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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles.
die Festung Paris gegen ernste Belagerung gedeckt wurde, zur
Unterlage seiner Initiative nahm. Gelang im Laufe der Monate
und Angesichts der schwankenden Aussichten vor Paris in der Zeit,
welche die Signatur trug: "Vor Paris nichts Neues", gelang es
damals den feindlichen Elementen und den mißgünstigen, unehr¬
lichen Freunden, die uns an keinem Hofe fehlten, eine Verständi¬
gung zwischen den übrigen Mächten oder auch nur zwischen zweien
von ihnen herbeizuführen, um eine Warnung, eine scheinbar von
der Menschenliebe eingegebene Frage an uns zu richten, so konnte
niemand wissen, wie schnell sich ein solcher erster Ansatz zu einer
gemeinsamen, zunächst diplomatischen Haltung der Neutralen ent¬
wickeln würde. Nationalliberale Parlamentarier haben einander
im August 1870 geschrieben, "daß jede fremde Friedensvermittlung
unbedingt abzuweisen sei", haben mich aber nicht wissen lassen,
wie dem vorzubeugen sei, wenn nicht durch schnelle Einnahme von
Paris.

Graf Beust hat selbst es sich angelegen sein lassen, nach¬
zuweisen, wie "redlich, wenn auch erfolglos" er sich bemüht habe,
eine "collective Mediation der Neutralen" zu Stande zu bringen*).
Er erinnert daran, daß er schon unter dem 28. September nach
London und unter dem 12. October nach Petersburg an die öst¬
reichischen Botschafter die Weisung gegeben hat, die Auffassung zu
vertreten, ein collectiver Schritt allein werde Aussicht auf Erfolg
haben; daß er zwei Monate später dem Fürsten Gortschakow sagen
ließ: "Le moment d'intervenir est peut-etre venu." Er repro¬
ducirt eine am 13. October, in der für uns kritischen Zeit 14 Tage
vor der Capitulation von Metz, von ihm an den Grafen Wimpffen
in Berlin gerichtete und von diesem dort verlesene Depesche**).

*) Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Stuttgart 1887. Theil II S. 361,
395 ff.
**) Es ist auffallend, daß Graf Wimpffen diese Instruction verlesen
hat; sie weist ihn nur an, sich in einem bezeichneten Falle im Sinne derselben
auszusprechen.

Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles.
die Feſtung Paris gegen ernſte Belagerung gedeckt wurde, zur
Unterlage ſeiner Initiative nahm. Gelang im Laufe der Monate
und Angeſichts der ſchwankenden Ausſichten vor Paris in der Zeit,
welche die Signatur trug: „Vor Paris nichts Neues“, gelang es
damals den feindlichen Elementen und den mißgünſtigen, unehr¬
lichen Freunden, die uns an keinem Hofe fehlten, eine Verſtändi¬
gung zwiſchen den übrigen Mächten oder auch nur zwiſchen zweien
von ihnen herbeizuführen, um eine Warnung, eine ſcheinbar von
der Menſchenliebe eingegebene Frage an uns zu richten, ſo konnte
niemand wiſſen, wie ſchnell ſich ein ſolcher erſter Anſatz zu einer
gemeinſamen, zunächſt diplomatiſchen Haltung der Neutralen ent¬
wickeln würde. Nationalliberale Parlamentarier haben einander
im Auguſt 1870 geſchrieben, „daß jede fremde Friedensvermittlung
unbedingt abzuweiſen ſei“, haben mich aber nicht wiſſen laſſen,
wie dem vorzubeugen ſei, wenn nicht durch ſchnelle Einnahme von
Paris.

Graf Beuſt hat ſelbſt es ſich angelegen ſein laſſen, nach¬
zuweiſen, wie „redlich, wenn auch erfolglos“ er ſich bemüht habe,
eine „collective Mediation der Neutralen“ zu Stande zu bringen*).
Er erinnert daran, daß er ſchon unter dem 28. September nach
London und unter dem 12. October nach Petersburg an die öſt¬
reichiſchen Botſchafter die Weiſung gegeben hat, die Auffaſſung zu
vertreten, ein collectiver Schritt allein werde Ausſicht auf Erfolg
haben; daß er zwei Monate ſpäter dem Fürſten Gortſchakow ſagen
ließ: „Le moment d'intervenir est peut-être venu.“ Er repro¬
ducirt eine am 13. October, in der für uns kritiſchen Zeit 14 Tage
vor der Capitulation von Metz, von ihm an den Grafen Wimpffen
in Berlin gerichtete und von dieſem dort verleſene Depeſche**).

*) Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Stuttgart 1887. Theil II S. 361,
395 ff.
**) Es iſt auffallend, daß Graf Wimpffen dieſe Inſtruction verleſen
hat; ſie weiſt ihn nur an, ſich in einem bezeichneten Falle im Sinne derſelben
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[100/0124] Dreiundzwanzigſtes Kapitel: Verſailles. die Feſtung Paris gegen ernſte Belagerung gedeckt wurde, zur Unterlage ſeiner Initiative nahm. Gelang im Laufe der Monate und Angeſichts der ſchwankenden Ausſichten vor Paris in der Zeit, welche die Signatur trug: „Vor Paris nichts Neues“, gelang es damals den feindlichen Elementen und den mißgünſtigen, unehr¬ lichen Freunden, die uns an keinem Hofe fehlten, eine Verſtändi¬ gung zwiſchen den übrigen Mächten oder auch nur zwiſchen zweien von ihnen herbeizuführen, um eine Warnung, eine ſcheinbar von der Menſchenliebe eingegebene Frage an uns zu richten, ſo konnte niemand wiſſen, wie ſchnell ſich ein ſolcher erſter Anſatz zu einer gemeinſamen, zunächſt diplomatiſchen Haltung der Neutralen ent¬ wickeln würde. Nationalliberale Parlamentarier haben einander im Auguſt 1870 geſchrieben, „daß jede fremde Friedensvermittlung unbedingt abzuweiſen ſei“, haben mich aber nicht wiſſen laſſen, wie dem vorzubeugen ſei, wenn nicht durch ſchnelle Einnahme von Paris. Graf Beuſt hat ſelbſt es ſich angelegen ſein laſſen, nach¬ zuweiſen, wie „redlich, wenn auch erfolglos“ er ſich bemüht habe, eine „collective Mediation der Neutralen“ zu Stande zu bringen *). Er erinnert daran, daß er ſchon unter dem 28. September nach London und unter dem 12. October nach Petersburg an die öſt¬ reichiſchen Botſchafter die Weiſung gegeben hat, die Auffaſſung zu vertreten, ein collectiver Schritt allein werde Ausſicht auf Erfolg haben; daß er zwei Monate ſpäter dem Fürſten Gortſchakow ſagen ließ: „Le moment d'intervenir est peut-être venu.“ Er repro¬ ducirt eine am 13. October, in der für uns kritiſchen Zeit 14 Tage vor der Capitulation von Metz, von ihm an den Grafen Wimpffen in Berlin gerichtete und von dieſem dort verleſene Depeſche **). *) Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Stuttgart 1887. Theil II S. 361, 395 ff. **) Es iſt auffallend, daß Graf Wimpffen dieſe Inſtruction verleſen hat; ſie weiſt ihn nur an, ſich in einem bezeichneten Falle im Sinne derſelben auszuſprechen.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/124>, abgerufen am 27.11.2024.