Der Friede ein Provisorium. Die Dose mit Brillanten.
V.
In die Hitze des Culturkampfes fiel ein Besuch des Königs Victor Emanuel in Berlin, (22.-26.) September 1873. Ich hatte durch Herrn von Keudell erfahren, daß der König eine Dose mit Brillanten, deren Werth auf 50-60000 Franken, ungefähr auf das sechs- bis achtfache des bei solchen Gelegenheiten üblichen, angegeben wurde, hatte anfertigen und dem Grafen Launay zur Ueberreichung an mich zustellen lassen. Gleichzeitig kam es zu meiner Kenntniß, daß Launay die Dose mit Angabe des Werthes seinem Hausnachbarn, dem bairischen Gesandten Baron Pergler von Perglas, gezeigt hatte, der unsern Gegnern in dem Culturkampfe persönlich nahe stand. Der hohe Werth des mir zugedachten Geschenkes konnte also An¬ laß geben, es in Verbindung zu bringen mit der Anlehnung, die der König von Italien bei dem Deutschen Reiche damals erstrebte und erlangte. Als ich dem Kaiser meine Bedenken gegen die Annahme des Geschenkes vortrug, hatte er zunächst den Ein¬ druck, als ob ich es überhaupt unter meiner Würde fände, eine Portraitdose anzunehmen, und sah darin eine Verschiebung der Tra¬ ditionen, an die er gewöhnt war. Ich sagte: "Gegenüber einem solchen Geschenke von durchschnittlichem Werthe würde ich auf den Gedanken der Ablehnung nicht gekommen sein. In diesem Falle aber hätte nicht das fürstliche Bildniß, sondern hätten die verkäuf¬ lichen Diamanten das für die Beurtheilung des Vorgangs ent¬ scheidende Gewicht; mit Rücksicht auf die Lage des Culturkampfes müßte ich Anknüpfungspunkte für Verdächtigungen vermeiden, nach¬ dem der den Umständen nach übertriebene Werth der Dose durch die nachbarlichen Beziehungen von Perglas constatirt und in der Gesellschaft hervorgehoben worden sei." Der Kaiser wurde schlie߬ lich meiner Auseinandersetzung zugänglich und schloß den Vortrag mit den Worten: "Sie haben Recht, nehmen Sie die Dose nicht
Der Friede ein Proviſorium. Die Doſe mit Brillanten.
V.
In die Hitze des Culturkampfes fiel ein Beſuch des Königs Victor Emanuel in Berlin, (22.–26.) September 1873. Ich hatte durch Herrn von Keudell erfahren, daß der König eine Doſe mit Brillanten, deren Werth auf 50–60000 Franken, ungefähr auf das ſechs- bis achtfache des bei ſolchen Gelegenheiten üblichen, angegeben wurde, hatte anfertigen und dem Grafen Launay zur Ueberreichung an mich zuſtellen laſſen. Gleichzeitig kam es zu meiner Kenntniß, daß Launay die Doſe mit Angabe des Werthes ſeinem Hausnachbarn, dem bairiſchen Geſandten Baron Pergler von Perglas, gezeigt hatte, der unſern Gegnern in dem Culturkampfe perſönlich nahe ſtand. Der hohe Werth des mir zugedachten Geſchenkes konnte alſo An¬ laß geben, es in Verbindung zu bringen mit der Anlehnung, die der König von Italien bei dem Deutſchen Reiche damals erſtrebte und erlangte. Als ich dem Kaiſer meine Bedenken gegen die Annahme des Geſchenkes vortrug, hatte er zunächſt den Ein¬ druck, als ob ich es überhaupt unter meiner Würde fände, eine Portraitdoſe anzunehmen, und ſah darin eine Verſchiebung der Tra¬ ditionen, an die er gewöhnt war. Ich ſagte: „Gegenüber einem ſolchen Geſchenke von durchſchnittlichem Werthe würde ich auf den Gedanken der Ablehnung nicht gekommen ſein. In dieſem Falle aber hätte nicht das fürſtliche Bildniß, ſondern hätten die verkäuf¬ lichen Diamanten das für die Beurtheilung des Vorgangs ent¬ ſcheidende Gewicht; mit Rückſicht auf die Lage des Culturkampfes müßte ich Anknüpfungspunkte für Verdächtigungen vermeiden, nach¬ dem der den Umſtänden nach übertriebene Werth der Doſe durch die nachbarlichen Beziehungen von Perglas conſtatirt und in der Geſellſchaft hervorgehoben worden ſei.“ Der Kaiſer wurde ſchlie߬ lich meiner Auseinanderſetzung zugänglich und ſchloß den Vortrag mit den Worten: „Sie haben Recht, nehmen Sie die Doſe nicht
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Der Friede ein Proviſorium. Die Doſe mit Brillanten.
V.
In die Hitze des Culturkampfes fiel ein Beſuch des Königs
Victor Emanuel in Berlin, (22.–26.) September 1873. Ich hatte
durch Herrn von Keudell erfahren, daß der König eine Doſe mit
Brillanten, deren Werth auf 50–60000 Franken, ungefähr auf das
ſechs- bis achtfache des bei ſolchen Gelegenheiten üblichen, angegeben
wurde, hatte anfertigen und dem Grafen Launay zur Ueberreichung
an mich zuſtellen laſſen. Gleichzeitig kam es zu meiner Kenntniß, daß
Launay die Doſe mit Angabe des Werthes ſeinem Hausnachbarn,
dem bairiſchen Geſandten Baron Pergler von Perglas, gezeigt hatte,
der unſern Gegnern in dem Culturkampfe perſönlich nahe ſtand.
Der hohe Werth des mir zugedachten Geſchenkes konnte alſo An¬
laß geben, es in Verbindung zu bringen mit der Anlehnung, die
der König von Italien bei dem Deutſchen Reiche damals erſtrebte
und erlangte. Als ich dem Kaiſer meine Bedenken gegen die
Annahme des Geſchenkes vortrug, hatte er zunächſt den Ein¬
druck, als ob ich es überhaupt unter meiner Würde fände, eine
Portraitdoſe anzunehmen, und ſah darin eine Verſchiebung der Tra¬
ditionen, an die er gewöhnt war. Ich ſagte: „Gegenüber einem
ſolchen Geſchenke von durchſchnittlichem Werthe würde ich auf den
Gedanken der Ablehnung nicht gekommen ſein. In dieſem Falle
aber hätte nicht das fürſtliche Bildniß, ſondern hätten die verkäuf¬
lichen Diamanten das für die Beurtheilung des Vorgangs ent¬
ſcheidende Gewicht; mit Rückſicht auf die Lage des Culturkampfes
müßte ich Anknüpfungspunkte für Verdächtigungen vermeiden, nach¬
dem der den Umſtänden nach übertriebene Werth der Doſe durch
die nachbarlichen Beziehungen von Perglas conſtatirt und in der
Geſellſchaft hervorgehoben worden ſei.“ Der Kaiſer wurde ſchlie߬
lich meiner Auseinanderſetzung zugänglich und ſchloß den Vortrag
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/161>, abgerufen am 23.11.2024.
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