einer¬<lb/>
&#x017F;eits in deren Vorliebe für katholi&#x017F;che Elemente in und neben dem<lb/>
Centrum, mit denen die Regirung im Kampfe &#x017F;tand, andrer&#x017F;eits<lb/>
in &#x017F;einer Eigen&#x017F;chaft als Franzo&#x017F;e, die in den Jugenderinnerungen<lb/>
der Kai&#x017F;erin aus der Zeit ohne Ei&#x017F;enbahnen an deut&#x017F;chen Höfen<lb/>
fa&#x017F;t in gleichem Maße wie die Eigen&#x017F;chaft des Engländers zur Em¬<lb/>
pfehlung diente<note place="foot" n="1)">S. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi> 121 f.</note>. Ihre Maje&#x017F;tät hatte franzö&#x017F;i&#x017F;ch &#x017F;prechende Diener,<lb/>
ihr franzö&#x017F;i&#x017F;cher Vorle&#x017F;er G<hi rendition="#aq">é</hi>rard<note place="foot" n="*)">Der&#x017F;elbe, wahr&#x017F;cheinlich von Gontaut an Ihre Maje&#x017F;tät empfohlen,<lb/>
unterhielt einen lebhaften Briefwech&#x017F;el mit Gambetta, der nach des Letztern<lb/>
Tode in die Hände von Madame Ad<hi rendition="#aq">á</hi>m gerieth und als haupt&#x017F;ächliches Material<lb/>
für die Schrift <hi rendition="#aq">La Société de Berlin</hi> gedient hat. Nach Paris zurückgekehrt,<lb/>
wurde G<hi rendition="#aq">é</hi>rard eine Zeit lang Leiter der officiö&#x017F;en Pre&#x017F;&#x017F;e, dann Legations&#x017F;ekretär<lb/>
in Madrid, Ge&#x017F;chäftsträger in Rom und 1890 Ge&#x017F;andter in Montenegro.</note> fand Eingang in die Kai&#x017F;erliche<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0194] Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen. gegenüber Bundesgenoſſen finden würden, ließ ſich nicht ſicher vor¬ ausſehn; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands geſtanden, die öſtreichiſch-franzöſiſche Freundſchaft durch ſeinen Zutritt zu einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im ſiebenjährigen Kriege, oder uns doch unter dem diplomatiſchen Drucke dieſer Mög¬ lichkeit in Abhängigkeit zu erhalten. Mit der Herſtellung einer katholiſirenden Monarchie in Frank¬ reich wäre die Verſuchung, gemeinſchaftlich mit Oeſtreich Revanche zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb dem Intereſſe Deutſchlands und des Friedens widerſprechend, die Reſtau¬ ration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in Gegnerſchaft zu den Vertretern dieſer Idee. Dieſer Gegenſatz ſpitzte ſich perſönlich zu gegenüber dem damaligen franzöſiſchen Botſchafter Gontaut-Biron und unſerm damaligen Botſchafter in Paris, Grafen Harry Arnim. Der Erſtre war im Sinne der Partei thätig, der er von Natur angehörte, der legitimiſtiſch-katholiſchen; der Letztre aber ſpeculirte auf die legitimiſtiſchen Sympathien des Kaiſers, um meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden. Gontaut, ein geſchickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter Familie, fand bei der Kaiſerin Auguſta Anknüpfungspunkte einer¬ ſeits in deren Vorliebe für katholiſche Elemente in und neben dem Centrum, mit denen die Regirung im Kampfe ſtand, andrerſeits in ſeiner Eigenſchaft als Franzoſe, die in den Jugenderinnerungen der Kaiſerin aus der Zeit ohne Eiſenbahnen an deutſchen Höfen faſt in gleichem Maße wie die Eigenſchaft des Engländers zur Em¬ pfehlung diente 1). Ihre Majeſtät hatte franzöſiſch ſprechende Diener, ihr franzöſiſcher Vorleſer Gérard *) fand Eingang in die Kaiſerliche 1) S. Bd. I 121 f. *) Derſelbe, wahrſcheinlich von Gontaut an Ihre Majeſtät empfohlen, unterhielt einen lebhaften Briefwechſel mit Gambetta, der nach des Letztern Tode in die Hände von Madame Adám gerieth und als hauptſächliches Material für die Schrift La Société de Berlin gedient hat. Nach Paris zurückgekehrt, wurde Gérard eine Zeit lang Leiter der officiöſen Preſſe, dann Legationsſekretär in Madrid, Geſchäftsträger in Rom und 1890 Geſandter in Montenegro.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/194
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/194>, abgerufen am 09.05.2024.