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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Achtzehntes Kapitel: König Ludwig II. von Baiern.
gewahrt, die Gefahr eines Bruches zwischen Oestreich und Rußland
ist beseitigt und unsre Beziehungen zu beiden befreundeten Nach¬
barreichen sind erhalten und befestigt. Namentlich freue ich mich,
daß es gelungen ist, das noch junge Vertrauen Oestreichs zu
unsrer Politik im Cabinet wie in der Bevölkerung des Kaiser¬
staates wesentlich zu kräftigen. Ich darf von der Allerhöchsten Billi¬
gung Eurer Majestät überzeugt sein, wenn ich auch ferner bemüht
bin, die auswärtige Politik des Reiches in der vorbezeichneten
Richtung zu erhalten, und dementsprechend bei der Pforte und ander¬
weit gegenwärtig dahin zu wirken, daß die schwierige Aufgabe, die
Oestreich, allerdings etwas spät, übernommen hat, durch diplo¬
matischen Beistand nach Möglichkeit erleichtert werde.

Schwieriger sind die augenblicklichen Aufgaben der innern
Politik. Meine Verhandlungen mit dem Nuntius ruhn seit dem
Tode des Cardinals Franchi vollständig, in Erwartung von In¬
structionen aus Rom. Diejenigen, welche der Erzbischof von Neo¬
cäsarea mitbrachte, verlangten Herstellung des status quo ante
1870 in Preußen, factisch, wenn nicht vertragsmäßig. Derartige
prinzipielle Concessionen sind beiderseits unmöglich. Der Papst
besitzt die Mittel nicht, durch welche er uns die nöthigen Gegen¬
leistungen machen könnte; die Centrumspartei, die staatsfeindliche
Presse, die polnische Agitation, gehorchen dem Papste nicht, auch
wenn Seine Heiligkeit diesen Elementen befehlen wollte, die Re¬
girung zu unterstützen. Die im Centrum vereinten Kräfte fechten
zwar jetzt unter päpstlicher Flagge, sind aber an sich staatsfeind¬
lich, auch wenn die Flagge der Katholicität aufhörte sie zu decken;
ihr Zusammenhang mit der Fortschrittspartei und den Socialisten
auf der Basis der Feindschaft gegen den Staat ist von dem
Kirchenstreit unabhängig. In Preußen wenigstens waren die Wahl¬
kreise, in denen das Centrum sich ergänzt, auch vor dem Kirchen¬
streite oppositionell, aus demokratischer Gesinnung, bis auf den
Adel in Westfalen und Oberschlesien, der unter der Leitung der
Jesuiten steht und von diesen absichtlich schlecht erzogen wird.

Achtzehntes Kapitel: König Ludwig II. von Baiern.
gewahrt, die Gefahr eines Bruches zwiſchen Oeſtreich und Rußland
iſt beſeitigt und unſre Beziehungen zu beiden befreundeten Nach¬
barreichen ſind erhalten und befeſtigt. Namentlich freue ich mich,
daß es gelungen iſt, das noch junge Vertrauen Oeſtreichs zu
unſrer Politik im Cabinet wie in der Bevölkerung des Kaiſer¬
ſtaates weſentlich zu kräftigen. Ich darf von der Allerhöchſten Billi¬
gung Eurer Majeſtät überzeugt ſein, wenn ich auch ferner bemüht
bin, die auswärtige Politik des Reiches in der vorbezeichneten
Richtung zu erhalten, und dementſprechend bei der Pforte und ander¬
weit gegenwärtig dahin zu wirken, daß die ſchwierige Aufgabe, die
Oeſtreich, allerdings etwas ſpät, übernommen hat, durch diplo¬
matiſchen Beiſtand nach Möglichkeit erleichtert werde.

Schwieriger ſind die augenblicklichen Aufgaben der innern
Politik. Meine Verhandlungen mit dem Nuntius ruhn ſeit dem
Tode des Cardinals Franchi vollſtändig, in Erwartung von In¬
ſtructionen aus Rom. Diejenigen, welche der Erzbiſchof von Neo¬
cäſarea mitbrachte, verlangten Herſtellung des status quo ante
1870 in Preußen, factiſch, wenn nicht vertragsmäßig. Derartige
prinzipielle Conceſſionen ſind beiderſeits unmöglich. Der Papſt
beſitzt die Mittel nicht, durch welche er uns die nöthigen Gegen¬
leiſtungen machen könnte; die Centrumspartei, die ſtaatsfeindliche
Preſſe, die polniſche Agitation, gehorchen dem Papſte nicht, auch
wenn Seine Heiligkeit dieſen Elementen befehlen wollte, die Re¬
girung zu unterſtützen. Die im Centrum vereinten Kräfte fechten
zwar jetzt unter päpſtlicher Flagge, ſind aber an ſich ſtaatsfeind¬
lich, auch wenn die Flagge der Katholicität aufhörte ſie zu decken;
ihr Zuſammenhang mit der Fortſchrittspartei und den Socialiſten
auf der Baſis der Feindſchaft gegen den Staat iſt von dem
Kirchenſtreit unabhängig. In Preußen wenigſtens waren die Wahl¬
kreiſe, in denen das Centrum ſich ergänzt, auch vor dem Kirchen¬
ſtreite oppoſitionell, aus demokratiſcher Geſinnung, bis auf den
Adel in Weſtfalen und Oberſchleſien, der unter der Leitung der
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[364/0391] Achtzehntes Kapitel: König Ludwig II. von Baiern. gewahrt, die Gefahr eines Bruches zwiſchen Oeſtreich und Rußland iſt beſeitigt und unſre Beziehungen zu beiden befreundeten Nach¬ barreichen ſind erhalten und befeſtigt. Namentlich freue ich mich, daß es gelungen iſt, das noch junge Vertrauen Oeſtreichs zu unſrer Politik im Cabinet wie in der Bevölkerung des Kaiſer¬ ſtaates weſentlich zu kräftigen. Ich darf von der Allerhöchſten Billi¬ gung Eurer Majeſtät überzeugt ſein, wenn ich auch ferner bemüht bin, die auswärtige Politik des Reiches in der vorbezeichneten Richtung zu erhalten, und dementſprechend bei der Pforte und ander¬ weit gegenwärtig dahin zu wirken, daß die ſchwierige Aufgabe, die Oeſtreich, allerdings etwas ſpät, übernommen hat, durch diplo¬ matiſchen Beiſtand nach Möglichkeit erleichtert werde. Schwieriger ſind die augenblicklichen Aufgaben der innern Politik. Meine Verhandlungen mit dem Nuntius ruhn ſeit dem Tode des Cardinals Franchi vollſtändig, in Erwartung von In¬ ſtructionen aus Rom. Diejenigen, welche der Erzbiſchof von Neo¬ cäſarea mitbrachte, verlangten Herſtellung des status quo ante 1870 in Preußen, factiſch, wenn nicht vertragsmäßig. Derartige prinzipielle Conceſſionen ſind beiderſeits unmöglich. Der Papſt beſitzt die Mittel nicht, durch welche er uns die nöthigen Gegen¬ leiſtungen machen könnte; die Centrumspartei, die ſtaatsfeindliche Preſſe, die polniſche Agitation, gehorchen dem Papſte nicht, auch wenn Seine Heiligkeit dieſen Elementen befehlen wollte, die Re¬ girung zu unterſtützen. Die im Centrum vereinten Kräfte fechten zwar jetzt unter päpſtlicher Flagge, ſind aber an ſich ſtaatsfeind¬ lich, auch wenn die Flagge der Katholicität aufhörte ſie zu decken; ihr Zuſammenhang mit der Fortſchrittspartei und den Socialiſten auf der Baſis der Feindſchaft gegen den Staat iſt von dem Kirchenſtreit unabhängig. In Preußen wenigſtens waren die Wahl¬ kreiſe, in denen das Centrum ſich ergänzt, auch vor dem Kirchen¬ ſtreite oppoſitionell, aus demokratiſcher Geſinnung, bis auf den Adel in Weſtfalen und Oberſchleſien, der unter der Leitung der Jeſuiten ſteht und von dieſen abſichtlich ſchlecht erzogen wird.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/391>, abgerufen am 23.11.2024.