tärischem Gebiete ohne Hintergedanken übernommen, so weiß ich nicht, was zu Zweifeln an einem günstigen Erfolge hätte berech¬ tigen können. Die Situation war nicht so klar in allen Rechts- und Gewissensfragen wie Anfangs März 1848, aber politisch immerhin nicht ungünstig.
Wenn ich von Hintergedanken spreche, so meine ich damit den Verzicht auf Beifall und Popularität bei verwandten Fürstenhäusern, bei Parlamenten, Historikern und in der Tagespresse. Als öffent¬ liche Meinung imponirte damals die tägliche Strömung, die in der Presse und den Parlamenten am lautesten rauscht, aber nicht maßgebend ist für die Volksstimmung, von der es abhängt, ob die Masse den auf regelmäßigem Wege von oben ergehenden Anforde¬ rungen noch Folge leistet. Die geistige Potenz der obern Zehn¬ tausend in der Presse und auf der Tribüne ist von einer zu großen Mannigfaltigkeit sich kreuzender Bestrebungen und Kräfte getragen und geleitet, als daß die Regirungen aus ihr die Richt¬ schnur für ihr Verhalten entnehmen könnten, so lange nicht die Evangelien der Redner und Schriftsteller vermöge des Glaubens, den sie bei den Massen finden, die materiellen Kräfte, die sich "hart im Raume" stoßen, zur Verfügung haben. Ist dies der Fall, so tritt vis major ein, mit der die Politik rechnen muß. So lange diese, in der Regel nicht schnell eintretende Wirkung nicht vorliegt, so lange nur das Geschrei der rerum novarum cupidi in größern Centren, das Emotionsbedürfniß der Presse und des parlamentarischen Lebens den Lärm machen, tritt für den Real¬ politiker die Betrachtung Coriolans über populäre Kundgebungen in Kraft, wenn auch in ihr die Druckerschwärze noch keine Er¬ wähnung findet. Die leitenden Kreise in Preußen ließen sich aber damals durch den Lärm der großen und kleinen Parlamente be¬ täuben, ohne deren Gewicht an dem Barometer zu messen, den ihnen die Haltung der Mannschaft in Reih und Glied oder der Ein¬ berufung gegenüber an die Hand gab. Zu der Täuschung über die realen Machtverhältnisse, die ich damals bei Hofe und bei dem
Bedenken und Hintergedanken.
täriſchem Gebiete ohne Hintergedanken übernommen, ſo weiß ich nicht, was zu Zweifeln an einem günſtigen Erfolge hätte berech¬ tigen können. Die Situation war nicht ſo klar in allen Rechts- und Gewiſſensfragen wie Anfangs März 1848, aber politiſch immerhin nicht ungünſtig.
Wenn ich von Hintergedanken ſpreche, ſo meine ich damit den Verzicht auf Beifall und Popularität bei verwandten Fürſtenhäuſern, bei Parlamenten, Hiſtorikern und in der Tagespreſſe. Als öffent¬ liche Meinung imponirte damals die tägliche Strömung, die in der Preſſe und den Parlamenten am lauteſten rauſcht, aber nicht maßgebend iſt für die Volksſtimmung, von der es abhängt, ob die Maſſe den auf regelmäßigem Wege von oben ergehenden Anforde¬ rungen noch Folge leiſtet. Die geiſtige Potenz der obern Zehn¬ tauſend in der Preſſe und auf der Tribüne iſt von einer zu großen Mannigfaltigkeit ſich kreuzender Beſtrebungen und Kräfte getragen und geleitet, als daß die Regirungen aus ihr die Richt¬ ſchnur für ihr Verhalten entnehmen könnten, ſo lange nicht die Evangelien der Redner und Schriftſteller vermöge des Glaubens, den ſie bei den Maſſen finden, die materiellen Kräfte, die ſich „hart im Raume“ ſtoßen, zur Verfügung haben. Iſt dies der Fall, ſo tritt vis major ein, mit der die Politik rechnen muß. So lange dieſe, in der Regel nicht ſchnell eintretende Wirkung nicht vorliegt, ſo lange nur das Geſchrei der rerum novarum cupidi in größern Centren, das Emotionsbedürfniß der Preſſe und des parlamentariſchen Lebens den Lärm machen, tritt für den Real¬ politiker die Betrachtung Coriolans über populäre Kundgebungen in Kraft, wenn auch in ihr die Druckerſchwärze noch keine Er¬ wähnung findet. Die leitenden Kreiſe in Preußen ließen ſich aber damals durch den Lärm der großen und kleinen Parlamente be¬ täuben, ohne deren Gewicht an dem Barometer zu meſſen, den ihnen die Haltung der Mannſchaft in Reih und Glied oder der Ein¬ berufung gegenüber an die Hand gab. Zu der Täuſchung über die realen Machtverhältniſſe, die ich damals bei Hofe und bei dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0088"n="61"/><fwplace="top"type="header">Bedenken und Hintergedanken.<lb/></fw>täriſchem Gebiete ohne Hintergedanken übernommen, ſo weiß ich<lb/>
nicht, was zu Zweifeln an einem günſtigen Erfolge hätte berech¬<lb/>
tigen können. Die Situation war nicht ſo klar in allen Rechts-<lb/>
und Gewiſſensfragen wie Anfangs März 1848, aber politiſch<lb/>
immerhin nicht ungünſtig.</p><lb/><p>Wenn ich von Hintergedanken ſpreche, ſo meine ich damit den<lb/>
Verzicht auf Beifall und Popularität bei verwandten Fürſtenhäuſern,<lb/>
bei Parlamenten, Hiſtorikern und in der Tagespreſſe. Als öffent¬<lb/>
liche Meinung imponirte damals die tägliche Strömung, die in<lb/>
der Preſſe und den Parlamenten am lauteſten rauſcht, aber nicht<lb/>
maßgebend iſt für die Volksſtimmung, von der es abhängt, ob die<lb/>
Maſſe den auf regelmäßigem Wege von oben ergehenden Anforde¬<lb/>
rungen noch Folge leiſtet. Die geiſtige Potenz der obern Zehn¬<lb/>
tauſend in der Preſſe und auf der Tribüne iſt von einer zu<lb/>
großen Mannigfaltigkeit ſich kreuzender Beſtrebungen und Kräfte<lb/>
getragen und geleitet, als daß die Regirungen aus ihr die Richt¬<lb/>ſchnur für ihr Verhalten entnehmen könnten, ſo lange nicht die<lb/>
Evangelien der Redner und Schriftſteller vermöge des Glaubens,<lb/>
den ſie bei den Maſſen finden, die materiellen Kräfte, die ſich<lb/>„hart im Raume“ſtoßen, zur Verfügung haben. Iſt dies der<lb/>
Fall, ſo tritt <hirendition="#aq">vis major</hi> ein, mit der die Politik rechnen muß.<lb/>
So lange dieſe, in der Regel nicht ſchnell eintretende Wirkung<lb/>
nicht vorliegt, ſo lange nur das Geſchrei der <hirendition="#aq">rerum novarum cupidi</hi><lb/>
in größern Centren, das Emotionsbedürfniß der Preſſe und des<lb/>
parlamentariſchen Lebens den Lärm machen, tritt für den Real¬<lb/>
politiker die Betrachtung Coriolans über populäre Kundgebungen<lb/>
in Kraft, wenn auch in ihr die Druckerſchwärze noch keine Er¬<lb/>
wähnung findet. Die leitenden Kreiſe in Preußen ließen ſich aber<lb/>
damals durch den Lärm der großen und kleinen Parlamente be¬<lb/>
täuben, ohne deren Gewicht an dem Barometer zu meſſen, den<lb/>
ihnen die Haltung der Mannſchaft in Reih und Glied oder der Ein¬<lb/>
berufung gegenüber an die Hand gab. Zu der Täuſchung über<lb/>
die realen Machtverhältniſſe, die ich damals bei Hofe und bei dem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[61/0088]
Bedenken und Hintergedanken.
täriſchem Gebiete ohne Hintergedanken übernommen, ſo weiß ich
nicht, was zu Zweifeln an einem günſtigen Erfolge hätte berech¬
tigen können. Die Situation war nicht ſo klar in allen Rechts-
und Gewiſſensfragen wie Anfangs März 1848, aber politiſch
immerhin nicht ungünſtig.
Wenn ich von Hintergedanken ſpreche, ſo meine ich damit den
Verzicht auf Beifall und Popularität bei verwandten Fürſtenhäuſern,
bei Parlamenten, Hiſtorikern und in der Tagespreſſe. Als öffent¬
liche Meinung imponirte damals die tägliche Strömung, die in
der Preſſe und den Parlamenten am lauteſten rauſcht, aber nicht
maßgebend iſt für die Volksſtimmung, von der es abhängt, ob die
Maſſe den auf regelmäßigem Wege von oben ergehenden Anforde¬
rungen noch Folge leiſtet. Die geiſtige Potenz der obern Zehn¬
tauſend in der Preſſe und auf der Tribüne iſt von einer zu
großen Mannigfaltigkeit ſich kreuzender Beſtrebungen und Kräfte
getragen und geleitet, als daß die Regirungen aus ihr die Richt¬
ſchnur für ihr Verhalten entnehmen könnten, ſo lange nicht die
Evangelien der Redner und Schriftſteller vermöge des Glaubens,
den ſie bei den Maſſen finden, die materiellen Kräfte, die ſich
„hart im Raume“ ſtoßen, zur Verfügung haben. Iſt dies der
Fall, ſo tritt vis major ein, mit der die Politik rechnen muß.
So lange dieſe, in der Regel nicht ſchnell eintretende Wirkung
nicht vorliegt, ſo lange nur das Geſchrei der rerum novarum cupidi
in größern Centren, das Emotionsbedürfniß der Preſſe und des
parlamentariſchen Lebens den Lärm machen, tritt für den Real¬
politiker die Betrachtung Coriolans über populäre Kundgebungen
in Kraft, wenn auch in ihr die Druckerſchwärze noch keine Er¬
wähnung findet. Die leitenden Kreiſe in Preußen ließen ſich aber
damals durch den Lärm der großen und kleinen Parlamente be¬
täuben, ohne deren Gewicht an dem Barometer zu meſſen, den
ihnen die Haltung der Mannſchaft in Reih und Glied oder der Ein¬
berufung gegenüber an die Hand gab. Zu der Täuſchung über
die realen Machtverhältniſſe, die ich damals bei Hofe und bei dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/88>, abgerufen am 09.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.