leichter geneigt, dem Minister, als seinem Herrn Sohne Concessionen zu machen, in gewissenhafter Erinnerung an Verfassungseid und Ministerverantwortlichkeit. Meinungsverschiedenheiten mit dem Kron¬ prinzen faßte er von dem Standpunkte des pater familias auf.
In der Schlußberathung am 17. Januar 1871 lehnte er die Bezeichnung Deutscher Kaiser ab und erklärte, er wolle Kaiser von Deutschland oder garnicht Kaiser sein. Ich hob hervor, wie die adjectivische Form Deutscher Kaiser und die genitivische Kaiser von Deutschland sprachlich und zeitlich verschieden seien. Man hätte Römischer Kaiser, nicht Kaiser von Rom gesagt; der Zar nenne sich nicht Kaiser von Rußland, sondern Russischer, auch "gesammt¬ russischer" (wserossiski) Kaiser. Das Letztre bestritt der König mit Schärfe, sich darauf berufend, daß die Rapporte seines russischen Regiments Kaluga stets "pruskomu" adressirt seien, was er irr¬ thümlich übersetzte. Meiner Versicherung, daß die Form der Dativ des Adjectivums sei, schenkte er keinen Glauben und hat sich erst nachher von seiner gewohnten Autorität für russische Sprache, dem Hofrath Schneider, überzeugen lassen. Ich machte ferner geltend, daß unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. auf den Thalern Borussorum, nicht Borussiae rex erscheine, daß der Titel Kaiser von Deutschland einen landesherrlichen Anspruch auf die nichtpreußischen Gebiete involvire, den die Fürsten zu bewilligen nicht gemeint wären; daß in dem Schreiben des Königs von Baiern in Anregung gebracht sei, daß "die Ausübung der Präsidialrechte mit Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde"; endlich daß derselbe Titel auf Vorschlag des Bundesrathes in die neue Fassung des Artikel 11 der Verfassung aufgenommen sei.
Die Erörterung ging über auf den Rang zwischen Kaisern und Königen, zwischen Erzherzogen, Großfürsten und preußischen Prinzen. Meine Darlegung, daß den Kaisern im Prinzip ein Vorrang vor Königen nicht eingeräumt werde, fand keinen Glauben, obwohl ich mich darauf berufen konnte, daß Friedrich Wilhelm I. bei einer Zusammenkunft mit Karl VI., der doch dem Kurfürsten
Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles.
leichter geneigt, dem Miniſter, als ſeinem Herrn Sohne Conceſſionen zu machen, in gewiſſenhafter Erinnerung an Verfaſſungseid und Miniſterverantwortlichkeit. Meinungsverſchiedenheiten mit dem Kron¬ prinzen faßte er von dem Standpunkte des pater familias auf.
In der Schlußberathung am 17. Januar 1871 lehnte er die Bezeichnung Deutſcher Kaiſer ab und erklärte, er wolle Kaiſer von Deutſchland oder garnicht Kaiſer ſein. Ich hob hervor, wie die adjectiviſche Form Deutſcher Kaiſer und die genitiviſche Kaiſer von Deutſchland ſprachlich und zeitlich verſchieden ſeien. Man hätte Römiſcher Kaiſer, nicht Kaiſer von Rom geſagt; der Zar nenne ſich nicht Kaiſer von Rußland, ſondern Ruſſiſcher, auch „geſammt¬ ruſſiſcher“ (wserossiski) Kaiſer. Das Letztre beſtritt der König mit Schärfe, ſich darauf berufend, daß die Rapporte ſeines ruſſiſchen Regiments Kaluga ſtets „pruskomu“ adreſſirt ſeien, was er irr¬ thümlich überſetzte. Meiner Verſicherung, daß die Form der Dativ des Adjectivums ſei, ſchenkte er keinen Glauben und hat ſich erſt nachher von ſeiner gewohnten Autorität für ruſſiſche Sprache, dem Hofrath Schneider, überzeugen laſſen. Ich machte ferner geltend, daß unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. auf den Thalern Borussorum, nicht Borussiae rex erſcheine, daß der Titel Kaiſer von Deutſchland einen landesherrlichen Anſpruch auf die nichtpreußiſchen Gebiete involvire, den die Fürſten zu bewilligen nicht gemeint wären; daß in dem Schreiben des Königs von Baiern in Anregung gebracht ſei, daß „die Ausübung der Präſidialrechte mit Führung des Titels eines Deutſchen Kaiſers verbunden werde“; endlich daß derſelbe Titel auf Vorſchlag des Bundesrathes in die neue Faſſung des Artikel 11 der Verfaſſung aufgenommen ſei.
Die Erörterung ging über auf den Rang zwiſchen Kaiſern und Königen, zwiſchen Erzherzogen, Großfürſten und preußiſchen Prinzen. Meine Darlegung, daß den Kaiſern im Prinzip ein Vorrang vor Königen nicht eingeräumt werde, fand keinen Glauben, obwohl ich mich darauf berufen konnte, daß Friedrich Wilhelm I. bei einer Zuſammenkunft mit Karl VI., der doch dem Kurfürſten
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Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles.
leichter geneigt, dem Miniſter, als ſeinem Herrn Sohne Conceſſionen
zu machen, in gewiſſenhafter Erinnerung an Verfaſſungseid und
Miniſterverantwortlichkeit. Meinungsverſchiedenheiten mit dem Kron¬
prinzen faßte er von dem Standpunkte des pater familias auf.
In der Schlußberathung am 17. Januar 1871 lehnte er die
Bezeichnung Deutſcher Kaiſer ab und erklärte, er wolle Kaiſer von
Deutſchland oder garnicht Kaiſer ſein. Ich hob hervor, wie die
adjectiviſche Form Deutſcher Kaiſer und die genitiviſche Kaiſer von
Deutſchland ſprachlich und zeitlich verſchieden ſeien. Man hätte
Römiſcher Kaiſer, nicht Kaiſer von Rom geſagt; der Zar nenne
ſich nicht Kaiſer von Rußland, ſondern Ruſſiſcher, auch „geſammt¬
ruſſiſcher“ (wserossiski) Kaiſer. Das Letztre beſtritt der König mit
Schärfe, ſich darauf berufend, daß die Rapporte ſeines ruſſiſchen
Regiments Kaluga ſtets „pruskomu“ adreſſirt ſeien, was er irr¬
thümlich überſetzte. Meiner Verſicherung, daß die Form der Dativ
des Adjectivums ſei, ſchenkte er keinen Glauben und hat ſich erſt
nachher von ſeiner gewohnten Autorität für ruſſiſche Sprache, dem
Hofrath Schneider, überzeugen laſſen. Ich machte ferner geltend,
daß unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. auf
den Thalern Borussorum, nicht Borussiae rex erſcheine, daß der
Titel Kaiſer von Deutſchland einen landesherrlichen Anſpruch auf
die nichtpreußiſchen Gebiete involvire, den die Fürſten zu bewilligen
nicht gemeint wären; daß in dem Schreiben des Königs von Baiern
in Anregung gebracht ſei, daß „die Ausübung der Präſidialrechte
mit Führung des Titels eines Deutſchen Kaiſers verbunden werde“;
endlich daß derſelbe Titel auf Vorſchlag des Bundesrathes in die
neue Faſſung des Artikel 11 der Verfaſſung aufgenommen ſei.
Die Erörterung ging über auf den Rang zwiſchen Kaiſern
und Königen, zwiſchen Erzherzogen, Großfürſten und preußiſchen
Prinzen. Meine Darlegung, daß den Kaiſern im Prinzip ein
Vorrang vor Königen nicht eingeräumt werde, fand keinen Glauben,
obwohl ich mich darauf berufen konnte, daß Friedrich Wilhelm I.
bei einer Zuſammenkunft mit Karl VI., der doch dem Kurfürſten
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/144>, abgerufen am 16.07.2024.
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