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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bruch mit den Conservativen.
hatten, durch die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, daß Oestreich
unter Beust auf französische Kriegspläne eingehn werde, um 1866
ungeschehn zu machen, durch die Frage, welche Stellung Rußland,
Baiern, Sachsen zu solchen Conjuncturen nehmen würden, endlich
durch das Bestehn einer hanöverschen Legion. Diese Sorgen und
die Arbeit, zu denen sie nöthigten, erschöpften mich vollständig, und
dabei verlangten die Herrn, ich sollte jeden einzelnen Privatpolitiker
ihrer Fraction aufsuchen, bekehren. Ich that das sogar, so weit ich
konnte, aber meine Versuche wurden durch die Intrigen von Bodel¬
schwingh und die Leidenschaftlichkeit von Vincke, Diest, Kleist-Retzow
und andern verstimmten und eifersüchtigen Standes- und frühern
Fractions-Genossen vereitelt.

Wie Roon selbst über die ihm berichteten Zustände dachte, er¬
gibt sich aus seinem Briefe an mich vom 19. Februar 1868, aus
Bordighera, dessen einschlagende Stellen lauten*):

"Wie es nach den Zeitungen scheint, so haben Sie sich und
Andre wieder weidlich geärgert. Mich wundert das nicht, aber es
wurmt mich, daß Dissonanzen so ernster Art nicht vermieden werden
konnten, Dissonanzen, welche die Liberalen von Profession in einen
lauten Freudenrausch versetzen und die Conservativen von Metier
noch confuser zu machen scheinen, als sie es leider ohnehin schon
sind. Was sollen Sie nach Galignani1) nicht alles gesagt haben!
Man hat mir die bezüglichen stenographischen Berichte verheißen;
leider sind sie noch nicht in meinen Händen. Ohnehin bin ich in
der Hauptsache -- in der Ihres gedrohten Rücktritts -- vollkommen
ruhig, denn ich halte einen solchen, den Fall der physischen Un¬
möglichkeit ausgenommen, für absolut unmöglich. Beunruhigt aber
bin ich dennoch über die immer drohendere Zersetzung der conser¬
vativen Partei, welche, falls sie sich in der von den Liberalen ge¬
hofften Weise vollziehen sollte, von mir für eine sehr ernste und

*) Galignani's Messenger, ein in Paris erscheinendes englisches Blatt.
1) Bismarck-Jahrbuch VI 198 f.

Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen.
hatten, durch die Möglichkeit, ja Wahrſcheinlichkeit, daß Oeſtreich
unter Beuſt auf franzöſiſche Kriegspläne eingehn werde, um 1866
ungeſchehn zu machen, durch die Frage, welche Stellung Rußland,
Baiern, Sachſen zu ſolchen Conjuncturen nehmen würden, endlich
durch das Beſtehn einer hanöverſchen Legion. Dieſe Sorgen und
die Arbeit, zu denen ſie nöthigten, erſchöpften mich vollſtändig, und
dabei verlangten die Herrn, ich ſollte jeden einzelnen Privatpolitiker
ihrer Fraction aufſuchen, bekehren. Ich that das ſogar, ſo weit ich
konnte, aber meine Verſuche wurden durch die Intrigen von Bodel¬
ſchwingh und die Leidenſchaftlichkeit von Vincke, Dieſt, Kleiſt-Retzow
und andern verſtimmten und eiferſüchtigen Standes- und frühern
Fractions-Genoſſen vereitelt.

Wie Roon ſelbſt über die ihm berichteten Zuſtände dachte, er¬
gibt ſich aus ſeinem Briefe an mich vom 19. Februar 1868, aus
Bordighera, deſſen einſchlagende Stellen lauten*):

„Wie es nach den Zeitungen ſcheint, ſo haben Sie ſich und
Andre wieder weidlich geärgert. Mich wundert das nicht, aber es
wurmt mich, daß Diſſonanzen ſo ernſter Art nicht vermieden werden
konnten, Diſſonanzen, welche die Liberalen von Profeſſion in einen
lauten Freudenrauſch verſetzen und die Conſervativen von Metier
noch confuſer zu machen ſcheinen, als ſie es leider ohnehin ſchon
ſind. Was ſollen Sie nach Galignani1) nicht alles geſagt haben!
Man hat mir die bezüglichen ſtenographiſchen Berichte verheißen;
leider ſind ſie noch nicht in meinen Händen. Ohnehin bin ich in
der Hauptſache — in der Ihres gedrohten Rücktritts — vollkommen
ruhig, denn ich halte einen ſolchen, den Fall der phyſiſchen Un¬
möglichkeit ausgenommen, für abſolut unmöglich. Beunruhigt aber
bin ich dennoch über die immer drohendere Zerſetzung der conſer¬
vativen Partei, welche, falls ſie ſich in der von den Liberalen ge¬
hofften Weiſe vollziehen ſollte, von mir für eine ſehr ernſte und

*) Galignani's Messenger, ein in Paris erſcheinendes engliſches Blatt.
1) Bismarck-Jahrbuch VI 198 f.
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[144/0168] Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen. hatten, durch die Möglichkeit, ja Wahrſcheinlichkeit, daß Oeſtreich unter Beuſt auf franzöſiſche Kriegspläne eingehn werde, um 1866 ungeſchehn zu machen, durch die Frage, welche Stellung Rußland, Baiern, Sachſen zu ſolchen Conjuncturen nehmen würden, endlich durch das Beſtehn einer hanöverſchen Legion. Dieſe Sorgen und die Arbeit, zu denen ſie nöthigten, erſchöpften mich vollſtändig, und dabei verlangten die Herrn, ich ſollte jeden einzelnen Privatpolitiker ihrer Fraction aufſuchen, bekehren. Ich that das ſogar, ſo weit ich konnte, aber meine Verſuche wurden durch die Intrigen von Bodel¬ ſchwingh und die Leidenſchaftlichkeit von Vincke, Dieſt, Kleiſt-Retzow und andern verſtimmten und eiferſüchtigen Standes- und frühern Fractions-Genoſſen vereitelt. Wie Roon ſelbſt über die ihm berichteten Zuſtände dachte, er¬ gibt ſich aus ſeinem Briefe an mich vom 19. Februar 1868, aus Bordighera, deſſen einſchlagende Stellen lauten *): „Wie es nach den Zeitungen ſcheint, ſo haben Sie ſich und Andre wieder weidlich geärgert. Mich wundert das nicht, aber es wurmt mich, daß Diſſonanzen ſo ernſter Art nicht vermieden werden konnten, Diſſonanzen, welche die Liberalen von Profeſſion in einen lauten Freudenrauſch verſetzen und die Conſervativen von Metier noch confuſer zu machen ſcheinen, als ſie es leider ohnehin ſchon ſind. Was ſollen Sie nach Galignani 1) nicht alles geſagt haben! Man hat mir die bezüglichen ſtenographiſchen Berichte verheißen; leider ſind ſie noch nicht in meinen Händen. Ohnehin bin ich in der Hauptſache — in der Ihres gedrohten Rücktritts — vollkommen ruhig, denn ich halte einen ſolchen, den Fall der phyſiſchen Un¬ möglichkeit ausgenommen, für abſolut unmöglich. Beunruhigt aber bin ich dennoch über die immer drohendere Zerſetzung der conſer¬ vativen Partei, welche, falls ſie ſich in der von den Liberalen ge¬ hofften Weiſe vollziehen ſollte, von mir für eine ſehr ernſte und *) Galignani's Messenger, ein in Paris erſcheinendes engliſches Blatt. 1) Bismarck-Jahrbuch VI 198 f.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/168>, abgerufen am 23.11.2024.