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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage.
früher in dem Verhältniß lag, daß die Kreiseingesessenen, die
Landräthe wurden, dies in ihrem Kreise lebenslänglich zu bleiben
in der Regel entschlossen waren und die Leiden und Freuden des
Kreises mitfühlten. Heut ist der Landrathsposten die unterste Stufe
der höhern Verwaltungslaufbahn, gesucht von jungen Assessoren,
die den berechtigten Ehrgeiz haben, Carriere zu machen; dazu be¬
dürfen sie der ministeriellen Gunst mehr als des Wohlwollens der
Kreisbevölkerung und suchen erstre durch hervorragenden Eifer und
Anspannung der Amtsvorsteher der angeblichen Selbstverwaltung
bei Durchführung auch minderwerthiger bürokratischer Versuche zu
gewinnen. Darin liegt zum großen Theil der Anlaß zur Ueber¬
lastung ihrer Untergebenen in der localen "Selbstverwaltung". Die
"Selbstverwaltung" ist also Verschärfung der Bürokratie, Ver¬
mehrung der Beamten, ihrer Macht und ihrer Einmischung ins
Privatleben.

Es liegt in der menschlichen Natur, daß man von jeder
Einrichtung die Dornen stärker empfindet als die Rosen, und daß
die erstern gegen das zur Zeit Bestehende verstimmen. Die alten
Regirungsbeamten zeigten sich, wenn sie mit der regirten Be¬
völkerung in unmittelbare Berührung traten, pedantisch und durch
ihre Beschäftigung am grünen Tische den Verhältnissen des prak¬
tischen Lebens entfremdet, hinterließen aber den Eindruck, daß sie
ehrlich und gewissenhaft bemüht waren, gerecht zu sein. Dasselbe
läßt sich von den Organen der heutigen Selbstverwaltung in Land¬
strichen, wo die Parteien einander schärfer gegenüberstehn, nicht in
allen Stufen voraussetzen; das Wohlwollen für politische Freunde,
die Stimmung bezüglich des Gegners werden leicht ein Hinderniß
unparteiischer Handhabung der Einrichtungen. Nach meinen Er¬
fahrungen aus jener und der spätern Zeit möchte ich übrigens
den Vorzug der Unparteilichkeit im Vergleiche zwischen richterlichen
und administrativen Entscheidungen nicht den erstern allein ein¬
räumen, wenigstens nicht durchgängig. Ich habe im Gegentheil
den Eindruck behalten, daß Richter an den kleinen und localen

Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage.
früher in dem Verhältniß lag, daß die Kreiseingeſeſſenen, die
Landräthe wurden, dies in ihrem Kreiſe lebenslänglich zu bleiben
in der Regel entſchloſſen waren und die Leiden und Freuden des
Kreiſes mitfühlten. Heut iſt der Landrathspoſten die unterſte Stufe
der höhern Verwaltungslaufbahn, geſucht von jungen Aſſeſſoren,
die den berechtigten Ehrgeiz haben, Carrière zu machen; dazu be¬
dürfen ſie der miniſteriellen Gunſt mehr als des Wohlwollens der
Kreisbevölkerung und ſuchen erſtre durch hervorragenden Eifer und
Anſpannung der Amtsvorſteher der angeblichen Selbſtverwaltung
bei Durchführung auch minderwerthiger bürokratiſcher Verſuche zu
gewinnen. Darin liegt zum großen Theil der Anlaß zur Ueber¬
laſtung ihrer Untergebenen in der localen „Selbſtverwaltung“. Die
„Selbſtverwaltung“ iſt alſo Verſchärfung der Bürokratie, Ver¬
mehrung der Beamten, ihrer Macht und ihrer Einmiſchung ins
Privatleben.

Es liegt in der menſchlichen Natur, daß man von jeder
Einrichtung die Dornen ſtärker empfindet als die Roſen, und daß
die erſtern gegen das zur Zeit Beſtehende verſtimmen. Die alten
Regirungsbeamten zeigten ſich, wenn ſie mit der regirten Be¬
völkerung in unmittelbare Berührung traten, pedantiſch und durch
ihre Beſchäftigung am grünen Tiſche den Verhältniſſen des prak¬
tiſchen Lebens entfremdet, hinterließen aber den Eindruck, daß ſie
ehrlich und gewiſſenhaft bemüht waren, gerecht zu ſein. Daſſelbe
läßt ſich von den Organen der heutigen Selbſtverwaltung in Land¬
ſtrichen, wo die Parteien einander ſchärfer gegenüberſtehn, nicht in
allen Stufen vorausſetzen; das Wohlwollen für politiſche Freunde,
die Stimmung bezüglich des Gegners werden leicht ein Hinderniß
unparteiiſcher Handhabung der Einrichtungen. Nach meinen Er¬
fahrungen aus jener und der ſpätern Zeit möchte ich übrigens
den Vorzug der Unparteilichkeit im Vergleiche zwiſchen richterlichen
und adminiſtrativen Entſcheidungen nicht den erſtern allein ein¬
räumen, wenigſtens nicht durchgängig. Ich habe im Gegentheil
den Eindruck behalten, daß Richter an den kleinen und localen

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[12/0039] Erſtes Kapitel: Bis zum Erſten Vereinigten Landtage. früher in dem Verhältniß lag, daß die Kreiseingeſeſſenen, die Landräthe wurden, dies in ihrem Kreiſe lebenslänglich zu bleiben in der Regel entſchloſſen waren und die Leiden und Freuden des Kreiſes mitfühlten. Heut iſt der Landrathspoſten die unterſte Stufe der höhern Verwaltungslaufbahn, geſucht von jungen Aſſeſſoren, die den berechtigten Ehrgeiz haben, Carrière zu machen; dazu be¬ dürfen ſie der miniſteriellen Gunſt mehr als des Wohlwollens der Kreisbevölkerung und ſuchen erſtre durch hervorragenden Eifer und Anſpannung der Amtsvorſteher der angeblichen Selbſtverwaltung bei Durchführung auch minderwerthiger bürokratiſcher Verſuche zu gewinnen. Darin liegt zum großen Theil der Anlaß zur Ueber¬ laſtung ihrer Untergebenen in der localen „Selbſtverwaltung“. Die „Selbſtverwaltung“ iſt alſo Verſchärfung der Bürokratie, Ver¬ mehrung der Beamten, ihrer Macht und ihrer Einmiſchung ins Privatleben. Es liegt in der menſchlichen Natur, daß man von jeder Einrichtung die Dornen ſtärker empfindet als die Roſen, und daß die erſtern gegen das zur Zeit Beſtehende verſtimmen. Die alten Regirungsbeamten zeigten ſich, wenn ſie mit der regirten Be¬ völkerung in unmittelbare Berührung traten, pedantiſch und durch ihre Beſchäftigung am grünen Tiſche den Verhältniſſen des prak¬ tiſchen Lebens entfremdet, hinterließen aber den Eindruck, daß ſie ehrlich und gewiſſenhaft bemüht waren, gerecht zu ſein. Daſſelbe läßt ſich von den Organen der heutigen Selbſtverwaltung in Land¬ ſtrichen, wo die Parteien einander ſchärfer gegenüberſtehn, nicht in allen Stufen vorausſetzen; das Wohlwollen für politiſche Freunde, die Stimmung bezüglich des Gegners werden leicht ein Hinderniß unparteiiſcher Handhabung der Einrichtungen. Nach meinen Er¬ fahrungen aus jener und der ſpätern Zeit möchte ich übrigens den Vorzug der Unparteilichkeit im Vergleiche zwiſchen richterlichen und adminiſtrativen Entſcheidungen nicht den erſtern allein ein¬ räumen, wenigſtens nicht durchgängig. Ich habe im Gegentheil den Eindruck behalten, daß Richter an den kleinen und localen

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/39>, abgerufen am 28.04.2024.