Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Mittheilungen aus Gesprächen mit Minutoli, Prittwitz.
adjutanten Edwin von Manteuffel und Graf Oriola, inzwischen
verstorben waren.

Als Beitrag zu der Geschichte der Märztage seien hier Ge¬
spräche aufgezeichnet, welche ich einige Wochen danach mit Personen
hatte, die mich, den sie als Vertrauensmann der Conservativen be¬
trachteten, aufsuchten, die einen, um sich über ihr Verhalten vor
und an dem 18. März rechtfertigend auszusprechen, die andern,
um mir die gemachten Wahrnehmungen mitzutheilen. Der Polizei¬
präsident von Minutoli beklagte sich dabei, daß ihm der Vorwurf
gemacht werde, er habe den Aufstand vorausgesehn und nichts
zur Verhinderung desselben gethan, und bestritt, daß irgend welche
auffallende Symptome zu seiner Kenntniß gekommen wären. Auf
meine Entgegnung, mir sei in Genthin von Augenzeugen gesagt
worden, daß während der Tage vor dem 18. März fremdländisch
aussehende Männer, meistens polnisch sprechend, einige offen Waffen
mit sich führend, die andern mit schweren Gepäckstücken, in der
Richtung nach Berlin passirt wären, erzählte Minutoli, der Minister
von Bodelschwingh habe ihn Mitte März kommen lassen und Be¬
sorgniß über die herrschende Gährung geäußert; darauf habe er
denselben in eine Versammlung vor den Zelten geführt. Nachdem
Bodelschwingh die dort gehaltenen Reden angehört, habe er ge¬
sagt: "Die Leute sprechen ja ganz verständig, ich danke Ihnen, Sie
haben mich vor einer Thorheit bewahrt." Bedenklich für die Be¬
urtheilung Minutoli's war seine Popularität in den nächsten Tagen
nach dem Straßenkampfe. Sie war für einen Polizeipräsidenten
als Ergebniß eines Aufruhrs unnatürlich.

Auch der General von Prittwitz, der die Truppen um das
Schloß befehligt hatte, suchte mich auf und erzählte mir, mit
ihrem Abzuge sei es so zugegangen: Nachdem ihm die Procla¬
mation "An meine lieben Berliner" bekannt geworden, habe er
das Gefecht abgebrochen, aber den Schloßplatz, das Zeughaus und
die einmündenden Straßen zum Schutze des Schlosses besetzt ge¬
halten. Da sei Bodelschwingh an ihn mit der Forderung heran¬

Mittheilungen aus Geſprächen mit Minutoli, Prittwitz.
adjutanten Edwin von Manteuffel und Graf Oriola, inzwiſchen
verſtorben waren.

Als Beitrag zu der Geſchichte der Märztage ſeien hier Ge¬
ſpräche aufgezeichnet, welche ich einige Wochen danach mit Perſonen
hatte, die mich, den ſie als Vertrauensmann der Conſervativen be¬
trachteten, aufſuchten, die einen, um ſich über ihr Verhalten vor
und an dem 18. März rechtfertigend auszuſprechen, die andern,
um mir die gemachten Wahrnehmungen mitzutheilen. Der Polizei¬
präſident von Minutoli beklagte ſich dabei, daß ihm der Vorwurf
gemacht werde, er habe den Aufſtand vorausgeſehn und nichts
zur Verhinderung deſſelben gethan, und beſtritt, daß irgend welche
auffallende Symptome zu ſeiner Kenntniß gekommen wären. Auf
meine Entgegnung, mir ſei in Genthin von Augenzeugen geſagt
worden, daß während der Tage vor dem 18. März fremdländiſch
ausſehende Männer, meiſtens polniſch ſprechend, einige offen Waffen
mit ſich führend, die andern mit ſchweren Gepäckſtücken, in der
Richtung nach Berlin paſſirt wären, erzählte Minutoli, der Miniſter
von Bodelſchwingh habe ihn Mitte März kommen laſſen und Be¬
ſorgniß über die herrſchende Gährung geäußert; darauf habe er
denſelben in eine Verſammlung vor den Zelten geführt. Nachdem
Bodelſchwingh die dort gehaltenen Reden angehört, habe er ge¬
ſagt: „Die Leute ſprechen ja ganz verſtändig, ich danke Ihnen, Sie
haben mich vor einer Thorheit bewahrt.“ Bedenklich für die Be¬
urtheilung Minutoli's war ſeine Popularität in den nächſten Tagen
nach dem Straßenkampfe. Sie war für einen Polizeipräſidenten
als Ergebniß eines Aufruhrs unnatürlich.

Auch der General von Prittwitz, der die Truppen um das
Schloß befehligt hatte, ſuchte mich auf und erzählte mir, mit
ihrem Abzuge ſei es ſo zugegangen: Nachdem ihm die Procla¬
mation „An meine lieben Berliner“ bekannt geworden, habe er
das Gefecht abgebrochen, aber den Schloßplatz, das Zeughaus und
die einmündenden Straßen zum Schutze des Schloſſes beſetzt ge¬
halten. Da ſei Bodelſchwingh an ihn mit der Forderung heran¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0056" n="29"/><fw place="top" type="header">Mittheilungen aus Ge&#x017F;prächen mit Minutoli, Prittwitz.<lb/></fw> adjutanten Edwin von Manteuffel und Graf Oriola, inzwi&#x017F;chen<lb/>
ver&#x017F;torben waren.</p><lb/>
          <p>Als Beitrag zu der Ge&#x017F;chichte der Märztage &#x017F;eien hier Ge¬<lb/>
&#x017F;präche aufgezeichnet, welche ich einige Wochen danach mit Per&#x017F;onen<lb/>
hatte, die mich, den &#x017F;ie als Vertrauensmann der Con&#x017F;ervativen be¬<lb/>
trachteten, auf&#x017F;uchten, die einen, um &#x017F;ich über ihr Verhalten vor<lb/>
und an dem 18. März rechtfertigend auszu&#x017F;prechen, die andern,<lb/>
um mir die gemachten Wahrnehmungen mitzutheilen. Der Polizei¬<lb/>
prä&#x017F;ident von Minutoli beklagte &#x017F;ich dabei, daß ihm der Vorwurf<lb/>
gemacht werde, er habe den Auf&#x017F;tand vorausge&#x017F;ehn und nichts<lb/>
zur Verhinderung de&#x017F;&#x017F;elben gethan, und be&#x017F;tritt, daß irgend welche<lb/>
auffallende Symptome zu &#x017F;einer Kenntniß gekommen wären. Auf<lb/>
meine Entgegnung, mir &#x017F;ei in Genthin von Augenzeugen ge&#x017F;agt<lb/>
worden, daß während der Tage vor dem 18. März fremdländi&#x017F;ch<lb/>
aus&#x017F;ehende Männer, mei&#x017F;tens polni&#x017F;ch &#x017F;prechend, einige offen Waffen<lb/>
mit &#x017F;ich führend, die andern mit &#x017F;chweren Gepäck&#x017F;tücken, in der<lb/>
Richtung nach Berlin pa&#x017F;&#x017F;irt wären, erzählte Minutoli, der Mini&#x017F;ter<lb/>
von Bodel&#x017F;chwingh habe ihn Mitte März kommen la&#x017F;&#x017F;en und Be¬<lb/>
&#x017F;orgniß über die herr&#x017F;chende Gährung geäußert; darauf habe er<lb/>
den&#x017F;elben in eine Ver&#x017F;ammlung vor den Zelten geführt. Nachdem<lb/>
Bodel&#x017F;chwingh die dort gehaltenen Reden angehört, habe er ge¬<lb/>
&#x017F;agt: &#x201E;Die Leute &#x017F;prechen ja ganz ver&#x017F;tändig, ich danke Ihnen, Sie<lb/>
haben mich vor einer Thorheit bewahrt.&#x201C; Bedenklich für die Be¬<lb/>
urtheilung Minutoli's war &#x017F;eine Popularität in den näch&#x017F;ten Tagen<lb/>
nach dem Straßenkampfe. Sie war für einen Polizeiprä&#x017F;identen<lb/>
als Ergebniß eines Aufruhrs unnatürlich.</p><lb/>
          <p>Auch der General von Prittwitz, der die Truppen um das<lb/>
Schloß befehligt hatte, &#x017F;uchte mich auf und erzählte mir, mit<lb/>
ihrem Abzuge &#x017F;ei es &#x017F;o zugegangen: Nachdem ihm die Procla¬<lb/>
mation &#x201E;An meine lieben Berliner&#x201C; bekannt geworden, habe er<lb/>
das Gefecht abgebrochen, aber den Schloßplatz, das Zeughaus und<lb/>
die einmündenden Straßen zum Schutze des Schlo&#x017F;&#x017F;es be&#x017F;etzt ge¬<lb/>
halten. Da &#x017F;ei Bodel&#x017F;chwingh an ihn mit der Forderung heran¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0056] Mittheilungen aus Geſprächen mit Minutoli, Prittwitz. adjutanten Edwin von Manteuffel und Graf Oriola, inzwiſchen verſtorben waren. Als Beitrag zu der Geſchichte der Märztage ſeien hier Ge¬ ſpräche aufgezeichnet, welche ich einige Wochen danach mit Perſonen hatte, die mich, den ſie als Vertrauensmann der Conſervativen be¬ trachteten, aufſuchten, die einen, um ſich über ihr Verhalten vor und an dem 18. März rechtfertigend auszuſprechen, die andern, um mir die gemachten Wahrnehmungen mitzutheilen. Der Polizei¬ präſident von Minutoli beklagte ſich dabei, daß ihm der Vorwurf gemacht werde, er habe den Aufſtand vorausgeſehn und nichts zur Verhinderung deſſelben gethan, und beſtritt, daß irgend welche auffallende Symptome zu ſeiner Kenntniß gekommen wären. Auf meine Entgegnung, mir ſei in Genthin von Augenzeugen geſagt worden, daß während der Tage vor dem 18. März fremdländiſch ausſehende Männer, meiſtens polniſch ſprechend, einige offen Waffen mit ſich führend, die andern mit ſchweren Gepäckſtücken, in der Richtung nach Berlin paſſirt wären, erzählte Minutoli, der Miniſter von Bodelſchwingh habe ihn Mitte März kommen laſſen und Be¬ ſorgniß über die herrſchende Gährung geäußert; darauf habe er denſelben in eine Verſammlung vor den Zelten geführt. Nachdem Bodelſchwingh die dort gehaltenen Reden angehört, habe er ge¬ ſagt: „Die Leute ſprechen ja ganz verſtändig, ich danke Ihnen, Sie haben mich vor einer Thorheit bewahrt.“ Bedenklich für die Be¬ urtheilung Minutoli's war ſeine Popularität in den nächſten Tagen nach dem Straßenkampfe. Sie war für einen Polizeipräſidenten als Ergebniß eines Aufruhrs unnatürlich. Auch der General von Prittwitz, der die Truppen um das Schloß befehligt hatte, ſuchte mich auf und erzählte mir, mit ihrem Abzuge ſei es ſo zugegangen: Nachdem ihm die Procla¬ mation „An meine lieben Berliner“ bekannt geworden, habe er das Gefecht abgebrochen, aber den Schloßplatz, das Zeughaus und die einmündenden Straßen zum Schutze des Schloſſes beſetzt ge¬ halten. Da ſei Bodelſchwingh an ihn mit der Forderung heran¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/56
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/56>, abgerufen am 09.05.2024.