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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Die Declaranten als Eideshelfer. Bruch mit Freunden.
war damals längst geschwächt, nicht durch die Arbeiten, welche mir
oblagen, aber durch das ununterbrochene Bewußtsein der Verant¬
wortlichkeit für große Ereignisse, bei denen die Zukunft des Vater¬
landes auf dem Spiele stand. Ich habe natürlich während der
bewegten und gelegentlich stürmischen Entwicklung unsrer Politik
nicht immer mit Sicherheit voraussehn können, ob der Weg,
den ich einschlug, der richtige war, und doch war ich gezwungen,
so zu handeln, als ob ich die kommenden Ereignisse und die Wir¬
kung der eignen Entschließungen auf dieselben mit voller Klarheit
voraussehe. Die Frage, ob das eigne Augenmaß, der politische
Instinct, ihn richtig leitet, ist ziemlich gleichgültig für einen Minister,
dem alle Zweifel gelöst sind, sobald er durch die königliche Unter¬
schrift oder durch eine parlamentarische Mehrheit sich gedeckt fühlt,
man könnte sagen, einen Minister katholischer Politik, der im Besitz
der Absolution ist, und den die mehr protestantische Frage, ob er
seine eigne Absolution hat, nicht kümmert. Für einen Minister
aber, der seine Ehre mit der des Landes vollständig identificirt, ist
die Ungewißheit des Erfolges einer jeden politischen Entschließung
von aufreibender Wirkung. Man kann die politische Gestaltung
in der Zeit, welche die Durchführung einer Maßregel bedarf, so
wenig mit Sicherheit vorhersehn, wie das Wetter der nächsten
Tage in unserm Klima, und muß doch seine Entschließung fassen,
als ob man es könnte, nicht selten im Kampfe gegen alle Einflüsse,
denen Gewicht beizulegen man gewöhnt ist, wie z. B. in Nikols¬
burg zur Zeit der Friedensverhandlungen, wo ich die einzige Person
war und blieb, die schließlich für das, was geschah, und für den
Erfolg verantwortlich gemacht wurde und nach unsern Institutionen
und Gewöhnungen auch verantwortlich war, und wo ich meine
Entschließung im Widerspruch nicht nur mit allen Militärs, also
mit allen Anwesenden, sondern auch mit dem Könige fassen und
in schwerem Kampfe aufrecht halten mußte. Die Erwägung der
Frage, ob eine Entschließung richtig sei, und ob das Festhalten und
Durchführen des auf Grund schwacher Prämissen für richtig Er¬

Die Declaranten als Eideshelfer. Bruch mit Freunden.
war damals längſt geſchwächt, nicht durch die Arbeiten, welche mir
oblagen, aber durch das ununterbrochene Bewußtſein der Verant¬
wortlichkeit für große Ereigniſſe, bei denen die Zukunft des Vater¬
landes auf dem Spiele ſtand. Ich habe natürlich während der
bewegten und gelegentlich ſtürmiſchen Entwicklung unſrer Politik
nicht immer mit Sicherheit vorausſehn können, ob der Weg,
den ich einſchlug, der richtige war, und doch war ich gezwungen,
ſo zu handeln, als ob ich die kommenden Ereigniſſe und die Wir¬
kung der eignen Entſchließungen auf dieſelben mit voller Klarheit
vorausſehe. Die Frage, ob das eigne Augenmaß, der politiſche
Inſtinct, ihn richtig leitet, iſt ziemlich gleichgültig für einen Miniſter,
dem alle Zweifel gelöſt ſind, ſobald er durch die königliche Unter¬
ſchrift oder durch eine parlamentariſche Mehrheit ſich gedeckt fühlt,
man könnte ſagen, einen Miniſter katholiſcher Politik, der im Beſitz
der Abſolution iſt, und den die mehr proteſtantiſche Frage, ob er
ſeine eigne Abſolution hat, nicht kümmert. Für einen Miniſter
aber, der ſeine Ehre mit der des Landes vollſtändig identificirt, iſt
die Ungewißheit des Erfolges einer jeden politiſchen Entſchließung
von aufreibender Wirkung. Man kann die politiſche Geſtaltung
in der Zeit, welche die Durchführung einer Maßregel bedarf, ſo
wenig mit Sicherheit vorherſehn, wie das Wetter der nächſten
Tage in unſerm Klima, und muß doch ſeine Entſchließung faſſen,
als ob man es könnte, nicht ſelten im Kampfe gegen alle Einflüſſe,
denen Gewicht beizulegen man gewöhnt iſt, wie z. B. in Nikols¬
burg zur Zeit der Friedensverhandlungen, wo ich die einzige Perſon
war und blieb, die ſchließlich für das, was geſchah, und für den
Erfolg verantwortlich gemacht wurde und nach unſern Inſtitutionen
und Gewöhnungen auch verantwortlich war, und wo ich meine
Entſchließung im Widerſpruch nicht nur mit allen Militärs, alſo
mit allen Anweſenden, ſondern auch mit dem Könige faſſen und
in ſchwerem Kampfe aufrecht halten mußte. Die Erwägung der
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[157/0181] Die Declaranten als Eideshelfer. Bruch mit Freunden. war damals längſt geſchwächt, nicht durch die Arbeiten, welche mir oblagen, aber durch das ununterbrochene Bewußtſein der Verant¬ wortlichkeit für große Ereigniſſe, bei denen die Zukunft des Vater¬ landes auf dem Spiele ſtand. Ich habe natürlich während der bewegten und gelegentlich ſtürmiſchen Entwicklung unſrer Politik nicht immer mit Sicherheit vorausſehn können, ob der Weg, den ich einſchlug, der richtige war, und doch war ich gezwungen, ſo zu handeln, als ob ich die kommenden Ereigniſſe und die Wir¬ kung der eignen Entſchließungen auf dieſelben mit voller Klarheit vorausſehe. Die Frage, ob das eigne Augenmaß, der politiſche Inſtinct, ihn richtig leitet, iſt ziemlich gleichgültig für einen Miniſter, dem alle Zweifel gelöſt ſind, ſobald er durch die königliche Unter¬ ſchrift oder durch eine parlamentariſche Mehrheit ſich gedeckt fühlt, man könnte ſagen, einen Miniſter katholiſcher Politik, der im Beſitz der Abſolution iſt, und den die mehr proteſtantiſche Frage, ob er ſeine eigne Abſolution hat, nicht kümmert. Für einen Miniſter aber, der ſeine Ehre mit der des Landes vollſtändig identificirt, iſt die Ungewißheit des Erfolges einer jeden politiſchen Entſchließung von aufreibender Wirkung. Man kann die politiſche Geſtaltung in der Zeit, welche die Durchführung einer Maßregel bedarf, ſo wenig mit Sicherheit vorherſehn, wie das Wetter der nächſten Tage in unſerm Klima, und muß doch ſeine Entſchließung faſſen, als ob man es könnte, nicht ſelten im Kampfe gegen alle Einflüſſe, denen Gewicht beizulegen man gewöhnt iſt, wie z. B. in Nikols¬ burg zur Zeit der Friedensverhandlungen, wo ich die einzige Perſon war und blieb, die ſchließlich für das, was geſchah, und für den Erfolg verantwortlich gemacht wurde und nach unſern Inſtitutionen und Gewöhnungen auch verantwortlich war, und wo ich meine Entſchließung im Widerſpruch nicht nur mit allen Militärs, alſo mit allen Anweſenden, ſondern auch mit dem Könige faſſen und in ſchwerem Kampfe aufrecht halten mußte. Die Erwägung der Frage, ob eine Entſchließung richtig ſei, und ob das Feſthalten und Durchführen des auf Grund ſchwacher Prämiſſen für richtig Er¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/181>, abgerufen am 09.05.2024.