Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Emser Depesche. trinken wiedergefunden und sprachen in heiterer Laune. Roonsagte: "Der alte Gott lebt noch und wird uns nicht in Schande verkommen lassen." Moltke trat so weit aus seiner gleichmüthigen Passivität heraus, daß er sich, mit freudigem Blick gegen die Zimmer¬ decke und mit Verzicht auf seine sonstige Gemessenheit in Worten, mit der Hand vor die Brust schlug und sagte: "Wenn ich das noch erlebe, in solchem Kriege unsre Heere zu führen, so mag gleich nachher ,die alte Carcasse' der Teufel holen." Er war damals hinfälliger als später und hatte Zweifel, ob er die Strapazen des Feldzugs überleben werde. Wie lebhaft sein Bedürfniß war, seine militärisch-strategische Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche. trinken wiedergefunden und ſprachen in heiterer Laune. Roonſagte: „Der alte Gott lebt noch und wird uns nicht in Schande verkommen laſſen.“ Moltke trat ſo weit aus ſeiner gleichmüthigen Paſſivität heraus, daß er ſich, mit freudigem Blick gegen die Zimmer¬ decke und mit Verzicht auf ſeine ſonſtige Gemeſſenheit in Worten, mit der Hand vor die Bruſt ſchlug und ſagte: „Wenn ich das noch erlebe, in ſolchem Kriege unſre Heere zu führen, ſo mag gleich nachher ‚die alte Carcaſſe‘ der Teufel holen.“ Er war damals hinfälliger als ſpäter und hatte Zweifel, ob er die Strapazen des Feldzugs überleben werde. Wie lebhaft ſein Bedürfniß war, ſeine militäriſch-ſtrategiſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0116" n="92"/><fw place="top" type="header">Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.<lb/></fw> trinken wiedergefunden und ſprachen in heiterer Laune. Roon<lb/> ſagte: „Der alte Gott lebt noch und wird uns nicht in Schande<lb/> verkommen laſſen.“ Moltke trat ſo weit aus ſeiner gleichmüthigen<lb/> Paſſivität heraus, daß er ſich, mit freudigem Blick gegen die Zimmer¬<lb/> decke und mit Verzicht auf ſeine ſonſtige Gemeſſenheit in Worten,<lb/> mit der Hand vor die Bruſt ſchlug und ſagte: „Wenn ich das noch<lb/> erlebe, in ſolchem Kriege unſre Heere zu führen, ſo mag gleich<lb/> nachher ‚die alte Carcaſſe‘ der Teufel holen.“ Er war damals<lb/> hinfälliger als ſpäter und hatte Zweifel, ob er die Strapazen des<lb/> Feldzugs überleben werde.</p><lb/> <p>Wie lebhaft ſein Bedürfniß war, ſeine militäriſch-ſtrategiſche<lb/> Neigung und Befähigung praktiſch zu bethätigen, habe ich nicht nur<lb/> bei dieſer Gelegenheit, ſondern auch in den Tagen vor dem Aus¬<lb/> bruche des böhmiſchen Krieges beobachtet. In beiden Fällen fand<lb/> ich meinen militäriſchen Mitarbeiter im Dienſte des Königs ab¬<lb/> weichend von ſeiner ſonſtigen trocknen und ſchweigſamen Gewohn¬<lb/> heit heiter, belebt, ich kann ſagen, luſtig. In der Juninacht 1866,<lb/> in der ich ihn zu mir eingeladen hatte, um mich zu vergewiſſern,<lb/> ob der Aufbruch des Heeres nicht um 24 Stunden verfrüht werden<lb/> könnte, bejahte er die Frage und war durch die Beſchleunigung<lb/> des Kampfes angenehm erregt. Indem er elaſtiſchen Schrittes<lb/> den Salon meiner Frau verließ, wandte er ſich an der Thür noch<lb/> einmal um und richtete im ernſthaften Tone die Frage an mich:<lb/> „Wiſſen Sie, daß die Sachſen die Dresdner Brücke geſprengt<lb/> haben?“ Auf meinen Ausdruck des Erſtaunens und Bedauerns<lb/> erwiderte er: „Aber mit Waſſer, wegen Staub.“ Eine Neigung<lb/> zu harmloſen Scherzen kam bei ihm in dienſtlichen Beziehungen<lb/> wie den unſrigen ſehr ſelten zum Durchbruch. In beiden Fällen<lb/> war mir, gegenüber der erklärlichen und berechtigten Abneigung<lb/> an maßgebender Stelle, ſeine Kampfluſt, ſeine Schlachtenfreudigkeit<lb/> für die Durchführung der von mir für nothwendig erkannten Politik<lb/> ein ſtarker Beiſtand. Unbequem wurde ſie mir 1867 in der Luxem¬<lb/> burger Frage, 1875 und ſpäter Angeſichts der Erwägung, ob es<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [92/0116]
Zweiundzwanzigſtes Kapitel: Die Emſer Depeſche.
trinken wiedergefunden und ſprachen in heiterer Laune. Roon
ſagte: „Der alte Gott lebt noch und wird uns nicht in Schande
verkommen laſſen.“ Moltke trat ſo weit aus ſeiner gleichmüthigen
Paſſivität heraus, daß er ſich, mit freudigem Blick gegen die Zimmer¬
decke und mit Verzicht auf ſeine ſonſtige Gemeſſenheit in Worten,
mit der Hand vor die Bruſt ſchlug und ſagte: „Wenn ich das noch
erlebe, in ſolchem Kriege unſre Heere zu führen, ſo mag gleich
nachher ‚die alte Carcaſſe‘ der Teufel holen.“ Er war damals
hinfälliger als ſpäter und hatte Zweifel, ob er die Strapazen des
Feldzugs überleben werde.
Wie lebhaft ſein Bedürfniß war, ſeine militäriſch-ſtrategiſche
Neigung und Befähigung praktiſch zu bethätigen, habe ich nicht nur
bei dieſer Gelegenheit, ſondern auch in den Tagen vor dem Aus¬
bruche des böhmiſchen Krieges beobachtet. In beiden Fällen fand
ich meinen militäriſchen Mitarbeiter im Dienſte des Königs ab¬
weichend von ſeiner ſonſtigen trocknen und ſchweigſamen Gewohn¬
heit heiter, belebt, ich kann ſagen, luſtig. In der Juninacht 1866,
in der ich ihn zu mir eingeladen hatte, um mich zu vergewiſſern,
ob der Aufbruch des Heeres nicht um 24 Stunden verfrüht werden
könnte, bejahte er die Frage und war durch die Beſchleunigung
des Kampfes angenehm erregt. Indem er elaſtiſchen Schrittes
den Salon meiner Frau verließ, wandte er ſich an der Thür noch
einmal um und richtete im ernſthaften Tone die Frage an mich:
„Wiſſen Sie, daß die Sachſen die Dresdner Brücke geſprengt
haben?“ Auf meinen Ausdruck des Erſtaunens und Bedauerns
erwiderte er: „Aber mit Waſſer, wegen Staub.“ Eine Neigung
zu harmloſen Scherzen kam bei ihm in dienſtlichen Beziehungen
wie den unſrigen ſehr ſelten zum Durchbruch. In beiden Fällen
war mir, gegenüber der erklärlichen und berechtigten Abneigung
an maßgebender Stelle, ſeine Kampfluſt, ſeine Schlachtenfreudigkeit
für die Durchführung der von mir für nothwendig erkannten Politik
ein ſtarker Beiſtand. Unbequem wurde ſie mir 1867 in der Luxem¬
burger Frage, 1875 und ſpäter Angeſichts der Erwägung, ob es
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